Kalifornien ist seit gestern der Staat in den USA mit den meisten positiv getesteten Corona-Fällen, Los Angeles das County mit den meisten Fällen landesweit.
Das ist zum einen wenig überraschend, denn Kalifornien ist auch einwohnermässig der deutlich grösste Staat der USA, Los Angeles (im gleichnamigen County) hinter New York die zweitgrösste Stadt.
Trotzdem ist die Situation im Westen der USA ernst: Denn lange galt der Staat als Musterschüler, jetzt gerät die Situation ausser Kontrolle.
>> Coronavirus: Alle News im Liveticker
Die aktuellen Zahlen vom Mittwoch der John Hopkins Universität zeigen: Kalifornien zählt 409'500 Corona-Fälle, New York 405'000. Damit weist Kalifornien erstmals am meisten Fälle aus in den USA – und der Trend zeigt deutlich nach oben. Die Kurve mit den täglich neuen Fällen geht nur in eine Richtung.
Tote zählt der Staat mit rund 8000 noch deutlich weniger als New York (rund 32'000). Bei der Anzahl Tests steht Kalifornien mit über 6,5 Millionen an der Spitze in absoluten Zahlen.
Weit besser sieht die Statistik aus, wenn man die Fall-Zahlen pro eine Million Einwohner anschaut. Dann kommt Kalifornien auf rund 11'000 Fälle pro eine Million Einwohner und liegt auf Rang 24 der amerikanischen Staaten, also im Mittelfeld. Die schlechteste Quote hat noch immer New York mit rund 22'000.
12'112 neue Fälle meldete Kalifornien am Mittwoch – mehr als je zuvor an einem einzelnen Tag. Und auch bei den Toten wurde mit 159 ein neuer Rekord registriert.
Contact Tracing ist bei diesen Fallzahlen unmöglich. Insbesondere in Los Angeles. Die Metropole (rund 13 Millionen Einwohner) verzeichnet rund einen Drittel aller Coronafälle in ganz Kalifornien.
Die Spitäler füllen sich mit Corona-Patienten, Plätze auf der Intensivstation sind bereits Mangelware. Schon vor einigen Tagen kam die Meldung, dass einige Spitäler keinen Platz mehr haben. Gemäss einem Bericht des Guardian sind rund 45'000 der 50'000 Spitalbetter belegt. Das Personal leistet seit Wochen Überstunden. Mit anderen Worten: Das Gesundheitssystem stösst an seine Grenzen.
Ja, das ist so. Der demokratische Gouverneur Gavin Newsom rief schon am 4. März den Notstand aus. Nach weiteren Massnahmen erklärte er am 19. März den Lockdown – als erster Staat der USA. Es schien der richtige Schritt zu sein. Die Fallzahlen blieben mehr oder weniger konstant.
Allerdings litt die Bevölkerung unter den Einschränkungen und der Druck der Wirtschaft wurde gross und grösser. So verkündete Newsom per 8. Mai weitgehende Lockerungen. Man habe das Virus unter Kontrolle, liess er verlauten. In vier Phasen sollte wieder hochgefahren werden.
Das brachte einige Kritik von Experten ein. Sie warnten, die Schritte kämen zu früh – und lagen damit richtig. Die Kurve zeigt seither immer steiler nach oben mit dem vorläufigen Höhepunkt vom am Mittwoch.
Die Bewohner würden sich nicht an die Regeln halten, Masken werden nicht getragen und das Social Distancing zu lasch betrieben.
Einige sagen, es sei der einzige Weg und der Entscheid stehe kurz bevor. Newsom hat zumindest schon einmal einige Schritte zurück gemacht. Am 1. Juli mussten einige Counties neben Bars und Indoor-Restaurants auch Zoos und Freizeitangebote wieder schliessen.
Die Wirkung war nicht gross genug. Der Gouverneur erklärte darum am 14. Juli: «Die Daten zeigen, dass nicht alle Bewohner gesunden Menschenverstand anwenden.» Er schloss darum Bars und Indoor-Restaurants im ganzen Staat wieder, dazu kommen in besonders betroffenen Counties (wie beispielsweise Los Angeles), dass Kirchen, Fitnesscenter und Coiffeure wieder schliessen mussten. Ausnahmen sind entsprechende Freiluftangebote.
Viel mehr Optionen als einen zweiten Lockdown hat Newsom nicht mehr, sollten sich die Fallzahlen und die Auslastung der Spitäler nicht erholen. Im County Los Angeles erklärte Gesundheitsvorsteherin Barbara Ferrer, dass man zumindest diese Woche keine Pläne für einen ähnlichen Lockdown wie im März habe.
COVID-19 Daily Update:
— LA Public Health (@lapublichealth) July 22, 2020
July 22, 2020
Cases: 3,266 (164,870 total)
Deaths: 64 (4,213 total)
Current Hospitalizations: 2,207 pic.twitter.com/9a4JYSLSBo
Das ist schwierig zu sagen, die Ausgangslage und Regelungen sind zu unterschiedlich. Die Schweiz lockerte viele der Massnahmen am 6. Juni, also rund einen Monat später als Kalifornien. Allerdings sind unsere Fallzahlen seither zwar auch wieder leicht gestiegen, aber nicht in dem Ausmass wie im US-Westküsten-Staat, wo es seit der Öffnung praktisch nur noch nach oben zeigt.
Das genau ist das Problem, wenn man von der Hand in den Mund lebt, keine Rücklagen hat, die Investoren bedienen will und Teile der Bevölkerung nach einigen Tagen zu Hause, bereits wegen eingeschränkter sozialer Kontakte und geschlossenen Freizeitvergnügen, Bars, Clubs usw. regelrecht auf einen trockenen Entzug kommt...
Geduld und Menschenverstand sind neben Eigenverantwortung in der heutigen Zeit wohl wirklich Mangelware geworden?