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US-Wahlen 2020: Warum so viele Amerikaner trotz allem Trump wählten

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Donald Trump lebt vom Widerwillen gegen Politiker und vom Glauben an den freien Markt.
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Mehr als ein Caudillo: Warum Trump (fast) wieder gewonnen hat

Donald Trump hat es bei den Wahlen wieder allen gezeigt. Für viele Europäer ist das vollkommen unverständlich. Doch für seine Beliebtheit gibt es Gründe – auch rationale.
06.11.2020, 12:3016.11.2020, 08:17
johann aeschlimann, new york
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Fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler in den USA hat Donald Trump die Stimme gegeben. Für Aussenstehende ist dies schwierig zu verstehen. Denn Trump ist ein Prahler und ein Gauner – a crook. Er ist das politische Produkt von Reality TV. Schrill, überdreht, rücksichtslos, egoistisch, ohne irgendwelche Moral oder Skrupel.

In der Welt von Reality TV ist ein Donald Trump keine exotische Frucht, sondern Hausmannskost. Man ist sich so einen gewöhnt. Es war nicht Ausnahme, sondern absehbar, dass eine Figur wie diese in die Welt der Politik eindringt – umso weniger, als die Amerikanerinnen und Amerikaner das Gewäsch der Politik und der Politiker aus allen Lagern längst satt haben.

Biden und Trump in der Wahlnacht

Video: watson/leb

Diesen Widerwillen hat Trump ausgenützt. Er ist, was die Classe Politique in Europa als «Populisten» beschimpft. Einer der erfolgreichsten Sprüche auf seinen Versammlungen lautete: I am not a politician. Es kann sein, dass der Caudillo in Washington nun von der Bühne abtreten muss. Aber das Modell wird auf dem Spielplan bleiben. Demnächst auch auf der anderen Seite des Atlantik.

Warum zieht er immer noch?

Das Neue, «Charismatische» an Trump erklärt seine erste Wahl. Was aber hat seine Zugkraft erhalten, nach vier Jahren Clownerie, Hetze, Lüge, schamloser Vermischung der amtlichen und der privaten Geschäfte?

Es gab ein rationales Argument, Trump die Stimme zu geben: Wer glaubt, dass gesellschaftliche Entscheidungen am besten dem «freien Markt» überlassen werden; dass staatliche Vorschriften (regulations) in jedem Fall das Spiel jenes Marktes behindern und die Entfaltung der wirtschaftlichen Energien unterdrücken; dass der Einsatz von staatlichen Steuermitteln niemals die Lösung gesellschaftlicher Schwierigkeiten befördern kann – wer solches glaubt, der wählte Trump, nicht Biden.

Jeder sein eigener Kapitalist

In den USA heisst dies «Konservatismus», und Trump hat dieser konservativen Sache treugedient. Er hat die Steuern massiv gesenkt, hunderte von staatlichen Vorschriften ausser Kraft gesetzt und dafür gesorgt, dass die Bundesgerichte auf Jahrzehnte hinaus mit «konservativem» Personal besetzt werden. Eine grosse Zahl von US-Bürgern ist für solche Dinge sehr empfänglich. Nicht zuletzt wegen der Börse, die mit der economy gleichgesetzt wird.

So wählen die Amerikaner

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So wählen die Amerikaner
Ein "count every vote" Protestmarsch in Chicago. Die Wabash Avenue Brücke wurde aufgezogen, um die Protestierenden daran zu hindern, den Trump Tower zu erreichen.
quelle: keystone / ashlee rezin garcia
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Amerikaner, die verfügbare Mittel haben, stecken ihre Altersversorgung in die Börse: Im Gegensatz zur Schweiz, wo die «Zweite Säule» den Normalbürger von solchen Sorgen befreit, ist der Amerikaner dazu verdammt, sein eigener kleiner Kapitalist zu sein – lebenslang. Bis zum Ausbruch der Corona-Krise stand die Börse hoch. Deshalb die Bereitschaft, einen Trump zu wählen, auch wenn sein Charakter oder seine Amtsführung viele «Konservative» ekelt.

Den Hass in Kauf nehmen

Der Caudillo hat das feine Gewebe, das eine funktionierende Demokratie trägt, erheblich beschädigt. Er hat das Vertrauen in die Institutionen wissentlich untergraben, hat mit den Faschisten geflirtet, den Chauvinismus angestachelt und die Animosität gegen alles Fremde angefacht. Er hat Hass gesät und ist bereit, Hass zu ernten.

Dennoch sind zahlreiche «Konservative» bereit, den fragwürdigen Charakter an der Staatsspitze (und am Atomwaffen-Knopf) zu schlucken. Sie ordnen ihre Bedenken der «konservativen» Ideologie unter. Es gibt andere Beispiele dafür in der Geschichte. Die Verteidiger des Generals Augusto Pinochets im Chile der siebziger Jahre waren nicht alles blutrünstige Faschisten, sondern Bürger, die an den «freien Markt» und den staatlichen Rückzug aus den wirtschaftlichen Entscheidungen glaubten.

Es gibt andere «Konservative». Sie sind ebenfalls für den «freien Markt» und den schmalen Staat , aber sie ordnen Trumps Defizite nicht der sozialen und ökonomischen Ideologie unter. In der Republikanischen Partei ist für solche Leute kein Platz mehr. Ihnen bot sich Joe Biden an. Ein altes Parteischlachtross, 77-jährig, netter Kerl, aber mit dem Reservetank unterwegs. Biden tat alles, um dieser Wählerschaft den Schritt über den Parteigraben hinweg zu erleichtern. Dreh- und Angelpunkt seiner Kampagne waren «Anstand» und «Normalität», der Respekt vor der Rolle des Staats, den Institutionen, den demokratischen Prozessen. In Europa würde man das «bürgerlich» nennen.

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46 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Snowy
06.11.2020 13:06registriert April 2016
In der Schweiz wäre Biden solide FDP.

So viel zu „socialism“... *kreisch*
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Mijasma
06.11.2020 13:40registriert Oktober 2018
Ich habe in einer TV Sendung über Amerikanische Wähler ein paar gesehen das Trump wählt und findet alles solte dem freien Markt überlassen werden. Der Staat sollte schlank sein und wenig Steuern erheben. Sie haben von der Regierung bis jetzt etwa 100'000 Dollar unterstützung von der Regierung bekommen damit ihr Geschäft die Corona Krise überlebt. Da Frage ich mich warum haben sie das nicht abgelehnt. Sie hätten keinen Dollar bekommen sollen. Republikaner, Wasser predigen, Wein saufen.
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trichie
06.11.2020 13:18registriert Mai 2017
tl;dr: für viele Amis ist die Person Trump einfach die Kröte die sie schlucken müssen wenn sie ihre (konservativen) Wertvorstellungen umgesetzt sehen wollen
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