99 Prozent der ägyptischen Frauen haben einer Studie zufolge in ihrem Leben bereits sexuelle Belästigung erfahren – also eigentlich alle. Eine davon ist Nadeen Ashraf. Für die 22-Jährige ist Catcalling (Art der Belästigung von Fremden im öffentlichen Raum) normal. Auf den Strassen Kairos wird der Philosophiestudentin ständig nachgerufen oder nachgepfiffen. Das erzählt sie der englischen Zeitschrift Economist. Die Angst vor einer Vergewaltigung ist immer präsent.
Die Ursache dieses Problems ist vielseitig. Sexuelle Belästigung ist auch in Ägypten verboten – doch viele Frauen getrauen sich nicht, ihre Vergewaltiger anzuklagen. Weil sie eingeschüchtert wurden oder aus Angst, selbst verurteilt zu werden.
In der ägyptischen Kultur wird eine leicht bekleidete Frau als Freiwild angesehen. Wie tief dieses Gedankengut etwa in den Köpfen der jungen ägyptischen Männer verwurzelt ist, zeigt dieses Video:
Doch seit einiger Zeit bildet sich Widerstand gegen die gängige sexuelle Belästigung und Gewalt im muslimischen Land am Mittelmeer.
Am Beginn dieses Widerstands stand ein Fall vom Juni: Eine Mitstudentin Ashrafs postete auf Facebook, man solle sich von einem Mitstudent, Ahmad Bassam Zaki, fernhalten, da dieser Frauen sexuell belästigen und misshandeln würde. Daraufhin erstellte Ashraf einen Instagram-Account – die «Assault Police». Sie verbreitete den Post der Studentin und kurz darauf meldeten sich insgesamt 100 Frauen, die das gleiche mit Zaki erlebt haben sollen. Die Polizei verhaftete den jungen Mann später. Ihre Insta-Page hat seither 210'000 Abonnenten erreicht und wächst immer weiter.
Dieser Fall war erst der Anfang. Kurz darauf berichteten viele weitere Frauen über ihr Schicksal. Daraus resultierten mehrere Anzeigen: Eine davon zeigte eine Gruppe von Männern an, die sie unter Drogen gesetzt und gemeinsam vergewaltigt haben sollen.
Doch dieser Fall kam nur langsam voran. Erst als Menschen protestierten, machte die Staatsanwaltschaft vorwärts und verhaftete die Männer. Fünf davon befinden sich zurzeit in Haft, mindestens zwei sind noch auf freiem Fuss. Die Medien hatten den Vorfall als «Gruppensexparty» und alle Beteiligten – inklusive die Frau – als ehrlos bezeichnet.
In einem anderen Fall zeigte eine Frau ihren Vergewaltiger an. Die Staatsanwaltschaft verurteilte die Männer wegen Vergewaltigung und anderen Tatbeständen, doch nicht nur sie kamen hinter Gitter: Auch die Frau wurde verurteilt. Die Tatbestände: Prostitution, Drogenmissbrauch und das «Verletzen von Familienwerten».
Weil viele dieser Fälle so geendet hatten, fühlten sich viele der Frauen eingeschüchtert und haben ihre Anklagen zurückgezogen. «Die Opfer trauen sich nicht zu reden, sie haben grosse Angst vor Stigmatisierung», sagt etwa Azza Soliman, die Mitgründerin von CEWLA – dem Zentrum für die Rechtsberatung von ägyptischen Frauen – gegenüber dem Spiegel. «Oft wenden sich ganze Familien gegen die Betroffenen, es kommt zu Gewaltausbrüchen, manchmal zu Tötungsdelikten. Auch unsere Anwälte werden mitunter zur Zielscheibe, wenn jemand glaubt, die Familienehre verteidigen zu müssen.»
Laut Paragraph 306 des ägyptischen Strafgesetzbuches kann sexuelle Belästigung mit Geldstrafen bis zu 50'000 ägyptischen Pfund (rund 2900 Franken) sowie Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis fünf Jahre geahndet werden. Obwohl solche Gesetze bestehen, schweigen die Opfer oft aus Angst, selbst verurteilt oder beschämt zu werden. Sie müssen davon ausgehen, dass ihr Umfeld sie verachten wird. Deshalb kommen viele Täter ungestraft davon.
Der derzeitige Präsident Abdel Fattah el-Sisi versucht ständig, Frauen und ihre Körper zu reglementieren. Die Behörden unterzogen unter seiner Führung als Feldmarschall im Jahr 2011 die Frauen sogar sogenannten «Jungfräulichkeitstests». Dutzende Frauen hatten beklagt, sie seien während Demonstrationen von Soldaten der ägyptischen Armee vergewaltigt worden. Die Armeeärzte hätten nachweisen müssen, dass die Frauen lügen. Diese wurden aber inzwischen, unter anderem dank Druck der Öffentlichkeit, verboten. Solche Informationen werden häufig dafür verwendet, einen Fall zu trüben.
El-Sisi selbst gilt international als autoritär und diktatorisch. Er hatte sich selbst im Jahr 2013 während eines gewaltsamen Staatsstreichs mithilfe des Militärs an die Macht geputscht. Er ist heute noch Präsident.
Ein weiteres Problem: Die meisten der Amtsinhaber sind Männer. Deshalb werden in der Regierung eher die moralischen Ansichten von Männern vertreten. Erst vor Kurzem etwa wurde ein Cyber-Gesetz dafür verwendet, eine TikTokerin wegen Tanzens vor der Kamera zu verurteilen. Seit April wurden zehn weibliche TikTokerinnen verhaftet – weil sie ihren Familienwert beschmutzten und andere zu «Unanständigkeiten» und «Ausschweifungen» angestiftet hätten. Sechs davon wurden zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, zwei von ihnen zu drei.
Weltweit wurde gegen die Inhaftierung dieser Frauen protestiert – etwa mit Onlinepetitionen und weltweiten Demonstrationen.
Doch das Problem sind nicht nur die Befehlshaber und Richter. Der Grossteil der Ägypter selbst findet solche Urteile angemessen: Einer Umfrage des Promundo Vereins von 2017 zufolge glauben 64 Prozent der Ägypter und 60 Prozent der Ägypterinnen, Frauen sollten ihren Vergewaltiger heiraten. Fast drei Viertel der Männer und 84 Prozent der Frauen finden, dass Frauen, die sich provokativ kleiden, es verdienen, verhaftet zu werden.
Es geht noch weiter: 43 Prozent der ägyptischen Männer sind davon überzeugt, dass Frauen es mögen, sexuell belästigt zu werden, angeblich, weil sie die «Aufmerksamkeit» geniessen. Und knapp zwei Drittel der männlichen Befragten hätten laut eigenen Angaben schon einmal eine Frau belästigt – davon gaben mehr als drei Viertel der «aufreizenden Kleidung der Frau» Schuld.
In einer ägyptischen Talkshow vom Oktober 2017 erklärte ein Anwalt namens Nabih al-Wahsh, dass Frauen mit löchrigen Jeans ohne Probleme missbraucht werden dürfen und sollten: «Solche Mädchen sexuell zu belästigen, ist eine patriotische Pflicht, und sie zu vergewaltigen, eine nationale Pflicht.» Durch den Aufschrei in den sozialen Medien wurde die Staatsanwaltschaft aktiv und verurteilte den Anwalt zu drei Jahren Freiheitsentzug.
Auch das Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA mahnt auf seiner Seite, sich als Frau in Ägypten in Acht zu nehmen: «Im Zusammenhang mit vermehrten Meldungen über Vergewaltigungen und andere Sexualdelikte wird speziell Frauen zu besonderer Vorsicht und Zurückhaltung geraten.»
Obwohl sich die Lage unter El-Sisi nicht radikal ändern wird und die Mehrheit der Ägypter immer noch an diesem Gedankengut festhalten: Die junge, anwachsende Generation wehrt sich immer mehr gegen diese Benachteiligung von Frauen. Und darauf wird nun die Hoffnung gesetzt. Doch es wird wohl noch eine lange Zeit dauern, bis sich wirklich nachhaltig etwas ändern wird.
Und bei der kleinsten Kritik fühlen sie sich dann jeweils mimosenhaft „gedemütigt“ und „beleidigt „ - auch kein Zeichen von Selbstbewusstsein.
Ihren Frust lassen sie dann an den Frauen raus.
Was für feige und widerliche Schwächlinge!
Haben diese ägyptische Männer keinen Funken Stolz und Ehre in der Brust?
Da hoffe ich doch sehr auf die Kraft und Power der jungen ägyptischen Frauen!