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Eiszeit statt Tea Time: Johnson brüskiert Schottlands Sturgeon

Eiszeit statt Tea Time: Johnson brüskiert Schottlands Sturgeon

04.08.2021, 12:43
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epaselect epa07747761 Prime Minister Boris Johnson (L) meets with Scotlands First Minister Nicola Sturgeon at Bute House, Edinburgh, Scotland, 29 July 2019. EPA/Stewart Attwood
Boris Johnson und Nicola SturgeonBild: EPA

Statt sich zur Tea Time zu treffen, herrscht zwischen dem britischen Premierminister Boris Johnson und der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon nun wohl endgültig Eiszeit.

Im Ton freundlich, doch in der Sache eindeutig hat Johnson, der am Mittwoch in den nördlichsten britischen Landesteil reisen wollte, eine Einladung Sturgeons zum Vier-Augen-Gespräch ignoriert. «Die Beziehungen zwischen London und Edinburgh sind kalt und im Wesentlichen - wenn auch nicht öffentlich - feindselig», sagte die Politologin Kirsty Hughes der Nachrichtenagentur DPA.

Angeheizt wird der Streit von der - in Einladung und Absage nicht angesprochenen - Kernfrage: der Forderung Sturgeons nach einem neuen schottischen Unabhängigkeitsreferendum. Ihre Schottische Nationalpartei (SNP) strebt eine Volksbefragung an, sie möchte raus aus dem Vereinigten Königreich und zurück in die EU. Bei der Parlamentswahl im Mai wurde sie für diesen Kurs belohnt. Nur knapp scheiterte die SNP an der absoluten Mehrheit. Doch gemeinsam mit den Grünen, die ebenfalls für eine Loslösung von London eintreten, hat sie im Parlament in Edinburgh genügend Stimmen beisammen. Medienberichten zufolge steht eine formale Kooperation kurz bevor.

Selbstbewusst kündigte Sturgeon an, im kommenden Jahr eine Volksbefragung auf den Weg zu bringen. Doch die Lage ist kompliziert. Denn die meisten Experten sind der Ansicht, dass ohne Zustimmung aus London ein Referendum nicht rechtens ist - und Johnsons Regierung lehnt dies bisher ab. Sie verweist auf die Befragung 2014, als sich eine knappe Mehrheit für den Verbleib aussprach. Die SNP betont hingegen, mit dem Brexit, den die Schotten ablehnen, hätten sich die Voraussetzungen fundamental verändert.

Für den Premier ist sein zweitägiger Besuch in Schottland - sein erster seit der Parlamentswahl - ein Ritt auf der Rasierklinge. «Johnson weiss, dass er in Schottland unbeliebt ist», sagte Expertin Hughes. «Seine Besuche helfen vor allem den Unabhängigkeitsbefürwortern.» Kritiker werfen dem Premier eine «England First»-Politik zulasten der anderen Landesteile vor. Wohl auch deshalb wurde die Reise erst kurzfristig bekannt.

Als Johnson im Januar nach Schottland fuhr, kritisierte Sturgeon den Besuch auf dem Höhepunkt der dritten Corona-Welle als unnötig. Nun lud sie ihren Kontrahenten explizit ein. Sie habe vernommen, dass er nach Schottland reise, schrieb sie spitz. Dies sei doch eine gute Chance, sich persönlich zu treffen und über den Weg aus der Corona-Pandemie zu sprechen. In Grossbritannien ist Gesundheitspolitik Ländersache. «Wir sind politisch unterschiedlicher Meinung, aber unsere Regierungen müssen zusammen arbeiten, wo es geht.» Auch in der Klimapolitik muss sich abgestimmt werden, denn Grossbritannien richtet im November die Weltklimakonferenz COP aus - im schottischen Glasgow.

Aber sicher hätte Sturgeon das «IndyRef2» angesprochen, wie das angestrebte Unabhängigkeitsreferendum genannt wird. Denn es gilt herauszufinden, ob die britische Regierung ihren Kurs geändert hat. Am Wochenende überraschte Staatsminister Michael Gove, selbst Schotte, mit der Aussage, London werde nicht im Wege stehen, wenn es im Norden den «festen Willen» zu einem Referendum gebe.

Was dafür den Ausschlag geben soll, sagte Gove nicht. «Sie wissen, dass sie eine demokratische Entscheidung nicht verhindern können», sagte ein ranghoher Politiker in Edinburgh mit Blick auf den Wahlsieg der Unabhängigkeitsbefürworter der DPA. «Sie wollen Zeit gewinnen.» Denn die Zeit spricht im Moment für die Union: Waren über Monate in Umfragen bis zu 58 Prozent der Schotten für die Loslösung, sind es derzeit weniger als 50 Prozent - Tendenz sinkend.

Er sei sehr an einem persönlichen Treffen interessiert, versicherte Johnson der «dear Nicola». Wie besprochen sei der beste Rahmen dafür ein Meeting, an dem auch die Regierungschefs der anderen Landesteile Wales und Nordirland teilnehmen. «Er meidet Sturgeon - im Wesentlichen aus politischer Feigheit», sagte Politologin Hughes. Johnson ist ein gebranntes Kind: Als er im Juli 2019 in Sturgeons Amtssitz Bute House war, wurde er von Demonstranten ausgebuht - und verliess das Gebäude durch die Hintertür. (aeg/sda/dpa)

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61 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Joe Hill
04.08.2021 13:51registriert Dezember 2015
Wenn London sich noch lange windet soll Edinburgh eben ernst machen: Referendum abhalten und anschliessend ganz offiziell und publikumswirksam die Republik ausrufen. Was will das impotente Restbritannien denn gross tun, einmarschieren?
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Don Alejandro
04.08.2021 18:16registriert August 2015
Also die Schott*innen haben alles Recht selbst zu entscheiden. Es ist ein autonomer Landesteil UKs...
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Victor Paulsen
04.08.2021 19:40registriert April 2019
Da hat Sturgeon nochmal Glück gehabt. Denn auf ein Treffen mit Johnson ist wohl keiner neidisch
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