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Unruhen in Kenosha: Warum Donald Trump auf die Rassenkarte setzt

epaselect epa08626029 A protestor shows off a wound during a third night of unrest in the wake of the shooting of Jacob Blake by police officers, in Kenosha, Wisconsin, USA, 25 August 2020. According  ...
Verletzte Demonstrantin in Kenosha, der Kleinstadt im Bundesstaat Wisconsin.Bild: keystone
Analyse

Warum Donald Trump auf die Rassenkarte setzt

Die demographische Entwicklung und die Präsidentschaft von Barack Obama haben die Rassenfrage ins Zentrum der amerikanischen Politik gesetzt. Trump schlachtet dies hemmungslos aus.
27.08.2020, 19:3828.08.2020, 13:25
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Es kam, was wohl kommen musste: Ein 17-jähriger weisser Fanatiker erschiesst mit seinem halbautomatischen Gewehr zwei Demonstranten und verletzt einen weiteren schwer. Das alles geschah am dritten Tag der Proteste in der Kleinstadt Kenosha im Bundesstaat Wisconsin.

Der mutmassliche Täter, ein Teenager namens Kyle Rittenhouse, ist inzwischen verhaftet worden. Höchst wahrscheinlich gehört er zu einer bewaffneten Gruppe von jungen weissen Männern, welche angeblich Geschäfte und Tankstellen vor Plünderung und Brandstiftung schützen wollte. Rittenhouse ist des Totschlages angeklagt.

Ausgelöst wurden die Unruhen in Kenosha durch einen erneuten Vorfall von Polizeibrutalität: Der 29-jährige Jacob Blake wurde von drei Polizisten sieben Mal in den Rücken geschossen. Die Polizisten wollten ihn wegen unklaren Beschuldigungen verhaften.

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Brennende Autos in Kenosha.Bild: keystone

Blake ergab sich nicht sofort, sondern wollte zunächst seine Kinder beschützen, die in seinem SUV sassen. Er war nicht bewaffnet. Es ist unklar, ob er im Auto ein Messer versteckt hatte. Blake hat überlebt, wird jedoch möglicherweise sein Leben lang gelähmt bleiben.

Nach der brutalen Tötung von George Floyd in Minneapolis ist dies der zweite, schwer verständliche Vorfall von Polizeibrutalität. Er hat dazu geführt, dass die landesweiten Proteste gegen die systematische Diskriminierung von Farbigen erneut aufgeflammt sind. Gleichzeitig treten immer häufiger bewaffnete Gruppen von weisse Milizen auf. Immer lauter werden die Stimmen, die von einem neuen Bürgerkrieg sprechen.

Um zu verstehen, was hier abgeht, müssen wir einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen.

Nach dem Ende des Bürgerkrieges im Jahr 1865 wurden die Schwarzen nicht nur aus der Sklaverei befreit, sie erhielten pro forma auch das Stimm-und Wahlrecht. Die sogenannten Jim-Crow-Gesetze und der Terror des Ku-Klux-Klan führten jedoch dazu, dass sie diese neuen Freiheiten nicht ausüben konnten. Die USA wurden zu einem Apartheid-Staat.

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Führte die Bürgerrechtsbewegung an: Martin Luther King jr.Bild: keystone

Angeführt von Martin Luther King begannen sich die Schwarzen in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts gegen diese Unterdrückung zu wehren. Obwohl King und die Bürgerrechtsbewegung stets zum Gewaltverzicht aufriefen, kam es zu schweren Unruhen, die 1969 ihren Höhepunkt erreichten. Die von Präsident Lyndon Johnson durchgeführten Reformen sorgten schliesslich dafür, dass diese Unruhen wieder abflauten.

Die aktuelle Situation unterscheidet sich grundsätzlich von der Bürgerrechtsbewegung. Damals kämpften die Schwarzen für ihre Rechte. Heute kämpfen die Weissen um ihre Macht. Schuld daran sind zwei Faktoren: die demographische Entwicklung und die Präsidentschaft von Barack Obama.

In seinem Buch «Why We’re Polarized» beschreibt Ezra Klein über die demographische Entwicklung in den USA. Er zeigt auf, dass die Weissen bald nicht mehr die Mehrheit bilden werden. Das zeichnet sich bereits heute ab: Das häufigste Alter bei Weissen liegt bei 58 Jahren, bei Amerikanern asiatischer Herkunft bei 29, bei den Schwarzen bei 27 und bei den Hispanics gar bei 11 Jahren.

Ebenso auf dem Rückzug befindet sich die Anzahl der Christen. 2018 hat erstmals eine relative Mehrheit der Amerikaner angegeben, weder protestantisch noch katholisch zu sein, sondern keiner Religion anzugehören. «Diese demographischen Kategorien interagieren auf wichtige Weise», stellt Klein fest. Die herrschende Kultur galt als weiss und christlich.

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Eingezwängt: eine Kirche in Boston.Bild: AP/AP

In den Nullerjahren begann sich dies drastisch zu ändern. Als Obama 2008 die Wahlen gewann, waren 54 Prozent der amerikanischen Bevölkerung weiss und christlich. Als Trump 2016 triumphierte, war dieser Anteil auf 43 Prozent geschrumpft. Die multikulturelle Regierung unter einem schwarzen Präsidenten wurden von einem grossen Teil der Weissen als existenzielle Bedrohung empfunden. Das Resultat beschreibt Amy Chu, Rechtsprofessorin an der Yale University, wie flogt:

«Heute hat keine Gruppe in Amerika mehr das Gefühl, über eine komfortable Mehrheit zu verfügen. Jede Gruppe fühlt sich angegriffen und gegen andere Gruppen aufgehetzt, nicht nur, wenn es um Jobs geht, sondern auch wenn es darum geht, die Identität der Nation zu definieren. Unter diesen Bedingungen wird die Demokratie zu einem Nullsummen-Spiel – zum reinem Tribalismus.»

Mehr als die Zugehörigkeit zu einer Klasse ist die Zugehörigkeit zu einem «Stamm» damit zum Treiber der amerikanischen Politik geworden. Nach der Niederlage von Mitt Romney im Jahr 2012 wollte auch die Grand Old Party (GOP) die demographische Entwicklung nicht mehr länger ignorieren und sich vor allem den Hispanics öffnen. Als Favorit für die Wahlen 2016 galt deshalb zunächst Jeb Bush. Er ist mit einer Mexikanerin verheiratet und spricht fliessend spanisch.

Bush hatte gegen Donald Trump nicht den Hauch einer Chance, denn dieser hatte erkannt, dass genau das Gegenteil zum Erfolg führt: Trump setzte auf unterschwelligen Rassismus gegen Schwarze und offenen Rassismus gegen die Hispanics und bezeichnete diese bekanntlich als «bad hombres», als Mörder und Vergewaltiger.

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Setzte auf die Hispanics: Jeb Bush.Bild: EPA/EPA

Damit traf Trump genau den Nerv der nach wie vor von Weissen dominierten republikanischen Partei. «Trump wollte die Partei nicht verändern, er traf sie dort, wo sie sich befand», stellt der Politologe Michael Tesler fest. «Er jagte, wo die Enten waren.»

Was vor vier Jahren galt, hat sich heute noch verstärkt. Die GOP macht allenfalls Lippenbekenntnisse an Nicht-Weisse. Stattdessen setzt Trump erneut auf die Rassenkarte. Im Verbund mit Fox News und anderen konservativen Medien heizt er die Angst vor dem «Mob» gezielt an.

Die neuen Unruhen kommen ihm dabei sehr gelegen. Täglich werden ihm so Bilder von brennenden Häusern und Polizeiautos geliefert. Das lenkt nicht nur von seinem Versagen in der Coronakrise ab. Es bestätigt auch sämtliche Vorurteile seiner weissen Basis.

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Jagte, wo die Enten sind: Donald Trump.Bild: keystone

Die Tribalisierung der Politik wird die amerikanische Politik wohl noch über Jahre prägen. Beide Parteien stehen dabei vor unterschiedlichen Problemen. Klein beschreibt sie wie folgt:

«Die demokratische Partei wird nicht in der Lage sein, ohne eine enthusiastische und vielfältige Koalition Wahlen zu gewinnen. Die Republikaner werden ohne enthusiastische weisse Basis keine Wahlen gewinnen. Demokraten werden noch stärker versuchen, eine Plattform für Rassen- und Gendergleichheit zu bilden. Die Republikaner hingegen werden ihre Politik noch stärker auf eine Basis ausrichten, die Angst davor hat, ihre Macht zu verlieren.»
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60 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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thunderboltandlightening
27.08.2020 19:52registriert August 2019
Ich denke es jeden tag aber die shitshow von Donald Trump und der GOP ist einfach schrecklich und wiederlich. Ich hasse diesen orangen Mann von ganzem Herzen.
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Platon
27.08.2020 19:55registriert September 2016
„Warum Donald Trump auf die Rassenkarte setzt“
Weil normalerweise gilt „It‘s the economy, stupid.“, aber Trump der wohl schlechteste Wirtschaftspolitiker aller Zeiten ist. Rassismus kann er besser!
20248
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Eidg. dipl. Tütenbauer
27.08.2020 20:30registriert März 2019
Egal was er setzt, Hauptsache er zieht die Arschkarte.
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60
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