Wie kann man nur? Die Vorwürfe, die nun auf den Präsidenten niederprasseln, sind happig: Fahrlässig habe er gehandelt und auf egoistische Weise nicht nur mit dem eigenen, sondern auch mit dem Leben anderer, vor allem der ihn begleitenden Sicherheitsleute gespielt. Und wozu? Für ein paar Hardcore-Fans, die ihn auch wählen würden, wenn er am 3. November im Sarg zur Wahl antreten würde?
Die Antwort liegt einerseits in Trumps pathologischem Narzissmus. Er benimmt sich wie ein Soldat, der im sicheren Glauben in die Schlacht zieht, ihn werde es auf keinen Fall treffen. So findet sich in Bob Woodwards Buch «Rage» folgender Dialog:
Ob er nie Angst habe, mit dem Virus angesteckt zu werden, will Woodward wissen. «Es ist riskant, selbstverständlich», entgegnet Trump.» Ob ihn das nicht beunruhige, will Woodward weiter wissen. «Nein, das tut es nicht. Ich weiss nicht weshalb, aber ich bin nicht beunruhigt.» Warum, hakt Woodward nach. «Ich weiss es ganz einfach nicht.»
Trumps persönlichen Allmachtsphantasien stehen in einem krassen Gegensatz zu seinen politischen Ambitionen. Schon im Frühling hat er erkannt, dass es vom Coronavirus abhängen wird, ob er eine zweite Amtszeit erleben wird oder nicht. Nochmals ein Ausschnitt aus Woodwards Buch:
«Graham (Senator Lindsey Graham, ein wichtiger Berater Trumps) erklärte Trump erneut, dass sein Gegner nicht Biden sei. ‹Es ist das Coronavirus.› Seine Präsidentschaft werde dadurch definiert sein. Er erklärte, Trump werde gewinnen, falls ‹wir im Oktober einen Impfstoff in greifbarer Nähe und Therapien zu Verfügung haben (...) und die Menschen wieder zu Footballspielen strömen und sich die Wirtschaft erholt. Andernfalls, vor allem wenn es zu erneuten Ausbrüchen kommt und die Wirtschaft stottert, befinden wir uns in Schwierigkeiten.›»
Trump hat daher in den vergangenen Wochen alles, aber wirklich alles unternommen, um von Corona abzulenken. Er hat nicht mehr darüber gesprochen, er hat Dr. Anthony Fauci mehr oder weniger aus dem Verkehr gezogen, er hat dem CDC laschere Vorsichtsmassnahmen verordnet; und er hat vor allem wieder Wahlkampfveranstaltungen durchgeführt, als ob es keine Pandemie gäbe.
Die Erkrankung an Covid-19 ist für Trump daher ein GAU, nicht nur, weil er persönlich möglicherweise weit stärker davon betroffen ist, als er zugeben will. Seit das Weisse Haus verkünden musste, dass der Präsident positiv getestet worden sei, ist Corona wieder das alles dominierende Thema in den USA.
Und Trump sieht dabei ganz schlecht aus. Umfrage für Umfrage zeigt, dass die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner denkt, der Präsident habe die Corona-Krise lausig gemanagt. Sieben von zehn sind der Meinung, er habe seine Erkrankung selbst zu verantworten.
Sein Kontrahent Joe Biden scheint derweil alles richtig gemacht zu haben. Sein demonstratives Maskentragen und sein striktes Einhalten der Sicherheitsregeln macht ihn nun zum Staatsmann, der die Gefahr rechtzeitig erkannt und umsichtig gehandelt hat.
Das Biden-Team kann es sich daher nun leisten, auf negative Werbung zu verzichten. Sie tun dies im Wissen, dass alle TV-Stationen ausser Fox News in den nächsten Tagen immer wieder die Bilder ausstrahlen, die zeigen, wie Trump über Biden spottet, wie seine Fans an den Rallys jegliche Vorsichtsmassnahmen in den Wind schlagen, und – speziell peinlich – wie die gesamte Trump-Familie bei der Debatte in Cleveland demonstrativ auf Masken verzichtet hat, obwohl im Saal eine Maskenpflicht bestand.
Dass sich die Ankündigung der Richterin Amy Barrett für den Supreme Court im Rosengarten des Weissen Hauses vermutlich als Superspreader-Event erwiesen hat, dürfte die Wahlchancen von Trump ebenfalls kaum erhöht haben.
Amerikaner haben ein grosses Verzeihungs-Potential. Wer seine Sünden bekennt, kann auf Reue hoffen. Deshalb müsste Trump nun eigentlich vor die Nation stehen und seine Fehler im Management der Pandemie eingestehen. Doch das Mea-Culpa-Gen ist bei Trump irgendwie verloren gegangen. Entschuldigen kann er ganz einfach nicht.
Stattdessen macht Trump auf Supermacho. Mit seinem idiotischen Trip vor dem Spital wollte er zeigen, dass er sich vom Virus nicht unterkriegen lässt. Er müsse seine eigene Gesundheit aufs Spiel setzen, um Amerika zu retten, lässt er verkünden und will möglichst rasch wieder in Weisse Haus zurück.
«Ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten und ich kann mich nicht in einen Bunker einschliessen», lässt Trump via seinen Anwalt Rudy Giuliani verkünden. «Ich musste diesen Ausflug machen, um das Virus zu stellen, damit die Amerikaner keine Angst mehr haben und damit wir verantwortungsvoll dagegen ankämpfen können.»
So weit, so schlecht. Gemäss jüngsten Umfragen führt Biden nun mit 14 Prozent.
Mal schauen....
Was man nicht hat kann man auch nicht verlieren.