Das Coronavirus hat Europa wieder im Griff. Am Wochenende verkündete auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz eine drastische Verschärfung der Massnahmen. Österreich geht ab Dienstag in einen «harten» Lockdown. Was nicht systemrelevant ist, wird geschlossen. Wer nicht die Grundbedürfnisse decken muss, darf das Haus nicht verlassen. Schotten dicht bei unseren Nachbarn.
Der Fokus richtet sich nach einem ruhigen Sommer also wieder auf Europa. China, Brasilien, Indien oder Russland – Riesenländer mit unterschiedlichen Corona-Massnahmen und -Entwicklungen – sind gerade etwas vom Radar verschwunden. Aber wie entwickelt sich die Pandemie dort? Und wie geht es Südafrika?
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Am Wochenende waren Wahlen in Brasilien. Zumindest in den Metropolen schnitten die von Präsident Jair Bolsonaro unterstützten Kandidaten nicht gut ab. Im Allgemeinen aber hat sich seine Popularität seit dem Abflachen der Kurve nach oben bewegt.
Brasilien hatte im zwischen Juli und September pro Million Einwohner eine der höchsten Falldichten der Welt. Die Zahlen gingen im am Mitte September nach unten, steigen jetzt aber in der Tendenz wieder an.
Staatlich verordnete Massnahmen gibt es weiterhin keine. Allerdings verfügten einige Staaten Regelungen, bis hin zum Lockdown. Präsident Jair Bolsonaro hält aber weiterhin nicht viel von irgendwelchen Massnahmen. Dass diverse Länder wieder in den Lockdown gingen, hält er schlicht für «verrückt».
Kürzlich erklärte der 65-Jährige: «Alle reden nur noch über diese Pandemie, das muss aufhören. Mein Beileid für die Toten. Aber wir werden alle irgendwann sterben. Wir dürfen der Realität nicht davonlaufen. Wir müssen aufhören, ein Land von Schwuchteln zu sein. Wir müssen hinstehen und es bekämpfen. Ich hasse dieses Schwuchtelzeugs.»
Auch bei den Impfstoffen steht Bolsonaro auf die Bremse. Kurz nachdem sein Gesundheitsminister entschieden hatte, 46 Millionen Impfdosen zu beschaffen, erklärte er: «Wir werden keinen chinesischen Impfstoff kaufen.»
In China wurde das Coronavirus im Dezember 2019 in der Stadt Wuhan erstmals entdeckt. Die Regierung griff danach mit Lockdowns hart durch. Und dies mit Erfolg: Die Infektionszahlen bewegen sich seit Mitte März täglich praktisch immer unter 50, der Alltag ist weitestgehend zurückgekehrt.
Und falls es doch wieder irgendwo zu einem Ausbruch kommt, wird radikal durchgegriffen. Als im Oktober beispielsweise zwölf Fälle in Zusammenhang mit einem Spital in der Stadt Qingdao gemeldet wurden, verordnete die Regierung knapp 10 Millionen Tests für die Bevölkerung.
Die Menschen zahlen mit den strikten Massnahmen und dem nicht gewährleisteten Datenschutz zwar einen hohen Preis. Aber von einer zweiten Welle ist man in China nach wie vor weit entfernt.
In Frankreich gingen die Fallzahlen in den letzten Wochen durch die Decke. Nach diversen Ausgangssperren in verschiedenen Städten versetzte sich das Land vor 17 Tagen in den zweiten Lockdown.
Jetzt scheint der Peak endlich überwunden zu sein. Wurden am 7. November noch über 85'000 Fälle innert 24 Stunden gemeldet, waren es zuletzt nur noch deren 27'000. Und getestet wird nicht etwa weniger, sondern in ähnlichem Ausmass wie in den letzten Wochen. Der 7-Tage-Schnitt nahm nunmehr neun Tage in Folge ab. In Frankreich ist man überzeugt, dass der Lockdown zu den massiv sinkenden Zahlen geführt hat.
Gesundheitsminister Olivier Véran erklärte Ende letzter Woche: «Es gibt Anzeichen, dass wir den Höhepunkt der 2. Welle hinter uns haben. Dank dem Lockdown haben wir die Zahlen runtergebracht.» Auch beim Parisien listet man Gründe auf, die die Franzosen optimistisch stimmen sollen, man solle jedoch auch vorsichtig bleiben. So sank unter anderem der R-Wert von 1,3 auf aktuell 0,81 (alles unter 1 ist gut). Epidemiologe Antoine Falhault erklärt: «Der Wert muss noch etwas tiefer gehen, aber das sind schon mal sehr gute Nachrichten.»
Von einem Aufatmen will man in Frankreich aber noch nichts wissen. Die Neuinfektionen sind weiterhin hoch. Die Massnahmen bleiben weiterhin in Kraft. Vielleicht kann Anfang Dezember der Einzelhandel wieder öffnen. Bars und Restaurants dürften aber noch eine Weile geschlossen bleiben. Premierminister Jean Castex nannte die Entwicklung «positiv, aber fragil».
Die Frage bleibt: Wie hat Frankreich das geschafft? Für Virologe Bruno Lina ist klar: «Je restriktiver die Massnahmen, desto wirkungsvoller sind sie. Wir mussten mit dem zweiten Lockdown einen hohen Preis bezahlen, aber ohne diesen hätten wir das nicht erreicht», sagt er gegenüber dem «Parisien».
Auch für Karine Lacombe, Leiterin der Infektiologischen Abteilung im Pariser Spital Saint-Antoine ist offensichtlich, dass die Massnahmen wirkten: «Im Spital spürten wir die ersten Veränderungen mit der schulfreien Zeit um Allerheiligen, der Förderung von Homeoffice und vor allem der Ausgangssperre.» Man habe dort eingedämmt, wo sich das Virus am schnellsten verbreitete: Schule, Arbeit, Freizeit (Ausgang).
Auch die Spitäler dürften den Höhepunkt überstanden haben. Rund um Paris deuten sich Erholungen an, die Situation bleibt aber weiterhin angespannt. Aus einigen Spitälern mussten in den letzten Tagen auch Patienten aus Platzgründen in andere Krankenhäuser überführt werden.
In Indien stieg die Corona-Kurve seit April kontinuierlich nach oben. Während in Europa die zweite Welle hereingebrochen ist, haben die Inder den Peak der ersten Welle überwunden. Die Neuinfektionen zeigten auch zuletzt erfreulicherweise nach unten. Am Montag freute sich die Regierung über eine der tiefsten Quoten pro Million Einwohner.
Einen weiteren Lockdown schlossen grosse Städte wie Delhi vorerst aus. Gesundheitsminister Satyendar Jain sagte: «Das Virus wird nicht mit Lockdowns bezwungen. Tragt lieber eine Maske.» Einheitliche Massnahmen gibt es im riesigen Land nicht, aber diverse Staaten haben ihre eigenen Regeln zur Eindämmung des Virus aufgestellt.
Indien hat aber zwei Probleme: Am Samstag begann das fünftägige Diwali, das für viele wichtigste Hindu-Fest des Jahres. Die Menschen strömten schon in den Tagen zuvor auf die Märkte, um sich für die Feierlichkeiten einzudecken.
Die Regierung erinnerte vor dem Fest zwar an Social-Distancing-Massnahmen und rief die Bevölkerung auf, Masken zu tragen. Aber wie sehr das eingehalten wird, ist mehr als fraglich.
Das zweite Problem betrifft die Luft. Möglicherweise verbreitet sich das Coronavirus in verschmutzter Luft einfacher. Und aktuell brennen viele Bauern ihre Felder nieder, um sie für die nächste Saison vorzubereiten. In Neu-Delhi wurde seit letzter Woche die höchste Warnstufe der Luftverschmutzung erreicht.
Schon im August überraschte Wladimir Putin die Welt mit dem Impfstoff «Sputnik V». Obwohl Russland behauptet, dass dieser gut wirke, gehen die Neuinfektionen zuletzt steil nach oben. Warum?
Russland steckt mitten in der zweiten Welle. Die Neuinfektionen sind so hoch wie nie. Strikte Massnahmen werden aber vielerorts abgelehnt. Immerhin wurde zuletzt die Maskenpflicht eingeführt und den Regionen geraten, Bars und Nachtklubs zu schliessen. Geschäfte sollen aber unbedingt offen bleiben.
Russland setzt in der Bekämpfung viel mehr auf eine Impfung, die schnell eingesetzt werden kann. Das Mittel «Sputnik V» wurde schon im August nach der zweiten Testphase freigegeben – unüblich früh und unter Warnungen von Experten. Aus Russland heisst es, dass dieses zu 92 Prozent schütze.
Auch hätte es schon im Oktober eine Massenimpfung geben sollen. Diese musste aber verschoben werden. Man wolle mit den Impfungen aber in den nächsten Wochen beginnen. Was zum nächsten Problem führt: Der Impfstoff kann nicht in den gewünschten Mengen hergestellt werden. Russland fragte darum auch schon Frankreich um Hilfe an.
Aktuell ist weiterhin unklar, wann die Produktion wirklich anlaufen wird und wie gut «Sputnik V» tatsächlich wirkt. Sicher ist einzig: Die Fallzahlen steigen weiter an. In Moskau wurde eine Eishalle erst kürzlich in ein Notspital umfunktioniert.
Südafrika überstand die erste Welle im Juni und Juli gut. Seither bleiben die Neuinfektionen tief. Das Land befindet sich nur noch auf Level 1 (von 5), der Notstand wurde gerade wieder bis Mitte Dezember verlängert. Maskentragen und Social Distancing gelten weiterhin.
Zuletzt ereigneten sich einige Superspreader-Events, was lokale Ausbrüche zur Folge hatte. Man fürchtet sich vor der zweiten Welle, weil die Zahlen insgesamt wieder leicht steigen.
Allerdings ging das Land auch in die Offensive: Präsident Cyril Ramaphosa erklärte vor drei Tagen, dass man von überall her wieder mit einem negativen Corona-Test einreisen könne. Südafrika zählt damit zu den Ländern mit den laschesten Einreisevorschriften weltweit. Das Ziel ist klar: Den Tourismus, der normalerweise jetzt im Sommerhalbjahr am Kap seinen Höhepunkt erreicht, zu fördern.
Südkorea bekam die erste Welle mit Maskentragen, Testen und hartnäckigem Tracing gut unter Kontrolle. Auch eine zweite Welle im August wurde in den Anfängen erstickt.
In den letzten Tagen nahmen die Fallzahlen wieder etwas zu. Der Anfang einer dritten Welle? In Südkorea bereitet man sich landesweit vor allem auf die Reifeprüfungen an Schulen vor und verschärft die Massnahmen diesbezüglich. Der Termin für die Tests wurde auch schon vom 19. November auf den 3. Dezember verschoben.
Ansonsten gibt es vor allem gute Neuigkeiten aus Südkorea. Die Wirtschaft sei im dritten Quartal gewachsen und komme mit Schwung aus der Pandemie.
Joe Bidens Corona-Berater Vivek Murthy erzählte kürzlich dem TV-Sender Fox News: «Wir haben Ansätze mit der Präzision eines Skalpells statt der rohen Kraft einer Axt.» Einen Lockdown wolle auch die neue Regierung verhindern. Aber bekämpft wird das Virus ab dem 20. Januar sicher anders als jetzt unter Donald Trump.
Allerdings passen auch einige republikanische Gouverneure für ihre Staaten jetzt schon die Regeln an. Maskenpflicht wurde eingeführt. In Michigan beispielsweise dürfen Restaurants nur noch Take Away anbieten.
Doch neue Massnahmen scheinen derzeit auch unumgänglich: Die Fallzahlen erreichten in den letzten Tage neue Höchststände.
Wenn ein Staatspräsident inmitten einer Pandemie daher labert wie ein niveauloser Vollpfosten in der Kommentarsektion, dann hat dieses von ihm regierte Land ein echtes Problem.