Es war eine grosse Last, die von den Schultern der Borussen und vor allem auch Trainer Edin Terzic fiel, als der Schlusspfiff ertönte. Dortmund hatte Leipzig im DFB-Pokalfinale gerade 4:1 geschlagen und die Freude sowie die Erleichterung waren sichtlich riesig. Es schien der Höhepunkt einer turbulenten Saison mit vielen Hochs und Tiefs zu sein – das Happy End.
Doch anders als in anderen Saisons ist die Saison mit dem Pokalsieg noch nicht vorbei, denn es sind noch zwei Spieltage in der Bundesliga zu spielen. Und dort entscheidet sich das eigentliche Schicksal des BVB. Scheitert die Mannschaft doch noch an der Qualifikation zur Champions League, ist die Saison trotz des Titels für den Verein eine Enttäuschung. Denn so schön der Gewinn des Pokals auch sein mag, so ist dieser längst nicht mehr so viel wert wie ein vierter Platz in der Bundesliga, der die direkte Teilnahme an der Königsklasse sichert. So sagte auch Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, dass «die grösste Leistung» noch bevorstehe.
Deshalb gilt in Dortmund auch nach dem gefühlten Höhepunkt, die Spannung noch für zwei Spiele hochzuhalten und den knappen Vorsprung auf Platz 5 nicht zu verspielen. Sollten sie das nämlich tun, bekämen alle Kritiker recht, die dem BVB vor einigen Wochen nach der Niederlage gegen Frankfurt den Zerfall prognostiziert haben. Um dieses Szenario zu verhindern, braucht es nun diese neue Mentalität, die Edin Terzic der Mannschaft eingeflösst hat. Jene Mentalität, die unter Lucien Favre noch ein Tabuthema war, als das Team das Spiel trotz Führungen noch zu häufig aus der Hand gab.
Und damit wären wir bei einem der Hauptverantwortlichen für diesen überzeugenden Erfolg. Auch Terzic hatte Anfangsschwierigkeiten und brauchte Zeit, um der Mannschaft seine Philosophie zu vermitteln, doch aktuell schwimmen die Borussen auf einer Erfolgswelle: fünf Bundesligasiege in Folge, der vierte Platz wurde zurückerobert und nun der erste Titel seit 2017.
Sogar das M-Wort ist zu einer Stärke Dortmunds geworden. Wäre man früher nach dem 1:3-Treffer Leipzigs ins Schwimmen gekommen und zusammengebrochen, hat die Mannschaft gestern mentale Stärke bewiesen und sich auch vom Schockmoment nach Sanchos zu kurz geratenem Rückpass nicht aus der Ruhe bringen lassen. Im Gegenteil, der Ballspielverein legte sogar noch nach und entschied das Spiel in der 87. Minute durch Erling Haaland definitiv. Dieselbe 87. Minute, in der Jadon Sancho fünf Tage zuvor in Abwesenheit des norwegischen Sturmjuwels das 3:2 gegen ebendiese Leipziger schoss. Die Schlussphase ist zur Stärke der Schwarz-Gelben geworden.
Der 38-jährige Deutsch-Kroate hat sein Team auf Vordermann gebracht und zum Erfolg gecoacht. Unter ihm fanden auch kriselnde Spieler wie Marco Reus zurück zu alter Form. Oder wie Watzke es sagt: «Er hat die Mannschaft wieder zum Leben erweckt.» Nun soll er wieder zum Co-Trainer degradiert werden und dem neuen starken Mann aus Gladbach assistieren. Ab Sommer übernimmt Marco Rose das Amt des Cheftrainers. Das bringt die Borussia vor ein Dilemma.
Rose hat eine schwache Rückrunde hinter sich. Zwischenzeitlich gelang in sechs Spielen am Stück nur ein Punkt und man scheiterte im DFB-Pokal an Borussia Dortmund. Zuletzt gab es eine 0:6-Klatsche gegen Bayern. Auch in seiner ersten Saison fielen die Gladbacher in der Rückrunde von Platz zwei auf Platz vier. Der 44-Jährige hat noch keinen Beweis geliefert, dass er ein Team während einer ganzen Saison auf Kurs halten kann. Terzic hatte dazu noch nicht die Chance und nun wird dem zuletzt so erfolgreichen Trainer ein Coach vor die Nase gesetzt, der in letzter Zeit wenig zu feiern hatte.
Wie wird das Verhältnis zwischen dem Degradierten und seinem Nachfolger? Fügt sich Terzic trotz Interesses aus Wolfsburg und Leverkusen hinter dem neuen Chef ein oder folgt er doch dem Ruf von einem anderen Bundesligisten? Wäre es nicht auch für Rose ein Problem, einen Co-Trainer zu haben, unter dem die Mannschaft besser war, sollte der Neue nicht gleich in der ersten Saison Erfolg haben? All diese Fragen müssen sich «Aki» Watzke und Sportdirektor Michael Zorc jetzt stellen.
Denn das nötige Spielermaterial haben sie. Die Dortmunder haben eine schlagkräftige Truppe gebildet, die mit einigen wenigen Verstärkungen im Sommer definitiv das Zeug dazu hat, nächste Saison mindestens um den Meistertitel mitspielen zu können. Vorausgesetzt man hält Erling Haaland UND Jadon Sancho. Letzterer ist unter Terzic nach einer schwächeren Hinrunde wieder in Topform und zu einem noch besseren Spieler gereift. Logischerweise kommt da auch das Interesse aus dem Ausland – Manchester United soll kurz davor sein, eine Einigung zu erzielen.
Dennoch könnte ein Moment wie am Donnerstag den 21-Jährigen vielleicht doch noch überzeugen, ein Jahr in Dortmund dranzuhängen. Mit Erling Haaland versteht er sich hervorragend und auch sonst scheint die Stimmung im Team gut zu sein. In einem Interview mit ESPN sagte Sancho: «Ich bin aktuell sehr glücklich hier in Dortmund. Ich liebe den Verein, die Fans und die Mannschaft.» Dennoch wisse er nicht, wie seine Zukunft aussieht.
Sollte sich Sancho entgegen der aktuellen Berichte doch dazu entscheiden, beim BVB zu bleiben, werden die Hoffnungen für die nächste Saison bei Fans und Verantwortlichen riesig sein. Die Mannschaft, die im Pokalfinale auf dem Platz stand, könnte so zusammenbleiben. Einzig Klublegende Lukasz Piszczek tritt nach der Saison zurück. Und wenn Dortmund so spielt wie gegen Leipzig, müssen sich die Borussen vor niemandem verstecken. Daran wird sich der neue Trainer Marco Rose messen lassen müssen – keine einfache Bürde.
Doch Rose übernimmt eine funktionierende Mannschaft, die hinter dem neuen Co-Trainer steht. Wenn er das akzeptieren kann und Terzics Ideen genügend Raum gibt, könnte es eine erfolgreiche Zusammenarbeit werden, die auch langfristigen Erfolg verspricht. Dadurch könnte man einige der jungen Talente auch länger an sich binden. Denn in Dortmund zählt nie nur die nächste Saison. Mit Giovanni Reyna (18), Jude Bellingham (17) und Youssoufa Moukoko (16) steht die nächste Generation schon bereit. Dort muss Rose ansetzen und das Vertrauen der Spieler gewinnen.
Haaland und Sancho werden bald nicht mehr zu halten sein, die beiden sind jetzt schon Weltstars. Doch sollte es dem bisherigen Gladbach-Trainer gelingen, die Jungen mitzunehmen und an sich zu binden, dann wird er Erfolg haben. Dann könnte der Zweikampf zwischen Bayern und Dortmund aus den frühen 2010er-Jahren wieder aufleben, der in den letzten Saisons zu einem Fernkampf verkommen ist. Das würde nicht nur dem Ballspielverein, sondern auch der Bundesliga guttun.
Wenn ihm das aber nicht gelingt, steht sein Ersatz schon bereit. Edin Terzic hat in den letzten Wochen und Monaten gezeigt, dass er ein Bundesligateam leiten kann und hat das Vertrauen der Spieler und der Vereinsführung gewonnen. Nicht umsonst wollen die Verantwortlichen ihn unbedingt im Verein behalten und würden ihn nur ungern gehen lassen. Der Ruf nach dem Altbewährten könnte schon beim ersten Anzeichen einer Krise laut werden.
Damit müssen die Klubverantwortlichen, aber auch Marco Rose umgehen und diesem offensiv begegnen. Schafft das neue Trainergespann diesen Spagat jedoch und raffen sie sich zusammen, so können sie mit dieser Mannschaft gemeinsam grosse Erfolge feiern.
Für den längerfristigen Erfolg sehe ich einzig, dass die Supertalente mal über 4-5 Jahren gehalten werden und sich eine eingespielte Einheit bildet...