Deutschland will insgesamt 2750 Geflüchtete von den griechischen Inseln aufnehmen. Das gab Regierungssprecher Steffen Seibert am Dienstag in einer Mitteilung bekannt. Aufgenommen werden demnach 1553 Menschen aus 408 Familien, die durch Griechenland bereits als Schutzberechtigte anerkannt worden sind. Ebenso werde Deutschland bis zu 150 unbegleitete minderjährige Asylsuchende aufnehmen.
Die #Bundesregierung hat eine Entscheidung über die Aufnahme von Asylsuchenden und Schutzberechtigten von den griechischen Inseln getroffen: pic.twitter.com/j7s52wCRl1
— Steffen Seibert (@RegSprecher) September 15, 2020
«Bereits erfolgt ist die Aufnahme von 53 unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden», so Seibert weiter. Die Aufnahme von 243 behandlungsbedürftigen Kindern sowie ihren Kernfamilien sei in der Umsetzung. Dies betreffe insgesamt voraussichtlich mindestens 1000 Personen, von denen mehr als 500 schon in Deutschland seien. «Die Gesamtzahl der Menschen, die Deutschland von den griechischen Inseln übernimmt, beläuft sich dementsprechend auf etwa 2750 Personen.»
Über die Aufnahme dieser Menschen hinaus setze sich die Bundesregierung für eine weitergehende europäische Lösung mit anderen aufnahmebereiten Mitgliedsstaaten ein. «Im Kontext einer solchen europäischen Lösung würde sich Deutschland zusätzlich in einem angemessenen Umfang entsprechend der Grösse unseres Landes beteiligen», kündigte Seibert an.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Kompromiss mit der SPD zur Aufnahme von gut 400 Flüchtlingsfamilien von den griechischen Inseln begrüsst. Sich auf eine Gruppe von Familien zu konzentrieren, die einen genehmigten Asylantrag hätten, sei ein vernünftiger und humanitärer Ansatz, sagte Merkel am Dienstag nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur von Teilnehmern in der Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag. «Das ist glaube ich ein Paket, das man vertreten kann. Aber es soll nicht die Illusion wecken, damit seien die Probleme behoben», wurde Merkel zitiert.
Sie werde weiter für einen europäischen Ansatz in der Migrationspolitik werben, sagte die Kanzlerin. Aber angesichts der Situation vor Ort sei Hilfe in grossem Umfang nötig. Dies werde noch viel Engagement Deutschlands etwa beim Aufbau eines europäischen Asylzentrums kosten. Dieses Zentrum müsse vor dem Winter fertig sein, darüber sei sie sich mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) einig, sagte Merkel unter Beifall der Abgeordneten. Sie kündigte an, voraussichtlich noch in dieser Woche dazu erneut mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprechen zu wollen, um einen straffen Zeitplan zu entwickeln.
Die Kanzlerin rechnete in scharfen Worten mit der europäischen Migrationspolitik ab. An der Lage auf Lesbos und im Lager Moria zeige sich das ganze Elend mit humanitären Zuständen, die man nicht erdulden könne. «Die Wahrheit ist: Wir wussten alle, dass auf den griechischen Inseln sehr unhaltbare Zustände sind» - und zwar seit langem. Wenn Experten des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sagten, dass sie selten auf der Welt so ein Flüchtlingslager wie Moria gesehen hätten, «dann ist das kein Zeichen für Europas Werte und für Europas Handlungsfähigkeit».
Merkel sprach von der Migrationspolitik als dem schwierigsten Thema innerhalb der EU. Das Prinzip der Abschreckung habe zu nichts Gutem geführt auf Lesbos. Deshalb sei sie sehr froh, dass der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis bereit sei, hier europäischere Wege zu gehen. Die Migrationspolitik sei in der EU «das dickste Brett», dagegen seien Finanzverhandlungen eine einfache Sache, wurde die Kanzlerin zitiert. Trotzdem sei Europa so viel wert, dass man sich dafür Mühe geben solle.
Ups. Angela Merkel berichtet laut Teilnehmern gerade in der Unions-Fraktionssitzung, dass Chinas Präsident (!) die EU in einer Videokonferenz gerügt habe, ihr Umgang mit Migranten sei nicht vorbildlich. So weit ist es offenbar schon gekommen... #Moria
— Veit Medick (@vmedick) September 15, 2020
CSU-Chef Markus Söder ist von der österreichischen Weigerung, ähnlich wie Deutschland Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufzunehmen, schwer enttäuscht. Er sei «doppelt enttäuscht», sagte Söder am Dienstag auf einer CSU-Fraktionsklausur im Landtag in München. Zum einen, weil Österreich nicht einmal ein «symbolisches Signal» setze - dabei profitiere das Land selber doch so sehr von Europa. Da wäre es doch ein Beitrag gewesen, ein bisschen von einer «sehr starren Grundsatzhaltung» zu mehr Herzlichkeit zu kommen.
Zudem kritisierte Söder die Grünen. Diese müssten doch auf ihre Kollegen in Österreich einwirken, die in Wien mitregieren. Es sei für ihn enttäuschend, dass dies den deutschen Grünen kein Wort wert sei.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte zuvor seine ablehnende Haltung zur deutschen Linie mit der geplanten Aufnahme der Migranten bekräftigt. Als Gegenentwurf zur deutschen Strategie bringt Österreich einen umfangreichen Hilfstransport für die Menschen aus dem weitgehend zerstörten Flüchtlingslager Moria auf den Weg. (cma/sda/dpa)