Die brasilianische Impfkampagne kommt aufgrund knapper Impfvorräte nur langsam in Gang. 15 Prozent der älteren Bevölkerung hat bereits eine Dosis erhalten. Als Vergleich: In der Schweiz sind 36 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal gepikst worden.
Dass die Impfaktion eher schleppen vonstattengeht, hat vor allem damit zu tun, dass der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro seit Beginn der Pandemie Schutzmassnahmen sowie Einschränkungen ablehnt. Nach eigenen Angaben will sich der Rechtspopulist nicht gegen das Coronavirus impfen lassen und stellt den Sinn der Impfungen infrage. Bei der Bevölkerung sorgt dies für grosse Unsicherheit.
Um gegen die Corona-Politik und die Regierung um Bolsonaro zu protestieren, kam es am Wochenende in Dutzend brasilianischen Städten zu Demonstrationen. Dabei forderten die Demonstranten und Demonstrantinnen die Beschaffung von Corona-Impfstoffen.
Skeptik gegenüber der Impfung herrschte auch in der Kleinstadt Serrana – rund 300 Kilometer von São Paulo entfernt. Rund 45'000 Menschen sind dort ansässig. Trotz Misstrauen der Einwohner plante das Institut Butantan in São Paulo, welches den Impstoff Coronavac in Brasilien produziert, ein geheimes Projekt.
In Zusammenarbeit mit der Universität São Paulo wollte es in jener Stadt die Auswirkungen einer Massenimpfung auf den Verlauf der Pandemie untersuchen. Die Beteiligten hielten das Projekt ein halbes Jahr lang geheim, um den Massenzuzug von Impfwilligen aus den Nachbarstädten zu vermeiden.
Für die Untersuchung durften sich alle Impfwilligen der Kleinstadt mit dem zum damaligen Zeitpunkt von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch nicht zugelassenen Impfstoff Coronavac impfen lassen. Coronavac, auch als Sinovac bekannt, wird auch in China verabreicht. Seit dieser Woche hat die WHO dem Impfstoff eine Notfallzulassung genehmigt.
«Für das Projekt ist grosse Überzeugungskraft notwendig gewesen», sagt Bürgermeister Leo Capitelli. «In den sozialen Netzwerken verbreiten sich viele Impfmythen, sie hinterlassen die Menschen voller Zweifel». Man sei zum Teil von Haus zu Haus gegangen, um den Leuten das Projekt zu erklären – und warum es so wichtig sei, daran teilzunehmen.
Viele der Einwohner von Serrana sind Arbeitspendler. Das mache die Studie besonders wertvoll, da sie in Verhältnissen entstanden, die andernorts auch herrschen. Es gibt viel Kontakt mit Menschen aus unterschiedlichen sozialen Umfeldern.
Die Bemühungen haben sich gelohnt: 98 Prozent der Volljährigen der Kleinstadt haben zwei Dosen Coronavac verabreicht bekommen, wobei die zweite Dosis vier Wochen nach der ersten erfolgte.
Die Massenimpfung fand in mehreren Schritten statt, wozu die Bevölkerung in vier Gruppen aufgeteilt wurde. Bereits nach der zweiten Phase verzeichneten die Forscher einen Rückgang der Fälle. Und dass, obwohl die Stadt nie von den Nachbarstädten abgeschottet wurde.
Als 75 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft war, galt die Pandemie als unter Kontrolle. Bei den geimpften Personen habe man nur zwei Corona-Fälle feststellen können. Todesfälle gab es gar keine mehr. Aber nicht nur bei den Geimpften spürte man eine Verbesserung: Auch bei Kindern und Jugendlichen sind die Zahlen nach der Massenimpfung der Erwachsenen gesunken.
Insgesamt seien die Fälle nach der Massenimpfung um 80 Prozent zurückgegangen, während das Virus in den umliegenden Städten weiterhin tobte. «Serrana ist jetzt eine Oase», sagt der Epidemiologe Ricardo Palacios, der an der Studie beteiligt war. «Wir können bestätigen, dass es möglich ist, die Pandemie zu kontrollieren, nicht nur im Labor, sondern in der realen Welt.»
Erlaubt mir,meine Zweifel an der Geschichte kund zu tun.