Kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember 2020, landete ein Flieger von London in Frankfurt am Main. Es war eine der letzten Maschinen aus Grossbritannien, die in Deutschland aufsetzte. Denn nur Stunden später sollte der britische Premierminister Boris Johnson über die neuesten Erkenntnisse der Virusmutation B.1.1.7 informieren und sein Land gleichzeitig in den Vorweihnachts-Lockdown schicken. Der Mutant hatte in manchen Bezirken des Landes die Fallzahlen explodieren lassen.
Weltweit kam Hektik auf. Noch am gleichen Tag verhängten zahlreiche Länder eine Einreisesperre für Leute aus Grossbritannien – und erliessen ein Landeverbot für Flieger aus Britannien. Nebst der Schweiz gehörte auch Deutschland dazu. Was damals noch niemand wusste: In der Maschine, die in Frankfurt landete, flog B.1.1.7 bereits mit.
Kurz nach der Ankunft am Flughafen wurden alle Fluggäste mittels Schnelltest auf SARS-CoV-2 getestet. Bei einer Person fiel dieser Test positiv aus.
Weil diese Person aus dem Mutations-Hotspot Grossbritannien zurückkehrte, sendete man die Abstrichprobe zur Virussequenzierung an die Berliner Charité. Kurz darauf folgte der Nachweis: Beim Virus handelte es sich um die britische Mutation B.1.1.7.
Der Schnelltest am Flughafen konnte eine Ausbreitung in diesem Fall also verhindern. Doch das Virus liess sich da schon lange nicht mehr aufhalten. Inzwischen wurde das Virus in zahlreichen Ländern nachgewiesen:
Einer der Hauptgründe für die Verbreitung: Britische Wissenschaftler konnten zurückverfolgen, dass B.1.1.7 bereits am 20. September in der Grafschaft Kent aufgetreten ist. Von Einreisesperren war man da noch weit entfernt. Im Gegenteil: Zwischen Oktober und Dezember verliessen Flugzeuge mit einer Gesamtkapazität von 8 Millionen Personen britische Flughäfen, wie der «Guardian» berichtete:
Wie viele Passagiere in dieser Zeit effektiv mitgeflogen sind, sagt die Statistik nicht aus. Aber es dürften Hunderttausende Menschen gewesen sein, die von Grossbritannien in die Welt jetteten. Und es kann davon ausgegangen werden, dass in manchen Fliegern auch die Virus-Mutation mitgeflogen ist.
Auch Spanien – gemäss obiger Grafik die Top-Destination – konnte das Virus an der Grenze nicht stoppen, obwohl die Einreisebedingungen streng geregelt sind.
Einreisen darf man nur, wenn man einen PCR-Test vorlegen kann, der nicht älter als 72 Stunden ist. Das gilt bereits seit dem 11. November. Trotzdem konnte sich die Mutation ins Land einschleichen. Der spanische Gesundheitsminister Salvador Illa berichtete Ende 2020 von zwei Passagieren, die mit einem negativen PCR-Test nach Spanien einreisten und erst später positiv auf die britische Virusvariante getestet worden sind. Spanien verhängte am 22. Dezember ein Landeverbot für Flugzeuge aus Grossbritannien.
Im Vergleich zu den Antigentests gelten die PCR-Tests als die genauere Variante. Wie konnte es dazu kommen, dass man in Deutschland eine Person via Schnelltest auf den Mutanten entlarven konnte, in Spanien mit einem PCR-Test jedoch nicht?
Die US-Arzneimittelbehörde (FDA) warnte Anfang Jahr davor, dass genetische Varianten von COVID-19, einschliesslich solche aus Grossbritannien, bei PCR-Tests zu falsch-negativen Ergebnissen führen können. Das Risiko wird jedoch als gering beschrieben. Trotzdem kann es vorkommen. Auch die SARS-CoV-2-Tests sind nicht 100 Prozent fehlerfrei.
Ein weiterer Faktor für die negativen Testergebnisse könnte auch die Inkubationszeit, also die Zeit von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung, sein. Das BAG rät hierzulande bei Kontakt mit einem Corona-Infizierten, sich erst ab dem 5. Tag testen zu lassen.
Für den britischen Mediziner und Professor für European Public Health an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, Martin McKee, ist klar, dass sich das Virus in Europa bereits ausbreitete, als zahlreiche Länder den Flugverkehr aus Grossbritannien einstellten: «Die britische Variante schwelte ab dem 20. September für mehrere Monate, bevor sie sich ausbreitete», sagte McKee dem Guardian. Er vermutet, dass es eine Weile dauerte, bis das mutierte Virus sich an ein paar Super-Spreader-Ereignissen exponentiell verbreitete. «Das Gleiche gilt wahrscheinlich auch in anderen Ländern, in denen die UK-Variante auf niedrigem Niveau zirkulierte.»
Auch die Schweiz ist von den neuen Virusvarianten nicht verschont geblieben. Zurzeit sind bereits in 17 Kantonen 388 Fälle der Mutationen entdeckt worden, wie der Tagesanzeiger berichtet. Wie ein Nachweis des Waadtländer Universitätsspital zeigt, befindet sich die britische Variante des Coronavirus bereits seit dem 26. Oktober in der Schweiz. Dabei soll es sich aber um einen Einzelfall handeln. Für die Einzelfall-Theorie spreche gemäss Direktor Gilbert Greuss vom Unispital in der Waadt, dass Ende Dezember nur «ein winziger Teil von weniger als 1 Prozent» aller positiven Tests in der Waadt B.1.1.7 aufwies. Der Flugverkehr aus dem Vereinigten Königreich in die Schweiz ist seit dem 20. Dezember bis auf Weiteres eingestellt. Davor war bei der Einreise kein Coronatest erforderlich.
Wenn diese Mutation ja schon seit dem 20. September 20 nachweislich exisitiert, scheint die erhöhte Ansteckungsrate nicht der einige Grund für das sprunghafte Ansteigen der Fallzahlen in GB und Irland zu sein.
Und obwohl Virologen darauf hinweisen, dass die gleichen Regeln wie für das Original ausreichend sein sollten, will man eigentlich fast überall verschärfen mit dem Hinweis auf B1.1.7.
Wie wäre es mal damit die schon bestehenden Regeln wieder einzuhämmern? Mich wunderte bei der Grafik des BAG, dass "Abstand halten" überhaupt noch Platz hatte.
https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/64861.pdf
"Abstand" ist übrigens ein sehr dehnbarer Begriff, wie man täglich sehen kann. Kramt die 2m wieder raus.