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Warum auch traditionelle Religionen in der Sektenfalle stecken

Bischof Vitus Huonder beim Gottesdienst im Kloster Melchtal anlaesslich des 150 Jahre Jubilaeums des Klosters Melchtal St. Niklaus von Fluee, am Samstag, 25. Juni 2016, in Melchtal im Kanton Obwalden. ...
Der Absolutheitsanspruch kommt auch bei den Gottesdiensten und Predigten zum Ausdruck. Auch bei Bischof Vitus Huonder.Bild: KEYSTONE
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Warum auch traditionelle Glaubensgemeinschaften in der Sektenfalle stecken

In einer Welt, die ständig im Fluss ist, erweist sich der Absolutheitsanspruch als Pferdefuss .
27.04.2020, 07:14
Hugo Stamm
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In allen Religionsgemeinschaften steckt im Kern etwas Sektenhaftes. Das Zitat ist nicht von mir, sondern vom Religionswissenschaftler, Theologen, Pfarrer und ehemaligen Leiter der reformierten Sektenberatungsstelle relinfo.ch, Georg Schmid (nicht zu verwechseln mit seinem Sohn gleichen Namens, der inzwischen die Beratungsstelle leitet). Zu erwähnen ist, dass Schmid ein sehr toleranter und verständnisvoller Beobachter religiöser Phänomene ist.

Sein Grundgedanke: Religionen zeichnen sich durch einen Absolutheitsanspruch aus. Das liegt im Wesen des Glaubens, birgt aber auch die Gefahr des Radikalen. Die Geschichte der Glaubensgemeinschaften und die vielen Religionskonflikte zeigen, dass Georg Schmid mit seiner Analyse sicher nicht falsch liegt.

Ein deutscher Pastor zum Thema Absolutheitsanspruch:

Einen weiteren Punkt sehe ich im Umstand, dass die meisten Heilslehren einfache Glaubenskonzepte anbieten, die aus heutiger Sicht nicht sehr glaubwürdig oder plausibel wirken. Sie fixieren sich weiterhin auf den Anspruch der unverrückbaren Glaubenswahrheit. Damit verschanzen sie sich im geistigen Reduit und lenken unter anderem von den Widersprüchen ab.

Die Krux traditioneller Glaubensgemeinschaften liegt darin, dass sich die Welt geistig und wissenschaftlich in eine Richtung entwickelt, die den Religionen nicht bekömmlich ist. Unser Leben wurde in den letzten Jahrzehnten derart komplex, dass der Kontrast zu religiösen Heilskonzepten mit ihren einfachen Erklärungs- und Deutungsmustern augenfällig wird.

Um der Sektenfalle zu entgehen, wäre eine tolerante Haltung der Glaubensgemeinschaften gegenüber den Gläubigen wichtig.

Eine weitere Kurx: Ein religiöser Glaube muss möglichst massentauglich sein. Man kann den Gläubigen keine religiösen Konzepte präsentieren, die hochkomplexe theologische Abhandlungen enthalten.

Die Mehrheit der Gläubigen will Götter zum Anfassen und religiöse Geschichten, die leicht fassbar sind. Mit geistig anspruchsvollen Ideen lassen sich nur schlecht religiöse Rituale zelebrieren, die ein emotionales Schaumbad im Kollektiv bieten.

Doch die Reduktion der komplexen Realität auf einfache Glaubensmuster kann dem Anspruch an philosophische, transzendentale und metaphysische Phänomene nicht wirklich gerecht werden. Es ist nur schon eine geistige Herkules-Aufgabe, das Sein zu ergründen.

Wer schon einmal versucht hat, Werke von Kant oder Hegel zu verstehen, dem kommt beispielsweise die christliche Heilslehre mit ihrem Gott im Himmel und der Erlösung nach dem Tod etwas gar eindimensional vor.

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Interpretationsspielraum für Gläubige

Um der Sektenfalle zu entgehen, wäre eine tolerante Haltung der Glaubensgemeinschaften gegenüber den Gläubigen wichtig. Diese müssten mehr Spielraum erhalten, um die Dogmen und Heilskonzepte nach ihren Bedürfnissen anwenden und interpretieren zu können. Das würde zwar den Absolutheitsanspruch aufweichen, die Gläubigen erhielten aber mehr Freiheit, und die Indoktrination würde erheblich erschwert.

Leben bedeutet Bewegung. Wer sich bewegt, verändert sich. Das Bewusstsein von uns Menschen unterliegt einem dauernden Wandel, einem Prozess – gefördert von geistigen, wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen, Errungenschaften und Fortschritten.

Die Religionen und Glaubensgemeinschaften entziehen sich wegen ihren starren Dogmen und dem Absolutheitsanspruch weitgehend diesen natürlichen Prozessen. Deshalb müssen sie sich nicht wundern, wenn die Karawane weiterzieht und sie mehr und mehr am Wegrand liegen lässt.

Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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Antwort: Ostern, Western, Karneval.
Klasse 5
quelle: shutterstock.com
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214 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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bullygoal45
25.04.2020 09:45registriert November 2016
Steckt nicht fast jede auch nicht-religiöse Gemeinschaft in der Sektenfalle?

Bsp: SVP

Punkt 1 von 8: Eine Führungspersönlichkeit, deren Aussagen nicht hinterfragbar sind und der allfällige Verehrung zukommt.

—> Christoph Blocher 😁

Es würde mich nicht wundern, wenn im Fischental hinten einige am Abend im Bett heimlich zu ihm beten..😉
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Leroy Jethro Gibbs
25.04.2020 09:05registriert Mai 2015
Momentan ist aber, entgegen der These von Hugo Stamm, sehr schön zu beobachten, wie die Reformierten Landeskirchen in der Schweiz, die häufig diesen Absolutheitsanspruch abgegeben haben, ihre Teilnehmer verlieren. Ihre Kirchenbänke bleiben leer, hingegen wachsen die Freikirchen, die diesen Anspruch vehement vertreten, weiter. Woran könnte das liegen? Will der Mensch womöglich wissen woran er ist und nicht eine aufgeweichte Version mitbekommen? Die Karawane zieht meines Erachtens dort weiter, wo die Menschen nicht wissen, woran sie genau sind.
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Michael Bamberger
25.04.2020 12:30registriert Februar 2016
Rosesarered: "Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass man als Mensch alles hinterfragen muss, ob es das wirklich wirklich gibt."

Ohne das menschliche Hinterfragen, Entdecken, Überprüfen etc., gäbe es keine Wissenschaft. Und ohne Wissenschaft gäbe es auch den Computer nicht, auf dessen Tastatur Rosesarered seine/ihre Einfälle tippen und in die Cyberwelt versenden könnte.
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Wie ich dem Tod von der Schippe sprang
Ich muss weg. Einfach mal raus in die Natur. Abschalten. Kein Internet. Kein Netflix. Nur ich und ich. Klingt theoretisch super. Praktisch erlebe ich mein eigenes Blair Witch Project.

Ich bin genervt. Von Sandros Rastlosigkeit, von meinem Vermieter, vom Wohnungsmarkt, vom Wetter, von Cleo und von meiner Cellulitis. Also eigentlich macht mich die ganze Welt hässig. Sogar die Teenies, die an der Bushaltestelle Deutsch-Rap hören und auf den Boden spucken. Und dann bin ich genervt davon, dass mich das nervt.

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