Für die protestantische Kirche und viele Freikirchen sind Ostern das wichtigste sakrale Ereignis des Kalenderjahres. Die Kreuzigung von Jesus am Karfreitag und seine Auferstehung am Ostersonntag gehören zur Schlüsselstelle in ihrer Heilsgeschichte.
Jesus hat mit seinem Tod das Leid auf sich genommen, um uns Menschen zu erlösen. Der fleischgewordenen Sohn Gottes, erfüllt also für die Christen eine ähnlich wichtige religiöse Funktion wie Gott Vater.
Die symbolträchtige Geschichte von der Kreuzigung Jesu‘ und seiner Auferstehung von den Toten hat aber aus christlicher Sicht einen Makel. Ausgerechnet für die Juden, das auserwählte Volk Gottes, ist Jesus nicht der Messias und schon gar nicht der Sohn Gottes.
Das kratzt am Glaubensverständnis strenggläubiger Christen. Denn nach ihrem Bibelverständnis kann sich die christliche Heilsgeschichte erst dann verwirklichen, wenn die Juden den christlichen Heiland als Messias anerkennen und annehmen. Doch davon wollen die Juden nichts wissen. Deshalb ist für die christlichen Dogmatiker die ersehnte Erlösung noch in weiter Ferne.
Dieses Dilemma provoziert die existentielle Frage: Wer verkörpert nun den wahren Glauben, die richtige Religion? Die Juden oder die christlichen Kirchen? Das führt zur nächsten Frage, die in religiösen Kreisen weitgehend tabu ist: Hängen die Juden, das auserwählte Volk Gottes, etwa einer Irrlehre an, weil sie nicht an Jesus und die Trinität glauben? Oder liegen die Christen falsch? Ist das Neue Testament nicht von Gott inspiriert?
Als weitere Irritation der Ostergeschichte kommt der Umstand hinzu, dass Jesus ausgerechnet im gelobten Land gekreuzigt wurde.
Dass die beiden Weltreligionen die gleichen Wurzeln haben und den gleichen Gott anbeten, ist unbestritten. Sie fussen auf dem Alten Testament. Doch beim Neuen Testament, das die Heilsgeschichte von Jesus erzählt, scheiden sich die religiösen Wege. Da machen die Juden nicht mit.
Zwar warten auch die Juden auf die messianische Erlösung, doch ein «schwacher» Erlöser wie Jesus, der sich kreuzigen lässt, können sie nicht als glaubwürdigen Messias akzeptieren.
Es gibt für die heutigen Juden auch historische und politische Ereignisse, die es ihnen verunmöglichen, Jesus als ihren Erlöser anzunehmen. Sie können nicht verstehen, weshalb ausgerechnet sie als das auserwählte Volk im Namen von Jesus immer wieder diskriminiert, ausgegrenzt, verfolgt und umgebracht wurden.
Ein weiterer Aspekt: Die Bibelforscher und Theologen sind sich weitgehend einig, dass der Jude Jesus keine neue Religion gründen wollte. Christian Danz, Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, formuliert es so: «Er (gemeint ist Jesus) praktizierte den religiösen Kultus seines Volkes und hatte wohl kaum die Absicht, eine neue oder andere Religion zu stiften.»
Daraus ergibt sich ein weiteres Dilemma, das den Graben zwischen dem Judentum und dem Christentum zusätzlich vergrössert. Nach der biblischen Vorstellung von strenggläubigen Christen kann sich die Heilsgeschichte erst vollenden, wenn das in alle Welt zerstreute Volk der Juden wieder im heiligen Land vereint ist und Jesus als Sohn Gottes akzeptiert. Vorher gibt es keine Aussicht auf Erlösung.
Beide Bedingungen scheinen aus heutiger Sicht unerfüllbar, was vor allem Freikirchen in die schiere Verzweiflung treibt. In ihrem apokalyptischen Hang sehnen sie sich nach der baldigen Wiederkunft Christis. Viele Pastoren und Prediger machen den Gläubigen denn auch weis, wir würden in den letzten Tagen leben.
Um die biblischen Bedingungen für die Erlösung aktiv zu fördern, charterten Freikirchen Flugzeuge, um beispielsweise Juden aus anderen Ländern ins gelobte Land zu bringen. Und sie unterhalten Missionsstationen in Israel, um Juden zu überzeugen, dass Jesus wirklich der Sohn Gottes ist.
Religion und Glaube können kompliziert sein. Es reicht nicht, an den gleichen Gott zu glauben, um ihn gemeinsam in einem Gotteshaus anzubeten. Der Absolutheitsglaube, Missverständnisse, Diskriminierung oder Unterschiede in der Auslegung der heiligen Schriften verhindern einen österlichen Frieden.