Mitten im Parc des Eaux-Vives, gelegen an den Gestaden des Lac Léman, in Sichtweite zum Genfer Wahrzeichen, dem Jet d’Eau, wo mehr als hundert Jahre alte Bäume Schatten spenden und Segelboote anlegen, liegt die Anlage des Tennis Club de Genève. Es ist einer der ältesten, grössten und traditionsreichsten Klubs der Schweiz, gegründet 1896. Es ist der Ort, an dem Roger Federer nach zwei Operationen am Knie und über 400 Tagen Pause sein zweites Turnier bestreiten wird. Bei der Rückkehr Anfang März in Katars Hauptstadt Doha hatte er ein Spiel gewonnen, das zweite nach vergebenem Matchball in den Viertelfinals verloren.
Federer konnte und wollte zwar nicht verbergen, dass er körperlich noch weit von seiner Bestform entfernt ist. Seine Muskulatur war im letzten Sommer so verkümmert, dass er erstmals in seiner Karriere am Nullpunkt beginnen musste. Es war eine Rückkehr, die zu früh gewesen war, die ihm aber das Vertrauen gab, auf dem richtigen Weg zu sein. Was an dessen Ende liegen soll, machte er unmissverständlich klar: «Ich möchte grosse Turniere gewinnen und die besten Spieler schlagen. Ich bin nicht zurückgekommen, um mitten im Nirgendwo zweite Runden zu spielen.»
Co-Trainer Ivan Ljubicic, der selten öffentlich spricht und nicht als einer bekannt ist, der den Mund zu voll nimmt, sagte der «Gazzetta dello Sport»: «In Doha haben wir gesehen, dass sein Spiel noch da ist. Man muss nur auf physischer Eben feinjustieren.» Federer tat das in den letzten Wochen mit seinem Fitnesstrainer Pierre Paganini. Am Freitag trainierte er erstmals in Genf. Und wenn der Eindruck stimmt, den Federer in den Sequenzen, die ihn auf dem Trainingsplatz zeigen, vermittelt, dann hält man es für durchaus möglich, dass Federer im Jahr, in dem er seinen 40. Geburtstag feiert, noch einmal gelingt, das Rad der Zeit zurückzudrehen.
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— Musy Isabelle (@Isabellemusy) May 14, 2021
Tennis ist ein Sport, in dem man schnell erwachsen und noch viel schneller alt wird. Es ist ein Karussell, von dem die meisten vor dem 30. Geburtstag abgeworfen werden. Der Körper zwingt sie dazu, oder andere Lebensbereiche sind wichtiger geworden – der Wunsch nach Heimat, Verwurzelung, die Gründung einer Familie. Federer hat es geschafft, all das parallel zu verfolgen. Dank seiner Ehefrau Mirka, die ihm den Rücken freihält. Dank vieler kluger Entscheide. Dank der Pausen, die er sich wieder immer gegönnt hat. Und ja, auch dank etwas Glück.
Dass Roger Federer mit 39 noch immer Tennis spielt, liegt aber wohl vor allem in seinem Naturell begründet. Training ist für ihn keine lästige Arbeit und Tennis ein Spiel. Als 15-Jähriger erklärte er einmal seine Faszination für das Tennis, davon besessen, in diesem Rechteck mit dem Netz nicht den Gegner, sondern den Ball, seinen Freund und Feind zugleich, zu beherrschen. «Man sollte perfekt spielen können», sinnierte er. Der Satz steht heute mehr denn je für seine Haltung zum Tennis, das für ihn mehr Lebensstil als Sport ist, und über das er sagt: «Wenn du etwas im Leben am besten kannst, willst du es niemals aufgeben. Für mich ist das Tennis.»
Wenn Federer am Dienstag in Genf (18.00 Uhr) den Platz betritt, wird es 711 Tage her sein seit dem letzten Ernstkampf auf Sand, im Halbfinal von Roland Garros 2019, als er gegen Rafael Nadal verloren hatte. Es ist wieder ein Turnier, das im Zeichen des Aufbaus steht, das grosse Ziel ist es, in Wimbledon ab Ende Juni um den Titel zu spielen. An Genf hat Federer gute Erinnerungen. 2019 gewann er in der Palexpo-Halle den Laver Cup, 2014 auf dem Weg zum Davis-Cup-Sieg den Viertelfinal gegen Kasachstan und den Halbfinal gegen Italien. Weil täglich nur 100 Zuschauer zugelassen sind, wird die Atmosphäre diesmal aber familiär bis andächtig sein.
Genf soll der Ort werden, an dem Federer dem Jungbrunnen entsteigt. Vielleicht hilft es nun, dass Applaus, Pokale und Rekorde nie sein einziger Antrieb waren, sondern die Faszination für das Spiel. In der Woche vor dem Turnier in Genf sagte er, er habe den «Wunsch und die Mentalität, als junger Spieler anzutreten. Ich kann es kaum erwarten, Spiele zu spielen.» Und das nach über 20 Jahren in der Tennis-Karawane.
Roger Federer returns on home soil 🇨🇭
— ATP Tour (@atptour) May 14, 2021
He'll start against Jordan Thompson or Pablo Andujar. #gonetgenevaopen