Im Jahr 2020 sind Wikinger medial so präsent wie noch nie – TV-Serien wie «Vikings» oder «The Last Kingdom» sei dank. Wie so oft war die Video- und Computerspielindustrie aber mal wieder Vorreiter für diesen Trend. Titel wie «The Banner Saga», «Vikings: Wolves of Midgard» und natürlich der Playstation-Erfolgstitel «God of War» entführten Spieler bereits in den hohen Norden und jonglierten teils gekonnt mit der nordischen Mythologie.
Wikinger sind modern. Kein Wunder, dass Ubisoft in dem im Winter 2020 erscheinenden Action-Abenteuer «Assassin's Creed Valhalla» ebenfalls auf das populäre Mittelalter-Setting setzt. Nach Ägypten und dem alten Griechenland verschlägt es dich diesmal in das neunte Jahrhundert. Eine Zeit, in der die nordischen Stämme ihre Heimat verliessen und wortwörtlich zu neuen Ufern – nämlich den Küsten des angelsächsischen Englands – aufbrechen.
Seit jeher verknüpfte die Serie Realität und Fiktion miteinander und «Valhalla» bildet da keine Ausnahme. Frühe Trailer zeigten beispielsweise Alfred den Grossen, den König von Wessex, der seiner Zeit dem Ansturm der Wikinger lange Widerstand bot. Er wird vermutlich dein Gegenspieler sein. Du übernimmst Eivor – wahlweise als Mann oder als Frau – und mit ihm oder ihr die Verantwortung für deinen Stamm. In «Valhalla» wirst du kämpfen und brandschatzen, aber auch lieben und leben. Das zeigte bereits die erste Anspielrunde mit dem inzwischen zwölften Teil der «Assassin's Creed»-Reihe.
Auf den ersten Blick aber erinnert das Spiel an «The Witcher 3: Wild Hunt», den letzten grossen Hit von CD Projekt Red, den Machern von «Cyberpunk 2077»: die gewaltige, offene Spielwelt, die Lichtstimmung und auch das Charakterdesign. Man könnte fast meinen, Hexer Geralt hätte hier Pate gestanden. Tatsächlich entwickelt sich «Assassin's Creed» immer weiter zum Action-Rollenspiel.
Dein Eivor baut im Spiel ein ganzes Dorf auf. Erbeutete Vorräte dienen der Erweiterung der Siedlung. Zudem knüpfst du Bande mit neuen Freunden und Verbündeten. In der Hands-On befreit Eivor Oswald, den künftigen König des östlichen Angelsachsens. Besonders spannend: Immer wieder entscheidest du, wie sich Eivor verhält. Willst du Rued, einen Feind Oswalds, ein für alle Mal ausschalten oder lässt du ihn laufen? Trittst du anstelle Oswalds in einem Kampf auf Leben und Tod an? Es sind diese kleinen Momente, die den Charakteren Tiefe geben.
Da kommt auch die Hochzeit zwischen Oswald und seiner Schildmaid Valdis gerade recht. Auch wenn die Zwischensequenzen längst nicht die Stimmung echter Wikingerfeierlichkeiten einfangen, so zeigt sich «Assassin's Creed Valhalla» von seiner humorigen Seite: Wetttrinken, besoffen auf Vasen schiessen und einen komatösen Kameraden von einem Dach befreien. All das gehört ebenso zu der Geschichte im Spiel wie die gelegentlichen Romanzen mit Spielcharakteren, die du entweder annehmen oder auch ablehnen kannst.
Aber natürlich ist «Valhalla» keine Lebenssimulation, sondern ein typisches Actionspiel ganz in der Open-World-Tradition der Serie. Die Parallelen zu CD Projekt REDs «The Witcher» kommen nicht von ungefähr. Bereits in den vergangenen Jahren näherte sich «Assassin's Creed» spielerisch dem Vorzeigetitel an.
Unterfüttert wird das Ganze von einem komplexen Charaktersystem: Die Fähigkeiten splitten sich in die drei Talentbäume Rabe, Bär und Wolf, sodass du frei neue passive Skills verteilen kannst. Dazu kommen freischaltbare Aktionen für Nah- und Fernkampf – vom Dreifach-Schuss mit Pfeil und Bogen bis hin zum finalen Stampfer auf am liegende Gegner. Im Kampf greift ihr auf jeweils vier Attacken gleichzeitig zu.
Wie eingangs erwähnt, verbindet auch «Assassin's Creed Valhalla» reale Geschichte und Mythologie. An Hafenpunkten rufst du dein Drachenboot und schipperst mit vollem Segel an dein Ziel. So erobert Eivor beispielsweise Kloster oder andere Posten. Gemeinsam mit einer Horde von Wikinger-Kameraden fallt ihr unter lautem Gebrüll über die Stätten her und müsst Soldaten ausschalten und Schätze plündern. Das Setting passt somit ausgezeichnet zu berüchtigten Ubisoft-Formel, die derartige Elemente schon immer aufwies.
In der Geschichte selbst beeindruckt das Spiel mit spannend inszenierten Belagerungen und damit verbundenen grossen Kämpfen. Wenn du dich mit Eivor durch Schwertkämpfer, Berserker und andere Gegner prügelst, dann fühlst du dich unweigerlich an Actionszenen aus «Vikings» erinnert. Die Kämpfe bauen auf dem Vorgänger auf: Blocken, ausweichen, zuschlagen. Das ist trotz neuem Ausdauerbalken bei den Computer-Soldaten altbekannt. Gleiches gilt auch für die Schleichpassagen, bei denen du Feinde weiter mit Pfiffen anlockst oder das Gebiet mit Hilfe eines Rabens ausspähst. Die vielerorts in Folge des Gameplay-Leaks kritisierte Angst vor Innovationen ist hier durchaus berechtigt.
Ein realistisches Spiel möchte «Assassin's Creed Valhalla» nicht sein und driftet daher immer wieder in die Sagenwelt. In der Spielwelt verteilt findest du mysteriöse Orte, an denen du auf ganz besondere Gegner triffst. In dem vorab spielbaren Abschnitt nimmt es Eivor etwa mit Geisterkriegerin Cordelia auf, die mit Doppelgängerangriffen und Warpattacken fordert.
Grosse Experimente geht Ubisoft mit «Assassin's Creed Valhalla» nicht ein: Eine offene Spielwelt garniert mit Kämpfen, Charaktersystem und Schleicherei. Gegenüber dem Vorgänger «Assassin's Creed Odyssey» bietet der im Winter für PC, Xbox One, Playstation 4, Playstation 5 und Xbox Series X erscheinende Nachfolger noch einen Tick freier und komplexer. Kurzum: Auch in «Valhalla» wirst du wieder 50+ Stunden versenken und wilde Abenteuer erleben. Ob diese genauso packend wie die in «Vikings» oder «The Last Kingdom» sein werden, dass muss Ubisofts Open-World-Paket noch unter Beweis stellen.