Eines der bekanntesten Zitate von Winston Churchill lautet: «Die Amerikaner finden immer die richtige Lösung – nachdem sie alles andere ausprobiert haben.» Das nun vorliegende Wahlresultat zeigt einmal mehr, wie recht der britische Premierminister damit hatte.
Der Sieg von Joe Biden und den Demokraten hat wahrscheinlich verhindert, dass sich die älteste Demokratie der Welt auf den rutschigen Weg in einen autoritären Staat begeben hat.
Historisch gesehen sind die USA immer wieder Mal am Abgrund zum Chaos gestanden. Schon die Gründerväter haben sich gegenseitig gehasst wie die Pest. Der Bürgerkrieg hat die junge Nation beinahe zerstört. Im 20. Jahrhundert bedrohten der Rassenhass des Ku-Klux-Klans und der fanatische Anti-Kommunismus von Joseph McCarthy die Nation. Immer wieder hat die Nation jedoch ihre Schizophrenie überwunden und die Kurve gekriegt.
Donald Trump war auf dem besten Weg, sich in diese Ahnengalerie des Schreckens einzureihen. Mit der ihm eigenen Schamlosigkeit hat er begonnen, die Grundpfeiler von Demokratie und Rechtsstaat auszuhöhlen. Er hat mit seinem korrupten Justizminister William Barr die Trennung von Justiz und Politik aufgeweicht.
Trump hat unter dem Vorwand eines fiktiven «deep state» die parteiunabhängigen Technokraten aus der Verwaltung geekelt. Ja, er hat selbst das FBI, der Inbegriff des loyalen Staatsschutzes, in den Dreck gezogen. Kurz: Die amerikanische Demokratie hätte eine zweite Amtszeit Trumps kaum überlebt.
1861 hat der frisch gewählte Präsident Abraham Lincoln am Vorabend des Bürgerkrieges in seiner Inaugurationsrede ein letztes Mal versucht, die Nation zu vereinen. Er sprach davon, dass seine Landsleute «von den besseren Engeln ihrer Natur berührt werden» und deshalb ein Blutbad zu verhindern sei.
Lincoln scheiterte, der Begriff der «besseren Engel» blieb; und diesmal war auf sie wieder Verlass. Sofern Trump das Weisse Haus tatsächlich räumen wird – was alles andere als sicher ist –, steht Biden vor Aufgaben, die selbst einen Herkules erblassen liessen.
Die ungleiche Verteilung des Reichtums hat ein Ausmass erreicht, das zu einer Bedrohung der Demokratie geworden ist. Die Klimaerwärmung lässt den Meeresspiegel ansteigen und gefährdet Städte wie Miami oder New York. Derweil zerstören immer heftigere Waldbrände weite Teile der Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Washington. Dazu gesellen sich ein marodes Gesundheitssystem und ein nach wie vor ungeklärtes Rassenproblem.
Kein Mensch kann erwarten, dass eine Regierung Biden diese Probleme schnell in den Griff bekommen wird. Trotzdem ist Trumps Niederlage eine bedeutende Zäsur in der Geschichte der USA. Eines nämlich kann Biden am ersten Tag seiner Amtszeit ändern: Er kann der unsäglichen Verschwörungskultur der Trump-Ära einen Riegel schieben.
Trumps grösste Schandtat waren nicht seine schamlosen Lügen und auch nicht sein flegelhaftes Benehmen. Es war sein permanentes Verbreiten von absurden Verschwörungstheorien. Das hat mit der unseligen «Birther-These» – die Behauptung, Barack Obama sei kein legitimer US-Präsident, weil er in Kenia geboren sei – begonnen und mit der ebenso absurden These aufgehört, Ärzte würden bewusst viele Corona-Tote melden, weil sie damit viel Geld verdienten.
Dazwischen hat Trump unter anderem behauptet: Der Vater von Ted Cruz sei an der Ermordung von John F. Kennedy beteiligt gewesen. MSNBC-Moderator Joe Scarborough habe eine Mitarbeiterin ermordet, Osama habe ihn abhören lassen und nicht Obama Bin Laden, sondern ein Double sei von Soldaten der Elitetruppe Seals getötet worden. Dazu passt, dass sich Trump nie von den Verschwörungstheorien von QAnon distanziert hat.
Man kann sich über Verschwörungstheorien und die Aluhüte lustig machen. Doch werden sie mit den Segen des mächtigsten Mannes der Welt verbreitet, hört der Spass auf. Die Zwillingsschwester von Verschwörungstheorien ist die Gewalt. Sicherlich kann man Trump nicht allein für das Klima des Hasses verantwortlich machen, das sich in den USA ausgebreitet hat. Dass er mit seinem Dulden von absurden Thesen jedoch wesentlich dazu beigetragen hat, lässt sich nicht von der Hand weisen.
Zum Glück zeigt der Sieg Bidens, dass die zentralen Institutionen dem Angriff dieser Verschwörungstheorien widerstanden haben. Die legendären «checks and balances», das Gleichgewicht von Politik und Justiz, ist intakt geblieben. Auch die vierte Gewalt, die Pressefreiheit, ist nicht von der präsidialen Fake-News-Twitter-Lawine zugedeckt worden.
Joe Biden hat damit noch keines der gewaltigen Probleme, die ihn erwarten, gelöst. Doch mit Trumps Niederlage sind die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass sie in Angriff genommen werden können. Die emotional aufgeladene Verschwörungstheorie-Kultur wird nun einer nüchternen, Fakten basierten Kultur weichen – und Wissenschaft und Vernunft werden wieder am Lenkrad der mächtigsten Nation der Welt sitzen.
Ach... warte, sollte ich nicht noch warten bis die Warze definitiv entfernt wurde... Nein, ich gratuliere dir schon jetzt!