International
Coronavirus

Coronavirus: Spanier haben genug vom Freiheitsentzug

epa08342767 People queue up keeping social distancing to enter a supermarket in Barcelona, Spain, 04 April 2020. Spain faces the 21th consecutive day of mandatory home confinement in a bid to slow dow ...
Genügend Abstand auch beim Anstehen vor dem Supermarkt: Bewohner in Barcelona. Bild: EPA

Spanier haben genug vom Freiheitsentzug

Italien und Spanien haben früh harte Massnahmen verhängt. Die Menschen reagieren zunehmend gereizt – sie wollen ihre Freiheit zurück.
05.04.2020, 18:0806.04.2020, 08:41
ralph schulze und dominik straub / schweiz am wochenende
Mehr «International»

Ganz Spanien steht unter Coronahausarrest. Die seit 15. März geltenden Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sind neben jenen Italiens die härtesten Europas. Die 47 Millionen Spanier dürfen nur noch aus zwingenden Gründen vor die Tür. Und dann auch nur alleine. Lebensmittelkauf, Arztbesuch und das Gassigehen mit den Vierbeinern sind erlaubt.

>> Coronavirus: Alle News im Liveticker

Spaziergänge, Joggen und Fahrradtouren dagegen nicht. Der Gang zum Arbeitsplatz auch nicht, Fabriken und Büros sind geschlossen. In Spanien beneidet man die Nachbarländer, wo die Menschen meist wenigstens noch zum Sport und zur Bewegung an die frische Luft können. Selbst in Italien dürfen Kinder, in Begleitung Erwachsener, mal kurz zum Durchatmen vor die Tür. In Spanien nicht.

Frauen und Kinder häufiger Opfer von Gewalt

Eine harte Probe für die Bevölkerung, die sich bisher in ihr Schicksal fügte, auch wenn das Murren nach fast drei Wochen Freiheitsentzug lauter wird. Viele wünschen sich jetzt einen Hund, um mit diesem einmal rauszukommen. Einige Hundebesitzer versuchen ein Geschäft daraus zu machen und bieten ihre Vierbeiner zur stundenweisen Vermietung an.

Doch die Ordnungshüter sind wachsam. Auch Hundehalter werden abgestraft, wenn sie sich mehr als 200 Meter von ihrer Wohnung entfernen. Oder wenn sie länger als zum Gassigehen notwendig auf der Strasse sind. Landesweit wurden schon mehr als 250000 Geldbussen verhängt – das Minimum liegt bei 600 Euro.

Gleichzeitig meldet Spani- ens Gleichstellungsministerium, dass die Hilferufe von Frauen, die sich von ihrem Partner misshandelt fühlen, zunehmen. Es habe im März, verglichen mit dem Vormonat, 18 Prozent mehr Anrufe beim staatlichen Notruf für Gewaltopfer gegeben. Auch die Beratungsstelle Anar, an die sich drangsalierte Kinder wenden können, registriert mehr Hilfsgesuche.

epa08341476 A Milanese resident waves from her balcony, which features an Italian national flag, in Milan, Italy, 03 April 2020. Italy's 60 million inhabitants have been living under a strict nat ...
In Italien gilt seit dem 10. März eine Ausgangssperre, in einzelnen Regionen des Nordens begannen sie noch früher.Bild: EPA

Eine Lockerung der Ausgangssperre, die zunächst bis Ostern gilt, ist noch nicht in Sicht. Eher im Gegenteil: Angesichts steigender Infektionszahlen denkt die Regierung an eine Verlängerung bis Ende April. Erst bei Besserung der Lage werde es eine schrittweise Normalisierung geben, heisst es.

Zu den ersten Freiheiten könnte dann gehören, dass die Menschen wieder zum Arbeiten und zur Körperertüchtigung rauskönnen. Und dass Kinder zum Spielplatz dürfen. Die Tageszeitung «La Vanguardia» fragt bereits: «Warum dürfen die Hunde auf die Strasse und die Kinder nicht?»

Die Gesänge der Italiener sind längst verstummt

Wie die Spanier zählen auch die Italiener zu den Quarantäne-Pionieren Europas. Hier gelten die Ausgehbeschränkungen und die Kontaktsperre sogar noch länger: Im ganzen Land seit dem 10. März, in einzelnen Regionen des Nordens begannen sie noch früher. Die sonst so geselligen Bewohner des Belpaese befinden sich nun seit 4 Wochen mehr oder weniger eingesperrt in ihren vier Wänden. Und das ohne TV-Fussballübertragungen.

Das schlägt aufs Gemüt. Die Gesänge auf den Balkonen, mit denen man sich Mut machte, sind verstummt. Jeder versucht, mit sich selber und – sofern vorhanden – mit den Familienangehörigen zurechtzukommen.

«Wir hoffen einfach, dass das alles bald vorbei ist», hört man in den Warteschlangen vor den Supermärkten. Und: «Man gewöhnt sich daran.» Das Warten vor den Geschäften ist praktisch die einzige Möglichkeit, einmal andere Menschen zu treffen. Von einem eigentlichen Quarantäne-Koller ist aber nicht viel zu spüren. Das liegt einerseits daran, dass sich der Sinn der Beschränkungen angesichts der Tausenden Toten den meisten Italienern erschliesst. Andererseits scheint der Tag der ersten Lockerungen in Greifweite: In den nächsten Tagen werden die Fallzahlen laut Experten zu sinken beginnen.

Die Italiener trösten sich mit dem Gedanken, dass sie jetzt zwar schon am längsten unter Quarantäne stehen – aber dass sie mit einiger Wahrscheinlichkeit auch die Ersten sein werden, bei denen wieder so etwas wie Normalität einkehren könnte.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Coronavirus in Spanien in 20 Bildern
1 / 22
Coronavirus in Spanien in 20 Bildern
Dieses Banner soll den Dank der Bevölkerung für alle, die immer noch arbeiten, ausdrücken.
quelle: epa / javier etxezarreta
Auf Facebook teilenAuf X teilen
So feiern spanische Ärzte, wenn ihre Corona-Patienten die Intensivstation verlassen
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
51 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
El Vals del Obrero
05.04.2020 18:44registriert Mai 2016
Deshalb bin ich froh, dass man hier bisher Forderungen nach Total-Ausgangssperren nicht nachkam.

Selbst wenn das einen leichten Vorteil gegenüber "man darf noch alleine/mit Mitbewohnern spazieren/velofahren" haben sollte, bringt es nichts, wenn es dafür zu früh abgebrochen werden muss oder sich niemand mehr daran hält oder vermehrt psychische Notsituationen auftreten.

Dann doch lieber nicht "total", aber dafür kann man es dann eher genug lange durchhalten.
45717
Melden
Zum Kommentar
avatar
mikel
05.04.2020 18:19registriert Februar 2014
Ich bin auch mega froh, dass wir wenigstens raus können!!! Gerade an einem Tag wie heute. Wie wir sehen, nicht selbstverständlich...
35322
Melden
Zum Kommentar
avatar
DerRaucher
05.04.2020 18:21registriert Januar 2016
War klar das man sowas nicht ewig durchziehen kann. Das wird den restlichen Ländern auch irgendwann blühen. Die anfängliche Motivation schlägt irgendwann in Frust um wenn man wann immer möglich zuhause sitzt. Bin gespannt wie das weitergeht.
21122
Melden
Zum Kommentar
51
Nach langem Streit: China beendet Zölle auf australischen Wein

Im lange angeschlagenen Verhältnis zwischen China und Australien hat Peking die seit Jahren bestehenden Zölle auf australischen Wein aufgehoben. Ab Freitag seien keine Ausgleichszölle auf Wein mit Herkunft Australien zu erheben, teilte das chinesische Handelsministerium am Donnerstag mit.

Zur Story