Fiat Lux ist die Mutter aller Sekten. Und Uriella die Ur-Mutter aller Sektenführerinnen. Wenn sie Kinder hätte, müsste man wohl sagen, sie sei die Urgrossmutter. Denn sie ist betagt und konnte diese Woche ihren 90. Geburtstag feiern.
Gefeiert wurde aber nur in einem sehr kleinen Rahmen, wenn überhaupt. Denn Uriella lebt seit rund 10 Jahren in einer hermetisch abgeschlossenen Blase. Die exzentrische Schweizerin, die in den 1990er-Jahren fast im Wochenrhythmus Fernsehstationen in Deutschland, der Schweiz und Österreich mit ihren skurrilen Auftritten beehrte, ist von einem Tag auf den anderen abgetaucht. Im tiefen dunklen Schwarzwald.
Uriella hat nichts ausgelassen, was Sekten so verstörend und unheimlich macht. Sie versteht sich primär als Sprachrohr Gottes. Wenn sie seine Botschaften aus dem Himmel empfängt, rutscht sie in eine Trance ab und zuckt, als fahre ein Blitz durch ihren Körper. Die Botschaften schreibt sie auf.
Diese haben es in sich. Jesus prophezeite ihr früher apokalyptische Horrorszenarien. So sollten die Russen in Deutschland einfallen und ein Meteorit in die Nordsee einschlagen und halb Deutschland überfluten.
Ihre fundamentalistische christliche Heilslehre reicherte sie mit kruden esoterischen Versatzstücken, Verschwörungstheorien, Ufos, apokalyptischen Horrorszenarien und alternativen Heilmethoden an. So starb auch mal eine junge Anhängerin an einer Hirnhautentzündung, weil sie sich von Uriella behandeln lassen und Schulmedizin abgelehnt hatte. Uriella wurde angeklagt, aber wegen mangelnden Beweisen freigesprochen. Ähnlich verhielt es sich in einem zweiten, ähnlichen Fall.
Auch sonst hatte Uriella viel Ärger mit Behörden und Justiz. Sie betrieb Medikamentenschmuggel im grossen Stil, wurde wegen Steuerhinterziehung belangt und von einer ehemaligen Anhängerin angeklagt, die ihr ein Darlehen im sechsstelligen Betrag gegeben hatte, das ihr Uriella nicht zurückzahlen wollte.
Das ist zwar Schnee von gestern, doch auch heute noch nicht unerheblich. Denn Uriella bleibt einer breiten Öffentlichkeit lediglich als TV-Clown und Ulknudel bekannt. Vielleicht ein bisschen durchgeknallt – sie erhielt nach einem Reitunfall ihre erste Offenbarung von Gott –, doch so richtig ernst genommen hat sie kaum jemand.
Diese Verharmlosung war fatal, denn innerhalb der Sekte führte Uriella die bis zu 1000 Anhänger mit eiserner Hand. Erika Bertschinger – so ihr weltlicher Name – beherrschte die ganze Klaviatur der Indoktrination. Von der Untergrabung des Selbstwertgefühls über die Askese – fasten bis zum Umfallen – bis zur Unterwerfung und Selbstaufgabe.
Die Medien verhalfen Uriella zu ungeahnter Popularität, der Orden Fiat Lux hatte Zulauf. Einerseits waren manche spirituellen Sucher fasziniert von dem Mix aus Esoterik, Christentum, Ufo-Glaube, Apokalypse und alternativen Heilmethoden, andererseits erschien der Orden fatalerweise als harmloser Club von Enthusiasten.
Doch zurück zum Jubiläum von Uriella. Ich wurde in den letzten Jahren mit schöner Regelmässigkeit von Passanten angesprochen und gefragt, ob Uriella noch lebe. Ihr Ehemann Icordo, der Fiat Lux seit zehn Jahren weitgehend allein führt, sagte mir schon vor ein paar Jahren, natürlich lebe Uriella. Sie sei schwer krank und leide für die Menschheit.
Gegenüber dem «Blick» verriet er anlässlich des runden Geburtstags, sie sei von der Hüfte an abwärts gelähmt und bettlägerig. Es stellt sich die Frage, weshalb Uriella, die Fernsehauftritte fast so sehr geliebt hat wie Jesus, plötzlich so radikal abgetaucht ist.
Sie hat nicht einmal den Bürgermeister empfangen, der ihr zum Geburtstag gratulieren wollte. Mit einem authentischen Lebenszeichen hätte sie alle Spekulationen aus der Welt schaffen können.
Dass sie wie Maria, die Mutter von Jesus, in den Himmel aufgefahren ist, ist wohl eher unwahrscheinlich.