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Wieso erschiessen alte Menschen immer noch ihre Partner?

Themenbild zur Sterbehilfe, Euthanasie. Haende einer Patientin und eine Rose im Spital Uznach, gestellte Aufnahme vom 6. Dezember 2001. (KEYSTONE/Martin Ruetschi) : FILM]
Abschied von einer sterbewilligen Person.Bild: KEYSTONE
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Wieso erschiessen alte Menschen ihre Partner, wenn es doch sanfte Sterbemittel gibt?

Religiöse Kreise verteufeln nach wie vor Institutionen, die ein humanes Sterben ermöglichen.
07.10.2019, 09:21
Hugo Stamm
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Diese Woche ereignete sich einmal mehr ein Drama, das aufwühlte. Eine 82-jährige Frau schoss in Küsnacht ZH auf ihren 90-jährigen Ehemann und richtete anschliessend die Waffe gegen sich. Sie starb, er überlebte schwer verletzt.

Ende August ereignete sich im Zürcher Quartier Albisrieden eine ähnliche Tragödie. Ein Betagter erschoss seine Frau und anschliessend sich selber.

Ein dritter Fall: Im Januar 2018 schlich ein 83-jähriger Mann ins Spital von Affoltern am Albis und tötet seine kranke gleichaltrige Ehefrau mit einer Waffe. Danach beging er Suizid. Die beiden hatten geplant, gemeinsam in den Tod zu gehen, wie die Angehörigen berichteten.

ARTE-Bericht über Sterbehilfe.Video: YouTube/Coffee drinker

Es ist offensichtlich, dass es sich bei den erweiterten Suiziden um Liebesdramen handelte. So, wie die Paare gemeinsam gelebt hatten, wollten sie gemeinsam sterben, weil einer der Partner krank war.

Es ist schwer vorstellbar, was Menschen dazu bringt, ihren geliebten Lebenspartner zu erschiessen und sich nachher selbst zu töten. Angst und Verzweiflung müssen grenzenlos sein, wenn alte Personen zu diesem finalen Mittel greifen.

Es stellt sich die Frage, ob es nicht andere Wege gäbe, den verzweifelten Menschen zu helfen oder sie zu erlösen. Es gibt eine sanfte Möglichkeit, doch scheinen speziell alte Menschen noch nicht mit ihr vertraut zu sein: Die Freitodbegleitung.

Film dokumentiert eine Sterbebegleitung.Video: YouTube/Addendum

Der Hauptgrund dürfte darin liegen, dass der begleitete Suizid früher sehr anrüchig war. Konservative Kreise und die Landeskirchen verteufelten Institutionen für humanes Sterben wie Exit und Dignitas erfolgreich.

In den letzten Jahren ist aber ein Gesinnungswandel zu beobachten, die Akzeptanz ist deutlich gestiegen. Allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass die seriöse und verantwortungsbewusste Freitodbegleitung ein Segen sein kann.

Einzig die katholische Kirche und die Freikirchen stemmen sich nach wie vor mit aller Macht dagegen, dass kranke und verzweifelte alte Menschen frei über ihr Leben und somit auch ihren Tod entscheiden können.

Das Baselbieter Strafgericht verhandelt seit Mittwoch einen Sterbehilfe-Fall, bei dem Natrium-Pentobarbital in tödlicher Dosis per Infusion zum Einsatz kam. (Symbolbild)
Pentobarbital sorgt für ein schmerzloses und rasches Sterben.Bild: KEYSTONE

Sie führen religiöse Dogmen an und berufen sich auf 2000 Jahre alte Denknormen aus der Bibel. Frei nach dem Motto: «Gott hat das Leben gegeben, Gott wird es nehmen.»

In der Bibel werden zwar mehrere konkrete Suizide beschrieben – vorwiegend im Alten Testament - doch werden die Selbsttötungen nicht bewertet. Es heisst also nicht, Suizid sei verboten oder eine schwere Sünde. Es gibt aber mehrere Stellen, die insinuieren, dass das Leben Gott gehört.

Obwohl die Bibel Menschen, die Suizid begehen, nicht explizit verurteilt, hat sich die katholische Kirche Jahrhunderte lang geweigert, Menschen auf dem Friedhof zu beerdigen.

Da kommen Fragen auf: Was hat Gott davon, wenn er Menschen, die das Leben in Würde gemeistert haben, sinnlos leiden sieht? Ergötzen wird er sich wohl kaum daran. Und was bringt es ihm, wenn ein greiser Mensch ein paar Monate länger lebt? Leidend!

Was bringt es dem todkranken Patienten? Mehr Wille? Mehr Lebenserfahrung? Ein erweitertes Bewusstsein? Vielleicht. Doch was nützt ihm dies, wenn er eh bald stirbt und die neuen Erkenntnisse nicht mehr anwenden kann?

Lass dir helfen!
Du glaubst, du kannst eine persönliche Krise nicht selbst bewältigen? Das musst du auch nicht. Lass dir helfen. In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.
Die Dargebotene Hand: Tel.: 143, www.143.ch
Beratung + Hilfe 147 für Jugendliche: Tel.: 147, www.147.ch
Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch

Einen würdevollen Tod ermöglichen

Am Lebensende verschieben sich Perspektiven und Lebenssinn radikal. Es geht nicht mehr darum, etwas zu leisten oder einen sinnvollen Beitrag zum Gemeinwohl beizusteuern.

Nein, es geht darum, den vielleicht schwersten Lebensabschnitt in Würde zu bewältigen. Es geht darum, dass auch alte Menschen die geistige Autonomie und die Freiheit der Selbstbestimmung behalten. Und es geht darum, dass sie sich allenfalls von den Ängsten befreien, dass Gott ihnen den Himmel verwehren und sie in die Hölle verbannen könnte.

Denn nur diese geistige Freiheit könnte in Zukunft alte Leute daran hindern, die Pistole in die Hand zu nehmen und den geliebten Lebenspartner zu erschiessen. Eine solche Unabhängigkeit kann sie befähigen, allenfalls die Hilfe von Organisationen in Anspruch zu nehmen, die einen würdigen Tod ermöglichen.

PS: Hugo Stamm ist Mitglied des Patronatskomitees von Exit, der Vereinigung für humanes Sterben.

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Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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192 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lisbon
05.10.2019 08:52registriert Januar 2019
Was im Artikel leider nicht zur Sprache kommt, ist, dass man für eine Freitodbegleitung Urteils- und Handlungsfähig sein. Wenn man schon sehr krank ist und darum nicht mehr versteht, was um einen geschieht, dann hilft einem Exit und Dignitas nicht mehr. Ich spreche aus Erfahrung, weil mein Onkel seine schwere Krebserkrankung (Ärzte konnten nichts mehr machen) abkürzen wollte, und die beiden Organisationen nicht mehr kommen wollten.
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Händlmair
05.10.2019 08:37registriert Oktober 2017
Ich habe schon vor Jahren eine klare Vorstellung wie ich sterben will. Ich stelle mir ein Haus in den Bergen oder an einem See vor. in dem Haus gibt es Zimmer mit grosse Panoramafenster die einen herrlichen Ausblick in die Berg- oder Seenlandschaft frei gibt. Ich sitze dann auf einem bequemen Sessel, habe einen teuren Rotwein neben mir und meine Liblingsmusik läuft. Dann nehme ich das Pentobarbital ein, nimm ein schluck Wein und stirb. Dies entweder alleine oder zusammen mit meinem geliebten. Partner. Und das ohne das ich tödlich krank bin, sondern einfach weil ich das Leben gesehen habe.
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Tekk
05.10.2019 08:50registriert April 2018
Was ich mich so nebenbei frage, da war oder ist doch in den USA das Problem das sie für ihre Hinrichtungen nicht den nötigen "Giftcocktail" bekommen um mit der Giftspritze hinzurichten. Warum nemen die nicht "Pentobarbital"? Wenn das doch so einfach ist eine Tablette zu nehmen, warum der andere Aufwand mit der Giftmischung? Können Sie das erklären Herr Stamm? Danke.
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