Kurz nach Weihnachten hat Europa mit dem Impfen begonnen. Doch die hoffnungsvolle Stimmung wird zum Beginn des zweiten Jahres mit der Pandemie arg gebremst. Vielerorts bleiben die Ansteckungszahlen hoch. Die Angst vor einer neuen Festtagswelle steigt. Nur wenige Länder haben die Situation wirklich im Griff. Ein Überblick.
Impfen im Akkord, sinkende Infektionszahlen, die Perspektive, dass in absehbarer Zeit so etwas wie Normalität zurückkehrt: Deutschland glaubte an einen optimistischen Start ins neue Jahr. Doch daraus wird nichts: Am x-ten «Corona-Krisengipfel» zwischen Kanzlerin Angela Merkel und den Regierungschefs der 16 Bundesländer wurde gestern beschlossen, dass der Lockdown bis mindestens Ende Januar in die Verlängerung geht. Die Massnahmen werden weiter verschärft.
Unter anderem soll in besonders betroffenen Landkreisen der Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort begrenzt werden. Das betrifft etliche Gebiete auch im Grenzgebiet zur Schweiz. Ausflüge in Naherholungsgebiete sind für die Betroffenen vorübergehend nicht mehr möglich. Wie das allerdings von den Behörden kontrolliert werden soll, ist offen. Klar ist, dass die «Coronaleine» das letzte ist, worauf die Deutschen gehofft hatten.
Eigentlich wollte Kanzler Sebastian Kurz die Massnahmen Mitte Januar lockern und all jenen Österreichern, die einen negativen Test vorweisen können, das Shoppen wieder erlauben. Jetzt aber hat sich die Opposition durchgesetzt: Der Lockdown gilt neu bis mindestens zum 24. Januar - weil die linke SPÖ die Massnahmen als nicht ausreichend erachten und die rechte FPÖ in den notwendigen Massentests den ersten Schritt hin zu Zwangsimpfungen sieht. Wer nach Österreich einreisen will, muss mit ganz wenigen Ausnahmen (in Europa nur Finnland, Island, Norwegen, Irland und der Vatikan) unmittelbar nach der Grenzüberquerung in Quarantäne.
Nirgendwo in Europa ist die Impfskepsis so gross wie in Frankreich. Sechs von zehn Bewohner wollen auf die Spritze verzichten. Bislang haben sich gerade mal gut 2000 der 67 Millionen Franzosen impfen lassen. Zuletzt hat sich Staatspräsident Emmanuel Macron eingemischt und das «Spaziergangtempo» der Impfkampagne kritisiert. Aus gutem Grund: Die Situation in unserem Nachbarland nach wie vor sehr angespannt. Fast im ganzen Land gilt eine Ausgangssperre zwischen 18 und 6 Uhr. Wer sich nicht daran hält, muss mit Bussen von bis zu 3750 Euro rechnen.
Auch die Italiener müssen zwischen 22 und 5 Uhr zuhause bleiben, wenn es keinen driftigen Grund gibt, das Haus zu verlassen. Reisen zwischen den einzelnen Regionen bleiben bis mindestens Mitte Januar verboten. Ab dem 18. Januar soll dann mit der Öffnung der Skigebiete mindestens eine Spur winterliche Normalität zurückkehren. Mehrere Bergregionen haben die Regierung in Rom allerdings um Aufschub gebeten, da die Schutzkonzepte weiter unklar sind. Die Erinnerung an die schrecklichen Bilder aus Bergamo, wo im vergangenen Frühling Militärlastwagen als Leichentransporter eingesetzt werden mussten, sind nicht vergessen. Mit 75680 Covid-Toten führt Italien die traurige Statistik europaweit an, ganz knapp vor Grossbritannien.
Vom Sonderweg ist Schweden längst abgekommen. Statt rein auf Empfehlungen setzt nun auch das skandinavische Land auf nationale Vorschriften. Sportzentren und Museen sind zu, Jugendliche ab 16 Jahren lernen bis Ende Januar per Online-Kurs, die Schulen sind für sie geschlossen. Neuinfektionen und Todesfälle steigen stark an. Maskenpflicht jedoch gibt es in Schweden immernoch nicht. Einreisen ist für Bürger aus EU- und Schengen-Ländern nach wie vor ohne Einschränkungen möglich. Wie im Rest Europas begann auch Schweden um die Weihnachtstage herum mit den Impfungen - wenngleich Staatsepidemiologe Anders Tegnell zuvor mit skeptischen Aussagen zu dem Thema aufgefallen war.
Die Impfkampagne ist in Dänemark besser angelaufen als in den allermeisten europäischen Staaten - nur Grossbritannien verzeichnet noch mehr verabreichte Dosen. Die Neuansteckungen sind seit Jahresbeginn rückläufig. Anders als in Schweden, herrscht in Dänemark Maskenpflicht in Geschäften, Schulen und im ÖV. Unter das Versammlungsverbot fallen Zusammenkünfte von mehr als 10 Personen. Die Schweiz gilt - wie fast der gesamte Rest Europas - als Hochrisikogebiet. Einreisen ist damit nur mit gutem Grund und negativem Covid-Test möglich.
Nach einem grösseren Rückgang der Infektionszahlen nehmen die Ansteckungen in Spanien wieder langsam zu. Ausser auf den Kanaren gilt im Land eine Ausgangssperre von 23 Uhr bis 6 Uhr. Masken sind in Spanien allgegenwärtig - sowohl drinnen als auch draussen. Nur noch sechs Personen dürfen im Freien Zusammenkommen. Geschäfte sind geöffnet, Restaurant, Bars und Kinos mit Einschränkungen. Einzelne Regionen wie etwa Katalonien haben die Coronaregeln nochmals verschärft und ganze Gemeinden abgeriegelt. Einreisen nach Spanien ist mit negativem Covid-Test möglich.
Die Briten sind zurück im Lockdown. «Die nächsten Wochen werden die bisher härtesten sein», erklärte Premier Boris Johnson seinen Landsleuten am Montagabend. Die Virusmutation macht dem Land besonders zu schaffen: Zuletzt explodierten die Infektionszahlen regelrecht.
Der 7-Tage-Schnitt ist viermal höher als noch vor einem Monat. Nun dürfen die Briten nur noch zum Joggen und aus wenigen anderen, begründeten Fällen aus dem Haus. Immerhin gibt es bei den Impfungen gute Nachrichten: Mit einer Impfquote von 1.4 pro 100 Bürgern liegt Grossbritannien hinter Israel und Bahrain weltweit auf Platz drei.
Ausser in Wäldern, Parks, am Strand und im Auto lautet die Devise: Maske auf. Kinos und Restaurants sind geschlossen. Die Infektionen hat Polen zwar weitgehend unter Kontrolle gebracht – der 7-Tag-Schnitt liegt derzeit bei gut 200. Doch das Land hat ein ganz anderes Problem: Über die letzten Jahre ist eine Vielzahl von Ärzten in westliche Länder abgewandert. Um die entstandenen Lücken zu schliessen, rekrutieren polnische Spitäler nun immer mehr Mediziner in der Ukraine und in Weissrussland, was im Land selbst nur mässig gut ankommt. Die Impfungen laufen nur sehr schleppend an. Die Bevölkerung ist skeptisch: Nichtmal die Hälfte will sich piksen lassen. (aargauerzeitung.ch)