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Verbannt, gehackt, offline: Bei Parler herrscht das totale Chaos

Ein Posting auf Parler: Nach Google und Apple hat auch Amazon Parler rausgeworfen. Die Hass-Plattform ist somit auch im Browser tot.
Ein Posting auf Parler: Nach Google und Apple hat auch Amazon Parler rausgeworfen. Die Hass-Plattform ist somit auch im Browser tot.
screenshot: watson

Verbannt, gehackt, offline: Bei der Trumpisten-App Parler herrscht das totale Chaos

Das rechte Twitter-Pendant Parler sollte für Trump-Anhänger zur neuen Heimat werden. Doch jetzt hat Cloud-Anbieter Amazon der Hass-Plattform den Stecker gezogen. Kurz zuvor schlugen Hacker zu und erbeuteten angeblich sämtliche Nutzerdaten. Bald könnten weitere Kapitol-Stürmer ins Gefängnis wandern.
11.01.2021, 19:0712.01.2021, 16:46
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Parler ist ein Sammelbecken für Trumpisten und rechte Verschwörungserzähler im Netz – quasi Facebook ohne Moderatoren. Seit Montag ist die bei Trump-Anhängern beliebte Social-Media-Plattform komplett offline. Amazon hat Parler aus seiner Cloud geworfen und sorgt so dafür, dass die Hass-Schleuder weder im Web noch via App verfügbar ist. Zuvor haben am Wochenende Google und Apple die App aus ihren App-Stores verbannt.

Parler fand seit 2018 vor allem bei US-Nutzern aus der rechten und rechtsextremen Ecke Anklang, weil die Betreiber Hassrede unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit tolerieren. Selbst offene Gewalt- und Mordaufrufe wurden mit Verweis auf die Meinungsfreiheit stehen gelassen.

In den letzten Tagen wurde auf Parler zu einem neuen Sturm auf Joe Bidens Amtseinführung aufgerufen. Für Amazon, Apple und Google Grund genug, endlich ernst zu machen. Die drei Tech-Giganten schauten dem Treiben zuvor jahrelang zu und versetzen der umstrittenen App erst jetzt – in einem opportunistisch erscheinenden Moment – gemeinsam den vorläufigen Todesstoss.

Amazon teilte Parler seine Entscheidung am Samstag in einem Brief mit. Darin heisst es: «In den letzten Wochen haben wir Parler 98 Beispiele von Beiträgen gemeldet, die eindeutig zu Gewalt auffordern und anstiften.» Man stelle seine Cloud-Dienste Kunden aus dem gesamten politischen Spektrum zur Verfügung, aber man könne «keine Dienste für einen Kunden bereitstellen, der nicht in der Lage ist, Inhalte, die zu Gewalt gegen andere auffordern oder anstiften, effektiv zu identifizieren und zu entfernen».

Zuvor hatten Amazon-Mitarbeiter ihren Arbeitgeber auf Twitter öffentlich dazu aufgerufen, Parler rauszuschmeissen.

«Genug ist genug. Amazon hostet Parler auf @awscloud (in der Amazon-Cloud).

Als Amazon-Angestellte fordern wir Amazon auf, Parler unsere Dienstleistungen zu verweigern, bis es Beiträge entfernt, die zu Gewalt anstiften, einschliesslich bei der Einweihung des Präsidenten.

Wir können nicht an weiterem Blutvergiessen und gewalttätigen Angriffen auf unsere Demokratie mitschuldig sein.»
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Ähnlich argumentierten am Wochenende Google und Apple. Ein Google-Sprecher sagte, Parler lasse «ungeheuerliche Inhalte» zu, die zu tödlicher Gewalt anstiften könnten. Angesichts der anhaltenden und akuten Bedrohung der öffentlichen Sicherheit werde Parler nicht mehr im Play Store verfügbar sein, bis diese Probleme behoben seien.

Der Tech-Konzern spielt darauf an, dass die gewalttätigen Proteste von Trump-Anhängern vor einer Woche, die in der Erstürmung des Kapitols in Washington gipfelten, massgeblich über Parler organisiert wurden. Apple hatte Parler aufgefordert, eine echte Moderation von Inhalten aufzubauen, und die App aus seinem App Store entfernt, als das nicht passiert war.

Hacker erbeuten 70 TByte Daten – auch Fotos und Videos der Kapitol-Stürmer

Kurz bevor Amazon Parler am Montag den Stecker zog, ist es Internetaktivisten laut Eigenaussage gelungen, 99,9 Prozent der Nutzerdaten herunterzuladen. Laut den Hackern konnten Dutzende Terabytes an Textbeiträgen, Videos und Fotos erbeutet werden – inklusive bereits gelöschter Posting. Auch an Originalfotos samt Metadaten vom Sturm auf das Kapitol sei man auf diesem Weg gelangt.

Zwar sollen viele Parler-Nutzende ihre Postings vom Sturm auf das Kapitol gelöscht haben, doch wie andere Online-Dienste löscht auch Parler die Beiträge nicht sofort, sondern markiert sie lediglich als unsichtbar. Die User sehen die Fotos nicht mehr, sie bleiben aber (vorerst) auf dem Server – entsprechend konnten die Hacker sie nun herunterladen. In den Metadaten der Fotos und Videos verbergen sich laut den Netzaktivisten die exakten Zeit- und Ortsangaben, also wo und wann gefilmt wurde, so dass Ermittler vermutlich Rückschlüsse daraus ziehen könnten, wer bei der Schande von Washington dabei war.

Die gewonnenen Daten sollen online archiviert und der Öffentlichkeit und somit auch den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden. Diese könnten möglicherweise weitere Ermittlungen gegen bislang nicht identifizierte Kapitol-Randalierer einleiten.

Was die Ermittler ebenfalls interessieren könnte: Um den sogenannten «Verified Citizen»-Status von Parler zu erhalten, mussten die Nutzer anscheinend die Vorder- und Rückseite ihres Führerscheins hochladen. Auch diese Daten sollen von den Aktivisten erbeutet worden sein. Offenbar ist es gelungen automatisiert über schlecht gesicherte Schnittstellen massenhaft Postings abzugreifen, was grundsätzliche Fragen zur Sicherheit und zum Datenschutz bei Parler aufwirft. «Ich will, dass dies ein grosser Mittelfinger an diejenigen ist, die sagen, dass Hacken nicht politisch sein sollte», wird die massgeblich an der Aktion beteiligte Netzaktivistin vom Online-Portal Gizmodo zitiert.

Auf Twitter macht am Montag der folgende Social-Media-Beitrag einer patriotischen Gruppierung aus Florida die Runde, der den Hack zu bestätigen scheint und darauf hinweist, dass betroffene Nutzer nichts mehr ausrichten könnten.

Parler verstummt wohl länger

Der Geschäftsführer von Parler, John Matze, hat die Entscheidung von Amazon, Apple und Google als «koordinierten Angriff» bezeichnet. Matze ging zunächst davon aus, dass die Plattform für mindestens eine Woche nicht mehr zur Verfügung stehen werde, bis man einen neuen Host gefunden habe. Inzwischen ist der Trump-Anhänger weit weniger zuversichtlich: In einem Interview mit Fox News beklagt er, dass der Bann weit über Apple, Amazon und Google hinausgehe: «Jeder Anbieter, vom Textnachrichtendienst bis zum E-Mail-Provider unserer Anwälte, hat uns am selben Tag hinausgeworfen.»

Kurz bevor Parler am Montag offline ging, schrieb Matze, dass man wohl länger als erwartet down bleibe. Die meisten Cloud-Anbieter, die genug Server hätten um Parler zu hosten, hätten den Kontakt ebenfalls abgebrochen.

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screenshot: watson

Klar ist: Grosse Cloud-Anbieter wie Microsoft oder Google wollen sich keinesfalls die Finger an Parler verbrennen und werden sich hüten, Parler ein neues Zuhause zu geben. Hilfe könnten die App-Betreiber von einem kleineren Webhoster bekommen, der keine Berührungsängste mit rechtsextremen Anbietern hat. Ein anderer Ausweg wäre die Flucht ins Ausland, aber ob die selbsternannten Patrioten ihre Plattform auf Servern in Russland oder China betreiben wollen, bleibt eine andere Frage.

Eine weitere Option wäre der Aufbau eigener Rechenzentren. Das wiederum wäre äusserst kostspielig und kurzfristig kaum realisierbar, denn eine Plattform, die komplett in die Amazon Web Services integriert ist, lässt sich nicht in kurzer Zeit zu einem anderen Cloud-Anbieter zügeln. Es würde auf jeden Fall nicht Tage oder Wochen dauern, sondern eher Monate – oder noch viel länger.

Von den «Proud Boys» bis Ted Cruz

Auf Parler waren auch offizielle Accounts der rechtsextremen «Proud Boys» neben konservativen Politikern wie Ted Cruz und rechten Kommentatoren wie Tucker Carlson aktiv.

Ein Beitrag auf Parler, kurz bevor Amazon die Leitung kappte.
Ein Beitrag auf Parler, kurz bevor Amazon die Leitung kappte.
screenshot: watson

Personen in Trumps Umfeld hatten Parler immer wieder als Alternative zu Twitter oder Facebook beworben, die angeblich konservative Ansichten unterdrückten. Die Sprecherin des Weissen Hauses, Kayleigh McEnany, erklärte Ende Juni auf Twitter, sie habe sich ein Konto bei Parler eingerichtet, weil sie die Nase voll davon gehabt habe, dass Konservative auf diesen Plattformen «zensiert» würden.

Parler soll etwa 12 Millionen User gehabt haben. Zum Vergleich: Trump alleine hatte 88 Millionen Follower auf Twitter. Parler hoffte, einen Teil davon für sich zu gewinnen. Tatsächlich erklomm die App am Samstag die Spitze der US-App-Charts. Die Party war allerdings nur von kurzer Dauer.

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140 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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pfffffffff
11.01.2021 19:24registriert Januar 2017
So geil!...kann ich für einmal nur sagen. The (human) empire strikes back. Mögen ALLE Beteiligten ordentlich zur Rechenschaft gezogen werden.
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emcel
11.01.2021 19:44registriert Juli 2020
Tja.. Jetzt müssen die sich hald wieder mit ihren weissen Kostümen irgendwo im Hinterland treffen anstatt zu chatten.
Aber sollte ja kein Problem sein, die meisten von denen haben doch sowiso die Einstellung: Früher war alles besser 😁
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Deep sea
11.01.2021 19:19registriert Juli 2015
Das Entfernen solcher Apps mag ja gut sein. Nur werden wieder neue Netzwerke/Apps enstehen, die man wieder finden muss oder ins Darknet abwandern. Die Nutzer werden einen weiteren Weg finden, sich auszutauschen. Gut ist, dass zuvor jedoch die Nutzerdaten gehackt wurden.
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