Nun ist auch Wladimir Putin «umgefallen». Der russische Staatschef hat dem neuen US-Präsidenten Joe Biden am Dienstag zum Wahlsieg gratuliert. Tags zuvor hatte das Electoral College in den USA Bidens Erfolg bei der Wahl vom 3. November definitiv bestätigt. Der Demokrat erhielt exakt jene 306 von total 538 Stimmen, die ihm zustanden.
Bis zu seiner Vereidigung am 20. Januar 2021 muss Biden noch eine kleine Hürde meistern. Am 6. Januar wird der Kongress das Ergebnis des Electoral College absegnen. Dieser in der Regel rein zeremonielle Vorgang bietet den Republikanern theoretisch die letzte Möglichkeit, das Resultat anzufechten und Bidens Wahlerfolg zu hintertreiben.
Praktisch ist dies ausser Reichweite. Am Dienstag hat nach langem Zögern auch Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Joe Biden als gewählten Präsidenten anerkannt. Damit sind die Versuche von Amtsinhaber Donald Trump, seinem Herausforderer den Sieg zu stehlen, krachend gescheitert. Er wird am 20. Januar das Weisse Haus räumen müssen.
Die eigentliche Gewinnerin dieser Wahl aber ist die alles andere als perfekte amerikanische Demokratie. Sie hat den massiven Angriffen von Präsident Trump und seiner Kampftruppe um Anwalt Rudy Giuliani standgehalten und sich als bemerkenswert robust erwiesen. «The systems works», pflegen die Amerikaner in solchen Fällen zu sagen.
Das war in diesem Jahr keineswegs selbstverständlich. Das System war einem Stresstest wie nie zuvor ausgesetzt. Das zeigt allein schon der Ablauf seit dem 3. November. Die Formalitäten nach dem eigentlichen Wahltag werden im Normalfall selbst von den Amerikanern kaum beachtet. Dieses Jahr wurde jeder Schritt intensiv beäugt.
Am Ende ist das Team Trump mit seinem Geschrei wegen Wahlbetrugs und den abstrusen Behauptungen, mit denen es den Vorwurf «beweisen» wollte, auf der ganzen Linie abgeblitzt. Das ist nicht zuletzt das Verdienst jener Republikaner, die in diversen Swing States an den Schalthebeln der Macht sitzen. Sie stellten das Interesse des Landes über ihre Loyalität zu Trump.
In Michigan gab es Versuche, das Resultat «umzudrehen». Sie blieben ohne Folgen. Auch republikanische Gouverneure wie Doug Doucey (Arizona) und Brian Kemp (Georgia) bestätigten Joe Bidens Sieg in ihrem Staat mit ihrer Unterschrift und zogen Trumps geballten Zorn auf sich. Der Präsident rief auf Twitter offen zu ihrer Abwahl auf.
Für Republikaner braucht es im heutigen Amerika nicht wenig Mut, sich einem Präsidenten zu widersetzen, der sich die Partei in den letzten vier Jahren fast vollständig unterworfen hat. Umso mehr Respekt verdient die Standhaftigkeit der Mandatsträger in den Bundesstaaten, von der sich ihre Parteifreunde in Washington eine Scheibe abschneiden könnten.
Standhaft blieb auch die Justiz, die mehr als 50 Klagen des Trump-Lagers abgeschmettert hat. Auch der Supreme Court, in dessen rechte Mehrheit der Präsident grosse Hoffnungen gesetzt hatte, liess ihn abblitzen, oder vielmehr eine Klage des Bundesstaats Texas. Das war keine Überraschung. Der Klage fehlte jegliche Substanz, sie war einzig für die «Galerie» bestimmt.
Gemeint sind die mehr als 74 Millionen Wählerinnen und Wähler, die Donald Trump ihre Stimme gegeben haben. Das ist vielen Republikanern in die Knochen gefahren. Trotz seiner mehr als durchzogenen Bilanz, seiner unterirdischen Amtsführung und seinem Narzissmus hat Trump seine Stimmenzahl gegenüber 2016 deutlich erhöht.
Die Strategie des Präsidenten, einen Wahlkampf in die Tiefe statt in die Breite zu führen, hätte sich beinahe ausgezahlt. Trump scheint es tatsächlich gelungen zu sein, viele bisherige Nichtwählende zu mobilisieren. Am Ende hat er nur verloren, weil mehr als 80 Millionen Amerikaner den Wirrkopf im Weissen Haus unbedingt loswerden wollten.
Darin lauert trotz der Resilienz der US-Demokratie ein Gefahrenpotenzial für die Zukunft. Die Republikaner werden alles daran setzen, das neu erschlossene Wählerreservoir bei der Stange zu halten. Gleichzeitig müssen sie befürchten, dass viele dieser neuen Wählerinnen und Wähler nach Trumps Abgang in ihre frühere Passivität zurückfallen.
Donald Trump ist eine Ausnahmeerscheinung (das kann man als Kompliment verstehen). Deshalb wird der Trumpismus bleiben, egal wie es mit dem Caudillo selber weitergeht, ob er es 2024 noch einmal versucht oder nicht. Bereits haben einige Möchtegern-Nachfolger seinen Stil übernommen, etwa die Senatoren Tom Cotton, Josh Hawley und Marco Rubio.
Einige eifrige Hofschranzen fordern den Präsidenten gar zum Staatsstreich auf, damit er im Amt bleiben kann. Dafür fehlen Trump die Mittel – mit einer Executive Order jedenfalls ist es nicht getan. Aber man darf das Gewaltpotenzial des rechten Milieus nicht unterschätzen. Am Rande der Pro-Trump-Demo am Samstag in Washington, an der auch die berüchtigten Proud Boys teilnahmen, kam es zu Ausschreitungen.
Die grösste Gefahr aber lauert woanders. Obwohl die Wahl 2020 die sicherste und trotz einiger Pannen vielleicht sauberste der Geschichte war, werden viele republikanische Wählerinnen und Wähler Joe Biden als illegitimen Präsidenten betrachten. Das Gift, das Trump mit seiner Wahlbetrugs-Lüge verspritzt, hat längst zu wirken begonnen.
Die aufrechten Republikaner in den Bundesstaaten, die den demokratischen Prozess verteidigt haben, genügen als Gegenmittel offensichtlich nicht. Die Abgeordneten in Washington müssten ihre seit bald 30 Jahren praktizierte Bunkermentalität überwinden und zu Kompromissen bereit sein. Nur so lässt sich die tiefe Spaltung des Landes überwinden.
Ein solches Umdenken ist höchstens in Ansätzen zu erkennen. Denn es ist mit Risiken verbunden. Einfacher ist es, die Fahne des Trumpismus weiter hochzuhalten und Bidens Präsidentschaft zu sabotieren. Die stolze amerikanische Demokratie hat gerade eine grosse Bewährungsprobe bestanden. Aus dem Schneider aber ist sie noch lange nicht.
Man munkelt wohl auch, dass die Never Trumpers eine neue Partei gründen wollen. Das wäre, meiner Meinung nach, eine gute Lösung, um aus diesem 2-Parteiensystem auszubrechen.