Es ist, wie es ist: Die schönsten TV-Bilder bescheren uns immer wieder die Tore des Zauberzwergs Lino Martschini (168 cm/66 kg). Grosse Männer in ritterähnlichen Ausrüstungen, Titanen, scheinen dann einen Buben in ebensolcher Ausrüstung beschützend zu umringen. So wie gestern beim 4. Treffer gegen den SC Bern. Am Ende siegt Zug 5:2.
Lino Martschinis Tor hilft uns, diese Serie zwischen dem alten und vielleicht – aber nur vielleicht – neuen Meister und die mögliche – aber noch nicht vollzogene – Wachablösung in unserem Hockey zu erklären.
Wenn Zugs Stürmer mit der Jockey-Figur in dieser Viertelfinalserie in der Torschützenliste auftaucht, kann der SCB nicht mehr gewinnen. 2017 und 2019 waren die Berner im Final gegen Zug noch dazu in der Lage, Lino Martschinis Treffer zu beantworten. Jetzt sind sie es nicht mehr.
Bern gegen Zug ist eine besondere, beinahe historische Serie. Eine Auseinandersetzung zwischen zwei Hockeykulturen. Oder etwas polemischer: zwischen dem Hockey von gestern und dem Hockey von heute und morgen. Eine Serie auch, die definitiv das Ende einer Ära bedeutet. Und vielleicht eine neue einleitet.
Zugs Trainer Dan Tangnes hat seinen Vertrag bis 2024 verlängert. Er ist ausersehen, eine meisterliche Ära der Zuger zu prägen. Er wird seinen Job auch dann nicht verlieren, wenn die Zuger diesen Viertelfinal verlieren sollten.
Den SCB, den wir in diesem Viertelfinal sehen, wird es hingegen so nicht mehr geben. Wichtige Figuren wie Trainer Mario Kogler, Torhüter Tomi Karhunen, Playoff-Topskorer André Heim, Inti Pestoni und Miro Zryd gehen.
Weil die sportliche SCB-Führung bis zur Ankunft von Obersportchef Raeto Raffainer zwischen September und Januar versagt hat, konnten weder die in Bern ausgebildeten Schlüsselspieler (wie Heim) gehalten noch Transfers von Schweizer Spielern eingefädelt werden. Der SCB, die umsatzstärkste Hockey-Firma Europas, steht bereits als Transfer-Verlierer fest.
Wir stehen also an einer Zeitenwende. Der SCB hat mit Taktik und Härte eine Dynastie aufgebaut: drei Titel in vier Jahren (2016, 2017 und 2019) mit der ersten erfolgreichen Titelverteidigung seit den ZSC Lions, den Meistern von 2000 und 2001. Mit rauem, geradlinigem, konservativem Hockey.
Dieser Stil entspricht der DNA dieses Klubs seit der Gründung im Jahre 1931. Noch nie haben die Berner auf eine andere Weise einen ihrer 16 Meisterschaften gewonnen. Nicht in den 1950er-, nicht in den 1960er-, nicht in den 1970er-, nicht in den 1980er-, nicht in den 1990er-Jahren und nicht in diesem Jahrhundert.
«The Big Bad Bears» ist mehr als nur eine launige Bezeichnung ihrer rustikalen Hockey-Philosophie. Die Berner sind tatsächlich nur dann erfolgreich, wenn sie gross und böse sind. Wenn sie einschüchternd auftreten. Wenn sie, bei Bedarf, zu rumpeln vermögen.
Kommt dazu: Kräftige, wehrhafte Titanen sind in der Regel einfacher auszubilden und belasten die Salärbuchhaltung weniger stark als die seltenen technisch hochbegabten, wendigen, schnellen «Kufentiere». Talent ist eine viel zu seltene Gabe der Hockeygötter. Handwerk, Härte und Disziplin sind hingegen lernbar. Handwerk hatte in Bern schon immer goldenen, meisterlichen Boden.
Dazu passt, dass Beat Gerber gestern in Zug sein 1000. Spiel für den SCB bestritten hat. Der 38-jährige Emmentaler personifiziert die SCB-DNA als mutiger, bissiger, schlauer, loyaler und verlässlicher Defensiv-Verteidiger. Mit sechs Titeln und zwei Cup-Siegen ist er der erfolgreichste Spieler der SCB-Geschichte.
Zu seiner Art, nicht zu fragen, was der SCB für ihn tun kann, sondern was er für den SCB tun kann, gehört eine sprichwörtliche Bescheidenheit. Hätte ihn der Materialwart nicht darauf aufmerksam gemacht, hätte er gar nicht gewusst, dass es gestern in Zug sein 1000. SCB-Spiel sein wird.
Was der Emmentaler Reto von Arx für den HCD war, das ist der Emmentaler Beat Gerber auf seine ganz besondere Art und Weise für den SCB. Mit dem Unterschied, dass in einem Jahr sein Übertritt ins sportliche Pensionären-Alter ohne jede Polemik über die Bühne gehen und er einen Job beim Klub bekommen wird.
Beat Gerber hat seinen Vertrag noch einmal um ein Jahr verlängert. Aber es ist ganz und gar nicht sicher, ob auch die meisterliche SCB-Dynastie noch um ein Jahr verlängert werden kann.
Der SCB ist in den Playoffs noch nie in seiner Geschichte «vom Eis gearbeitet» worden. Noch nie war ein Gegner in den Playoffs härter, böser und robuster. Das ist auch jetzt so.
Das beste Mittel gegen den SCB war zu allen Zeiten Tempo und Technik. Je weniger Checks und je mehr Laufduelle desto besser für den Gegner. Oder noch anders gesagt: Wenn es einer Mannschaft gelingt, den Puck für sich arbeiten zu lassen, dann ist der Sieg gegen den SCB nahe. Also gegen den SCB die Scheibe spielen, nicht erkämpfen.
Das erklärt uns auch, warum der SCB die drei Partien in Zug verloren und dafür die zwei Heimspiele gewonnen hat. Nur auf eigenem Eis sind die Berner noch einmal so aufgetreten wie in den beiden Finals 2017 und 2019 gegen Zug. Auswärts waren sie bisher dazu nicht mehr in der Lage. Gestern standen sie einer Überraschung am nächsten. Aber zum ersten Mal fehlte die Energie, als Zug Schwächen zeigte. Nun beginnen sich die drei Zusatzpartien in den Pre-Playoffs gegen Davos auszuwirken. Trainer Mario Kogler machte sich nach dem Spiel in Zug zum ersten Mal Sorgen um den Energiehaushalt.
Noch sind die Berner als Meister von 2019 Titelverteidiger. Noch sind sie nicht entthront. Aber sie sind nur noch eine Niederlage vom Ende eines der ruhmreichsten Kapitel ihrer Geschichte entfernt.
Sie kämpfen ausgerechnet gegen die schnellste, technisch beste Mannschaft der Liga um eine Verlängerung ihrer «Herrschaftszeit». Deshalb ist dieser Viertelfinal wie ein Kampf der Kulturen. Ein Kampf zwischen dem Gestern und Morgen des Eishockeys.
Zweimal sind die Berner nach einer Niederlage in Zug im eigenen Stadion wieder aufgestanden. Zweimal haben sie die Serie gegen die Zuger auf eigenem Eis ausgeglichen. Weil Eishockey mehr gearbeitet als gespielt worden ist.
Gestern sind sie auswärts zum dritten Mal besiegt worden. Weil zum dritten Mal in diesem Viertelfinal Eishockey mehr gespielt als gearbeitet worden ist.
Dazu passt, dass Lino Martschini, der Kleinste von allen, ins Netz getroffen hat. Wenn die Berner nicht dazu in der Lage sind, den kleinsten und leichtesten Zuger am erfolgreichen Abschluss zu hindern – dann haben sie auch keine Chance, ein Spiel zu gewinnen. Sage mir, ob Lino Martschini trifft, und ich sage dir, wie es um den SCB steht.
Natürlich mag Zugs Trainer Dan Tangnes eine solche Zuspitzung auf einen einzelnen seiner Spieler nicht. Ihm obliegt es als Chef, das grosse Bild, das grosse Ziel immer im Auge zu haben. «Aber ich kann verstehen, dass Sie immer auf der Suche nach einem poetischen Ansatz sind …»
Kommt Zug weiter, ist es in der Tat spielerische Poesie. Scheitert Zug, wird es pure Polemik sein.
Dafür muss man Schelling und Chatelain kritisieren. Der alte Sportchef und die neue Sportchefin haben in der Kaderbewirtschaftung kläglich versagt.
Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass mich Zryd überrascht. Spielte gestern sehr auffällig, hätte ich ihm nicht zugetraut, nach dem, was ich in den letzten 2.5 Jahre gesehen habe. Hoffe aber trotzdem, dass er am Freitag wieder wie gewohnt mit Scheibenverlusten als hinterster Mann auffällt. 😜