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Belarus: Tichanowskaja geht nach Ausreise an die Öffentlichkeit

«Gott bewahre, dass ihr je vor so einer Wahl stehen müsst, wie ich es musste»

11.08.2020, 14:0611.08.2020, 14:41
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Nach einer weiteren Gewaltnacht in Belarus (Weissrussland) und ihrer Ausreise nach Litauen sich hat die Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja in einer ergreifenden Videobotschaft an die Öffentlichkeit gewandt:

Die zweifache Mutter sagt mit stockender Stimme:

«Ich dachte, der Wahlkampf hätte mich abgehärtet und mir die Kraft gegeben, alles durchzustehen. Aber wahrscheinlich bin ich doch die schwache Frau geblieben, die ich zu Beginn war»

Zuvor war bekannt geworden, dass die 37-Jährige in der Nacht zum Dienstag in das benachbarte EU-Land Litauen ausgereist war.

Die genauen Umstände der Ausreise Tichanowskajas sind unklar. Sie selber sagt in dem Video, sie habe diese schwere Entscheidung selbstständig getroffen, niemand habe sie beeinflussen können. Tichanowskaja ergänzt im Video:

«Viele werden mich verstehen, mich verurteilen oder hassen. Aber Gott bewahre, dass die je vor so einer Wahl stehen müssen, wie ich es musste.»

«Sie hatte keine Wahl»

Olga Kowalkowa hingegen, eine Vertraute Tichanowskajas sagte laute dem Internetportal tut.by, die belarussischen Behörden selbst hätten die Kandidatin ausser Landes gebracht. «Sie hatte keine Wahl. Wichtig ist, dass sie in Freiheit und am Leben ist.» Tichanowskaja habe mit ihrer Flucht auch die Freilassung ihrer Wahlkampfleiterin Maria Moros erreicht. Moros sei eine «Geisel» gewesen, beide reisten gemäss Kowalkowa gemeinsam aus.

Tausende Menschen festgenommen
Bei der zweiten Protestnacht gegen Manipulationen bei der Präsidentenwahl in Belarus (Weissrussland) sind wieder Tausende Menschen festgenommen worden.

Landesweit werde gegen mehr als 2000 weitere Demonstranten ermittelt, teilte das Innenministerium in Minsk der Staatsagentur Belta zufolge mit. Rund 20 Sicherheitskräfte seien verletzt worden.

Über die Zahl der verletzten Demonstranten war zunächst nichts bekannt. Auf Fotos und Videos in sozialen Netzwerken waren viele blutüberströmte verletzte Bürger zu sehen. Mindestens ein Mann starb in der Nacht zum Dienstag, weil nach Darstellung der Behörden ein Sprengsatz in seiner Hand explodierte.

Bereits am Montag wurden mehr als 3000 Menschen festgenommen, es gab 100 Verletzte. (sda/dpa)

Laut dem litauischen Aussenminister Linas Linkevicius war Tichanowskaj für rund sieben Stunden von den Behörden Belarus' festhehalten worden, bevor sie das Land verlassen konnte. Nach Angaben des belarussischen Grenzschutzes verliess Tichanowskaja das Land in der Nacht zum Dienstag gegen 2.30 Uhr (MESZ).

Nachdem Tichanowskaja das offizielle Ergebnis der Wahl nicht anerkannt hatte, hatte sie zunächst bei einer Pressekonferenz gesagt, dass sie im Land bleiben werde und weiter kämpfen wolle.

Derweil kursiert ein zweites Video von Tichanowskaja in den Sozialen Medien. Wann es aufgenommen wurde, ist unklar. Die 37-Jährige sitzt dabei auf einem Sofa und liest einen Text ab. Sie fordert die Menschen auf, nicht zu protestieren und die Polizei zu respektieren.

Überraschende Entwicklung

Die Ausreise überraschte viele Beobachter. Tichanowskaja hatte noch zuvor bei einer Pressekonferenz gesagt, dass sie im Land bleiben werde und weiter kämpfen wolle. Die politisch unerfahrene Fremdsprachenlehrerin war im Juli als Kandidatin bei der Wahl in der autoritären Ex-Sowjetrepublik registriert worden. Sie war an Stelle ihres inhaftierten Ehemannes angetreten.

Sergej Tichanowski ist ein bekannter Blogger, der im Internet offen Korruption und Missstände unter Staatschef Alexander Lukaschenko kritisiert. Seine Frau wurde zur Hoffnungsträgerin der Opposition. Ihre minderjährigen Kinder brachte Tichanowskaja schon vor einiger Zeit ins Ausland. Ihr Video schliesst die 37-Jährige mit den Worten:

«Leute, passt bitte auf Euch auf. Kein Leben ist es wert, was jetzt passiert. Kinder sind das Wichtigste im Leben»

Experten gingen zunächst nicht davon aus, dass die Ausreise Tichanowskajas zu einem Abflauen der Proteste führen wird. «Sie ist vor allem die Symbolfigur und kann auch aus dem Ausland mit Videos Botschaften senden», sagte die belarussische Analystin Maryna Rakhlei der Deutschen Presse-Agentur. Tichanowskaja sei zuletzt Gefahr gelaufen, verhaftet und wegen der Zerstörungen und Gewalt mit Toten und Verletzten angeklagt zu werden.
(sda/dpa)

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Belarus: Wahlleitung erklärt Lukaschenko zum Sieger
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41 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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sternsucher
11.08.2020 14:58registriert November 2019
Jeder weiss dass da etwas faul ist...... und die ganze Welt schaut einfach nur zu.
Nur deshalb können sich solche Despoten an der Macht halten.
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MeinSenf
11.08.2020 15:05registriert April 2016
Angesichts des unglaublichen Machtapparates, dessen sich Lukaschenko bedienen kann, verstehe ich ihre vordergründige Entscheidung. Aber gerade diese Botschaft (und die versteckte Botschaft dahinter) sollten jetzt ein Ansporn sein, mit der Diktatur endlich aufzuräumen. Lasst die Leute in Weissrussland nicht hängen!
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benn
11.08.2020 15:36registriert September 2019
Mit was haben sie ihr wohl gedroht, familie umzubringen?
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