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Arbeitswelt

Arbeitslosigkeit und die Angst davor treibt weltweit 45'000 Menschen in den Tod

Endstation Gleis: Andenken an Verstorbene in Schienennähe.
Endstation Gleis: Andenken an Verstorbene in Schienennähe.Bild: AP
Fälle häufen sich seit Finanzkrise

Arbeitslosigkeit und die Angst davor treibt weltweit 45'000 Menschen in den Tod

Wegen Arbeitslosigkeit nehmen sich pro Jahr rund 45'000 Menschen das Leben. Dies zeigt eine neue Studie der Universität Zürich mit Daten aus 63 Ländern. Die Finanzkrise von 2008 hat mehr Suizide ausgelöst als bisher angenommen.
11.02.2015, 02:5611.02.2015, 08:16
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Fast eine Million Menschen sterben weltweit pro Jahr durch Suizid. Um herauszufinden, wie viele der Suizide im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit stehen, haben die Forschenden der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich Daten von 63 Ländern aus den Jahren 2000 bis 2011 analysiert, wie die Universität Zürich am Dienstag mitteilte.

Überraschende Zahlen

Es zeigte sich, dass sich pro Jahr etwa 230'000 Menschen in diesen Ländern das Leben nahmen. Jeder fünfte dieser Suizide liess sich direkt oder indirekt mit Arbeitslosigkeit in Verbindung bringen. In der Schweiz, wo die Arbeitslosenrate generell tiefer liegt, sei es jeder Siebte, erklärte Erstautor Carlos Nordt auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. 

«Damit war die Zahl der Suizide mit diesem Hintergrund neunmal grösser als der bisher bekannte Anstieg.» 
Studienautor Carlos Nordt

«Wir waren über diesen grossen Anteil schon überrascht», sagte Nordt. «Dies belegt, dass die Arbeit ein sehr wichtiger Faktor ist.» Besonders deutlich wurde dies in der ökonomischen Krise im Jahr 2008 und der nachfolgenden Sparpolitik vieler Länder. Bereits frühere Studien hatten gezeigt, dass nach dem Krisenjahr 2008 die Zahl der Suizide kurzfristig um 5000 Fälle angestiegen war. 

Nicht bekannt aber war bisher, dass in diesem Jahr gesamthaft rund 46’000 Suizide mit der Arbeitslosenrate verbunden waren, wie die neue Studie nachweist. «Damit war die Zahl der Suizide mit diesem Hintergrund neunmal grösser als der bisher bekannte Anstieg», liess sich Nordt in der Mitteilung zitieren. 

Schweiz ist Ausnahme 

Der Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Suizidrate war in allen vier untersuchten Weltregionen (Nord- und Süd-Amerika, Nord- und West-Europa, Süd- und Ost-Europa, sowie Nicht-Amerika und Nicht-Europa) ähnlich stark. Daten aus China und Indien waren nicht verfügbar. Auch das Geschlecht oder die Altersgruppe machten keinen Unterschied. 

Auf der Kornhausbrücke in Bern versucht dieses Plakat der Dargebotenen Hand Lebensmüde vom Sprung abzuhalten
Auf der Kornhausbrücke in Bern versucht dieses Plakat der Dargebotenen Hand Lebensmüde vom Sprung abzuhaltenBild: KEYSTONE

In Ländern mit tieferer Erwerbslosigkeit war der Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Suizid sogar stärker ausgeprägt. Dies zeigt laut den Autoren, dass auch in Ländern mit hoher Beschäftigung in Programme investiert werden müsse, die Personen in den Arbeitsmarkt integrieren und ein gesundes Arbeitsklima fördern. 

Die Schweiz stellt dabei eine Ausnahme dar: Hier zeigte sich nach 2008 kein Anstieg der Suizidrate und auch kein grosser Anstieg der Arbeitslosenrate. Die Zahl der Suizide sinke hier seit Jahren eher, erklärte der Psychiater und Leiter der Studie, Wolfram Kawohl. Offenbar griffen hier die verstärkten präventiven Massnahmen. 

Verunsicherung wirkt sich aus 

Auffällig war bei der Studie, dass der Anstieg der Suizidrate dem der Arbeitslosenrate um etwa sechs Monate vorausging. «Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wurde offensichtlich antizipiert und bereits die Verunsicherung über die Entwicklung der ökonomischen Situation scheint negative Konsequenzen zu haben», folgerte Kawohl. 

So könne zunehmender Druck am Arbeitsplatz, etwa durch Restrukturierungen, Suizide begünstigen. «Es bedarf einer Schulung von Fachpersonal, etwa in den Personalabteilungen, damit es erhöhte Suizidrisiken bei den Betroffenen besser erkennt und beim Umgang damit helfen kann», empfahl der Psychiater. 

So könnte ein Personalverantwortlicher etwa einen Menschen, dem er kündigen muss und bei dem er ein Suizidrisiko vermutet, auf Hilfsangebote wie die Dargebotene Hand oder psychiatrische Einrichtungen hinweisen. «Schon das würde in manchen Fällen helfen», sagte Kawohl. (kad/jas/sda) 

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