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Kennst du die Antwort auf die Frage: Gibt es gute Sekten?

Bhagwan Shree Rajneesh, right, speaks with his disciples in this undated photo in Rajneeshpuram, Ore. Patrons of 10 restaurants in The Dalles, Ore., became ill in Sept. 1984, after being poisoned by m ...
Sannyasins lauschen ihrem Gurus Osho, frĂŒher Bhagwan genannt.Bild: keystone
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Kennst du die Antwort auf die Frage: Gibt es gute Sekten?

15.05.2021, 08:1315.05.2021, 14:40
Hugo Stamm
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Bei VortrĂ€gen und Interviews werde ich immer mal wieder gefragt, ob es ĂŒberhaupt gute Sekten gibt. Die Frage macht zuerst einmal klar, dass der Begriff einen negativen Beigeschmack hat. Die meisten Leute denken intuitiv an Vereinnahmung, AbhĂ€ngigkeit, GehirnwĂ€sche und an einen radikalen Glauben.

Doch Sekten sind keine uniformen Glaubensgemeinschaften oder spirituelle Organisationen. Die Sektenlandschaft ist ein bunter Flickenteppich. In der Schweiz gibt es schÀtzungsweise 1000 problematische Gruppen, die sektenhafte Aspekte aufweisen.

Einen betrĂ€chtlichen Teil machen Freikirchen aus, die in allen grösseren Gemeinden aktiv sind. ZahlenmĂ€ssig am stĂ€rksten ins Gewicht fallen aber kleine Gruppen, die sich um einen esoterischen Meister, spirituellen Lehrer, Geistheiler, selbsternannten Propheten, Anbieter aus dem alternativmedizinischen Spektrum oder ein ĂŒbersinnliches Medium scharen.

Sophie Jones befreite sich von den Zeugen Jehovas und erklÀrt, was sie unter einer Sekte versteht.Video: YouTube/Sophie Jones

So entstehen laufend neue Gruppen, die aber oft wieder verschwinden und durch andere ersetzt werden. Erfolg haben meist nur jene Möchtegern-Gurus, die mit einem guten Mundwerk gesegnet sind und vollmundig ĂŒberzogene spirituelle und religiöse Versprechen machen. Und mit den Mitteln von Sehnsucht und Angst die Leute anlocken und an sich binden können.

Die Konkurrenz ist gross

Wer dies schafft, gewinnt einen Kundenkreis, der das Einkommen sichert. Denn die Konkurrenz ist gross, gibt es doch Tausende Anbieter auf dem esoterischen, spirituellen und religiösen Markt.

Doch was zeichnet heute eine Sekte aus? Diese Frage wĂ€re Stoff fĂŒr BĂŒcher. Deshalb hier nur eine Kurzversion. FrĂŒher und per Definition waren Sekten Abspaltungen von traditionellen Glaubensgemeinschaften. Damals wurde der Begriff wertneutral empfunden. So spalteten sich beispielsweise Freikirchen von der protestantisch-evangelischen Kirche ab.

Uriella, das Fiat-Lux-Oberhaupt, zeigt auch in der Sendung 'Arena' von SF1 zum Thema 'Sekten - Macht und Ohnmacht', am Freitag, 14. April 2000, ihr bekanntes Laecheln. (KEYSTONE/Wa ...
Uriella war eine der bekanntesten SektenfĂŒhrerinnen.Bild: KEYSTONE

Schon im 19. Jahrhundert gab es aber esoterische Gruppen, die sektenhafte ZĂŒge aufwiesen. Das russische Medium Helena Petrovna Blavatsky reiste damals nach SĂŒdostasien und liess sich von den fernöstlichen spirituellen Ideen inspirieren. 1875 grĂŒndete sie die Theosophische Gesellschaft, die Urmutter der westlichen Esoterik. Ihr WeggefĂ€hrte war Rudolf Steiner, der spĂ€ter die Anthroposophie ins Leben rief.

Der Begriff Sekte bekam im 20. Jahrhundert eine neue, abwertende Bedeutung. Nun wurden der Glaube, die Strukturen und der Umgang mit den AnhÀngern und GlÀubigen kritisch bewertet.

Ins Rampenlicht gerieten vor allem die AnfĂŒhrer, VerkĂŒnder oder Gurus der Gemeinschaften, die als absolute AutoritĂ€ten auftraten und eine eigene Heilslehre predigten. Dabei wurde vermehrt das sektenhafte Verhalten aus psychologischer Warte angeprangert.

Die Versprechen sind zwar irrational und unerfĂŒllbar, doch sie klingen verlockend auf suchende Menschen.

Gleichzeitig realisierten Kritiker, dass nicht nur in religiösen Gemeinschaften sektiererische PhÀnomene wie Vereinnahmung und Indoktrination beobachtet werden konnten, sondern auch in radikalen weltanschaulichen und politischen Bewegungen. Somit erhielt der Begriff Sekte eine neue Bedeutung.

Doch zurĂŒck zur Frage, ob es gute Sekten gibt.

GrundsĂ€tzlich ist zu erwĂ€hnen, dass sektenhafte Gruppen Angebote machen, die viele Leute neugierig werden lassen und manche sogar faszinieren. Die SektenfĂŒhrer versprechen das ĂŒbersinnliche Heil, das Engagement in einer auserwĂ€hlten Gruppe, einen umfassenden Lebenssinn, eine goldene Zukunft sowohl im Diesseits wie im Jenseits und Geborgenheit in einer eingeschworenen Gemeinschaft.

Die Versprechen sind zwar irrational und unerfĂŒllbar, doch sie klingen verlockend auf suchende Menschen. Sie vermitteln eine neue Lebensperspektive und fĂŒhren zusammen mit dem Lovebombing der Gruppe zu euphorischen GlĂŒcksgefĂŒhlen.

Zustand des ewigen Verliebtseins

Diese werden zwar von Hirngespinsten erzeugt, doch die Emotionen fragen nicht nach dem Wahrheitsgehalt der glĂŒcksbringenden UmstĂ€nde. Sektennovizen erleben es als Zustand des Verliebtseins, der verspricht, ewig anzudauern. Eigentlich ein Sechser im Lotto des Lebens.

Doch die Krux liegt im Kleingeschriebenen, das ausserdem gut versteckt ist. Denn die Einbindung in eine Sekte hat einen Preis, einen sehr hohen sogar. Das Heil ist an harte Bedingungen geknĂŒpft.

Da ist einmal die Selbstaufgabe. Die Mitglieder oder AnhĂ€nger mĂŒssen alles, was in der Sektenwelt gilt, bedingungslos ĂŒbernehmen. Oft nicht nur im religiösen oder ideologischen Bereich, sondern auch im sĂ€kularen. Allein schon Fragen sind verpönt, geschweige denn kritische EinwĂ€nde.

Alles oder nichts

Es gilt das Motto: «Alles oder nichts». Der Scientology-GrĂŒnder Ron Hubbard formulierte es so: «Niemand kann zur HĂ€lfte innerhalb und zur HĂ€lfte ausserhalb von Scientology sein.»

Verlangt wird eine UniformitĂ€t im Handeln, Denken, FĂŒhlen und Glauben. Respekt und Zuneigung sind an Wohlverhalten und KonformitĂ€t gebunden. Alles dient angeblich einem höheren Zweck, auch die Liebe.

Dies fĂŒhrt meist zu einer Entfremdung von der angestammten Welt, sowohl im sozialen wie geistigen und spirituellen Bereich. Im Extremfall kann dies eine Entmenschlichung bewirken.

Denn wer sich so stark unterordnet, verliert den Bezug zu seinem inneren Ich. Er lĂ€sst sich manipulieren und wird zu einem willfĂ€hrigen Werkzeug der FĂŒhrungskrĂ€fte. Die Werteverschiebung fĂŒhrt meist zu einer BewusstseinsverĂ€nderung, einem RealitĂ€tsverlust und einer unheilvollen Radikalisierung oder Fanatisierung.

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Bereit, fĂŒr den SektenfĂŒhrer zu sterben

Im Extremfall sind die SektenanhĂ€nger bereit, fĂŒr ihren SektenfĂŒhrer zu morden oder zu sterben, wie die kollektiven Sektendramen oder die TerroranschlĂ€ge der Islamisten zeigen.

SelbstverstÀndlich sind die wenigsten Sekten so radikal. Es gibt unter den rund 1000 Gruppen in der Schweiz eine grosse Bandbreite, was das Gefahrenpotential betrifft. Doch im Kern tragen alle Gruppen das Manipulations- und Indoktrinations-Gen in sich.

Unter dem Strich rauben alle Sekten ihren AnhĂ€ngern einen Teil ihrer geistigen Autonomie, IdentitĂ€t, Selbstbestimmung und Freiheit. Die negativen Auswirkungen ĂŒberwiegen deshalb bei weitem.

Deshalb gilt: Es gibt keine guten Sekten.

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Hugo Stamm, Sektenblog
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Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hĂ€lt VortrĂ€ge, schreibt BĂŒcher und berĂ€t Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und SeelenfÀngerei.

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269 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TanookiStormtrooper
15.05.2021 12:50registriert August 2015
Es gibt gute Sekten:

Insekten

🐜🐞
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MALUS
15.05.2021 08:50registriert Januar 2021
Ausbreitung, Ansteckungsrisiko, GefÀhrlichkeit
sind unterschiedlich.

Ich wĂŒnsche allen eine gute Resistenz gegen Viren und Sekten.
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TheRealSnakePlissken
15.05.2021 08:53registriert Januar 2018
Neben den Sekten mit vorrangig religiösen Inhalten mit ihrer Behauptung, es existiere eine irgendwie geartete parallele RealitĂ€t, die auf die diesseitige einwirkt, darf nicht vergessen gehen, dass die sĂ€kularisierten Konkurrenten - ich nenne nur Kommunismus, Nationalismus und Faschismus - eine gewaltige Spur der VerfĂŒhrung und Vernichtung in der Menschheitsgeschichte hinterlassen haben. Insbesondere der Personenkult - um Stalin, Hitler, Mao und heute noch um die Kim-Dynastie in Nordkorea - lĂ€sst doch jeden religiösen SektenfĂŒhrer vor Neid erblassen.
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