Das Datum könnte symbolträchtiger nicht sein: Am 11. September 2021 will Joe Biden die letzten Soldaten aus Afghanistan abgezogen haben – 20 Jahre nach dem Angriff auf das World Trade Center in New York. Dieses Attentat der Terrororganisation Al Qaida war der Ausgangspunkt des längsten Krieges in der Geschichte der USA.
Dazu ein paar Zahlen: Insgesamt haben rund 800’000 Nato-Truppen in Afghanistan gekämpft. Heute sind noch 10’000 Soldaten dort stationiert, 3500 davon sind Amerikaner. Rund 2400 GIs sind gefallen. Bisher hat dieser Krieg die USA rund zwei Billionen Dollar gekostet.
Damit soll nun Schluss sein. Präsident Biden tut das, was seine Vorgänger nur versprochen haben: George W. Bush sah das Engagement als kurzen Feldzug, um die Taliban und Osama Bin Laden zu vertreiben. Barack Obama hatte mehrmals angekündigt, den Krieg zu beenden. Donald Trump wollte die Truppen spätestens bis zu Weihnachten wieder zu Hause haben und einigte sich zuletzt mit den Taliban auf den 1. Mai.
Für einmal tritt Biden in die Fussstapfen seines Vorgängers. Er beendet, was «der Typ vor mir» – wie er Trump nennt – immer wieder in Aussicht gestellt hatte. Biden war übrigens schon als Vize von Obama ein Befürworter eines raschen Rückzugs.
Ist dieser Rückzug das Eingeständnis, dass Afghanistan definitiv zu einem zweiten Vietnam geworden ist? Szenen wie beim Abzug aus Saigon wird es diesmal kaum geben. Es werden sich nicht verzweifelte Menschen um die letzten Plätze in einem amerikanischen Helikopter prügeln.
Doch Afghanistan wird nicht zufällig «Friedhof der Imperien» genannt. Die Amerikaner haben die gleich schmerzliche Lektion erteilt bekommen, wie vor ihnen schon zwei andere Grossmächte. Die Briten mussten 1842 unverrichteter Dinge aus dem Hindukusch abziehen, die Russen 1989.
Bitter dürfte es vor allem für die zurückgebliebenen Afghanen werden. Es ist mehr als fraglich, ob das Regime von Präsident Ashraf Ghani ohne Schutz der Nato-Truppen lange überleben wird, zumal es einen mehr als zweifelhaften Ruf geniesst. Ein Sturz dieser Regierung dürfte vor allem für die Frauen fatale Folgen haben. Es besteht die Gefahr, dass sie die wenigen Fortschritte der letzten Jahre wieder verlieren werden.
Für die Amerikaner ist der Rückzug eine entscheidende Wende in ihrer Aussenpolitik. Biden will sich offensichtlich auf die Gefahr konzentrieren, die ihm aus China droht. Deshalb wird er versuchen, das Engagement im Nahen Osten auf möglichst kleinem Feuer zu halten. «Er hat sich von den Israeli und den Saudis distanziert und zeigt keinerlei Anstalten, neue Friedensgespräche zwischen Israel und Palästina zu initiieren», stellt die «Washington Post» fest. «Das steht im Kontrast zu den Bemühungen der meisten seiner Vorgänger, die entschlossen waren, Frieden im Nahen Osten zu stiften.»
Vor allem jedoch will Biden den Fokus auf die Innenpolitik legen. Er will sein Versprechen, Amerika «besser aufzubauen», einlösen. Das bedeutet, dass er zuerst die Coronakrise bewältigen und danach die amerikanische Infrastruktur rundum erneuern will. Zyniker könnten versucht sein zu spotten: Biden mache wie Trump auf «Make America Great Again» – nur mit Erfolg.
Der Rückzug aus Afghanistan dürfte ihm dabei helfen. Die Mehrheit der Bevölkerung und vor allem die Veteranen begrüssen ihn. So erklärte etwa Jon Soltz, Vorsitzender der Organisation VoteVets: «In Worten können wir gar nicht ausdrücken, welche Erleichterung dies für die Truppe und ihre Familien ist.»
Die Republikaner geben sich derweil mehr oder weniger handzahm. Einzig Lindsey Graham motzte: «Ein vollständiger Rückzug aus Afghanistan ist dümmer als Dreck und teuflisch gefährlich. Präsident Biden hat de facto seine Versicherung gegen ein zweites 9/11 aufgeben.» Doch die Glaubwürdigkeit des Senators aus South Carolina hat mittlerweile unterirdisches Niveau erreicht.
Mit dem Rückzug aus Afghanistan zieht Präsident Biden den Schlussstrich unter einen der grössten Irrtümer der amerikanischen Aussenpolitik, den sogenannten «regime change». Diese These vertraten die sogenannten Neocons, die zuerst unter Ronald Reagan und danach unter George W. Bush grossen Einfluss hatten.
Beflügelt vom Fall der Berliner Mauer gingen die Neocons davon aus, dass die traditionelle Politik der Eindämmung (containment) von «bösen» Regierungen überholt sei. Gelingt es, diese Regierungen zu stürzen, dann stellen sich Demokratie, Marktwirtschaft und Liberalismus quasi von selbst ein.
Sie tun es nicht, wie die Experimente eines «regime changes» in Afghanistan als auch im Irak überdeutlich bewiesen haben. Deshalb dürfte diese naive Illusion endgültig zu Grabe getragen worden sein.
Genug Kluggeschissen.
Wolle doch korrekt sein und dafür nicht auch noch Putin verteufeln. Der war damals in Dresden
Hoffe ich liege falsch, aber es dürfte in Afghanistan nicht anders laufen. Das Land wird bald wieder gleich weit sein wie Ende Neunziger.
Ist schon etwas pietätlos vom Journalisten im Intro des Artikel nur die westliche Seite zu beleuchten. Wieviel Leid die Sowjet und USA in diesem Land verursacht haben ist vermutlich nicht wichtig. Bloss Geld und GIs sind wichtig.