Es muss schnell gehen, sehr schnell. Am 18. September starb die schon zu Lebzeiten legendäre Richterin Ruth Bader Ginsburg. Eine Woche später nominierte Präsident Donald Trump die 48-jährige Amy Coney Barrett, eine streng gläubige Katholikin und Abtreibungsgegnerin, für die Nachfolge der Feminismus-Ikone am Obersten Gerichtshof.
Barretts Ernennung soll noch vor der Präsidentschaftswahl am 3. November durch den Senat gepeitscht werden. So wollen es Trump und Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat. Mit der konservativen Juristin Barrett könnte die rechte Mehrheit im Supreme Court auf 6:3 Stimmen ausgebaut und für viele Jahre zementiert werden.
Diese Perspektive empört die Demokraten. Sie nehmen es McConnell übel, dass er vor vier Jahren einen von Präsident Barack Obama nominierten Richter während Monaten blockiert und seine Ernennung am Ende verhindert hatte. Nun fürchten sie, dass die neue rechte Mehrheit das Obamacare-Gesundheitsgesetz und das Recht auf Abtreibung kippen könnte.
Beides sind Wunschprojekte der Republikaner und vor allem ihrer religiösen Wählerschaft. Für das Tempo bei der Ernennung von Amy Coney Barrett aber gibt es aus Sicht der Partei einen noch wichtigeren Grund. Ein auf Jahre hinaus rechtslastiger Gerichtshof soll den Republikanern helfen, ihre schwindende Macht mit fragwürdigen Mitteln zu sichern.
Das beginnt mit der Wahl im November. Donald Trump liegt in den Umfragen klar hinter Herausforderer Joe Biden zurück. Der Präsident aber hat wiederholt klar gemacht, dass er das Weisse Haus nicht kampflos räumen will. Bei einem knappen Wahlausgang will er den Supreme Court anrufen, um aus einer Niederlage einen Sieg zu machen.
Als «Präzedenzfall» betrachtet Trump das Urteil im Fall Bush vs. Gore im Dezember 2000. Damals beendete der Oberste Gerichtshof die umstrittene Nachzählung im Bundesstaat Florida und «ernannte» faktisch den Republikaner George W. Bush zum Sieger der Präsidentschaftswahl, weil der Demokrat Al Gore das Urteil widerwillig akzeptierte.
Der «parteiische und armselig begründete Entscheid», so der Rechtsprofessor Lawrence Douglas im watson-Interview, wurde zu einer Zeit gefällt, als im Gerichtshof noch eine Balance zwischen Links und Rechts bestand. Eine stramm konservative Mehrheit könnte erst recht im Sinne der Republikaner urteilen, glauben Trump und seine Entourage.
Das Kalkül der amerikanischen Rechten aber geht weit über die aktuelle Wahl hinaus. Denn die republikanische Partei hat ein Problem: Sie droht von der Demografie überrollt zu werden. Im ethnisch immer vielfältigeren Land sind die Republikaner zur Partei der weissen «Wutbürger» geworden. Mit Donald Trump hat sich diese Entwicklung verstärkt.
Die damit verbundene Gefahr schilderte der Präsident auf seinem Lieblingssender Fox News im März ganz unverblümt: Wenn man das Wählen erleichtere, werde «in diesem Land nie wieder ein Republikaner gewählt», sagte Trump. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Die Republikaner müssen für ihren Machterhalt das Wahlrecht einschränken.
In republikanisch dominierten Bundesstaaten wurden in den letzten Jahren Gesetze beschlossen, die auf Wählerinnen und Wähler der Demokraten zielen, und dabei besonders auf Angehörige von Minderheiten. So wird für die Ausübung des Wahlrechts vermehrt ein amtlicher Ausweis mit Foto verlangt, über den ärmere Menschen häufig nicht verfügen.
Zum Repertoire gehören auch die «Säuberung» der Wählerregister, der Ausschluss von Straftätern vom Wahlrecht oder die Schaffung von möglichst vielen Wahlkreisen mit konservativer Mehrheit, das sogenannte Gerrymandering. Als Rechtfertigung nennen die Republikaner immer wieder den gleichen Vorwand: Sie wollen Wahlbetrug verhindern.
Donald Trump wütet mit diesem Argument seit Monaten gegen die briefliche Stimmabgabe. Beweise für einen Missbrauch des Wahlrechts gibt es kaum, im Gegenteil. Eine von Trump 2017 eingesetzte und von einem rechten Hardliner geleitete Kommission fand nur wenige mutmassliche Fälle von Wahlbetrug. Im Januar 2018 wurde sie aufgelöst.
Für die Bestrebungen der Republikaner, das Wahlrecht einzuschränken, ist das kein Hindernis. Einen Steilpass erhielten sie ausgerechnet vom Obersten Gerichtshof, der 2013 noch in alter Besetzung den historischen Voting Rights Act von 1965, eine wichtige Errungenschaft der Bürgerrechtsbewegung, in grossen Teilen annullierte.
Das Gesetz hatte es dem Justizministerium in Washington ermöglicht, diskriminierende Regeln in den Bundesstaaten zu kippen. Das betraf vor allem den Süden, wo Schwarze mit grotesken Schikanen (etwa unlösbaren «Intelligenztests») an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert wurden. Genau diese Möglichkeit hob der Supreme Court auf.
«Unser Land hat sich verändert», begründete Chief Justice John Roberts das Urteil. Das trifft zu, doch mit seinem Urteil ermöglichte das Gericht die Einführung neuer Hindernisse. In der Hälfte aller US-Bundesstaaten haben die Republikaner laut dem Brennan Center for Justice seit 2010 Gesetze beschlossen, die das Wahlrecht limitieren.
«Eine konservative 6:3-Mehrheit wird das Gericht ermutigen, auch den Rest des Voting Rights Acts zu kassieren», heisst es in einem Gastkommentar der «Washington Post». Denn das Wahlrecht ist in der US-Verfassung nur rudimentär geregelt. Und konservative Richter pflegen, den Bundesstaaten in solchen Fällen sehr viel Spielraum einzuräumen.
In den letzten Jahren sind wiederholt Versuche gescheitert, restriktive Wahlgesetze vor dem Supreme Court anzufechten. Dabei verstecken die Republikaner ihre wahren Absichten kaum. In Swing States wie Pennsylvania und Wisconsin haben führende Vertreter zugegeben, dass sie mit solchen Regeln den Demokraten schaden wollen.
Aus europäischer Sicht verfolgt man diese Vorgänge fassungslos, auch wenn es in Ländern wie Ungarn ähnliche Bestrebungen gibt. Ob das Oberste Gericht sich in den Ausgang der Präsidentschaftswahl überhaupt einmischen wird, ist unklar. Und ihre Macht erhalten können die Republikaner langfristig nur, wenn sie Minderheiten umwerben, statt sie zu schikanieren.
Derzeit aber deutet nichts auf ein solches Umdenken hin. Es erstaunt deshalb wenig, dass die Republikaner es mit der Vereidigung von Amy Coney Barrett so eilig haben. Auch wenn die Folgen für die dysfunktionale US-Demokratie verheerend sein könnten.
Bei regelkonformen Wahlen hätten Trump und die Rep's null Chancen. Daher können wir uns den Spruch "wie blöd müssen die Wähler sein, ..." abschminken.
Vor der Geburt: "Dein Leben ist heilig, Abtreibung Mord".
Nach der Geburt: "Du kannst das Krankenkaus nicht bezahlen? Dann musst du halt sterben!"