Die gute Nachricht: Die Zahl der Neuinfektionen steigt in Deutschland nicht mehr exponentiell. Die schlechte: Die Kurve flacht auch nach fünfeinhalb Wochen des Teil-Lockdowns nicht so ab, wie sich das die Regierung gewünscht hat.
Obwohl Deutschland in Relation zur Bevölkerung weniger hart von der Pandemie getroffen wird als die Schweiz – das Robert Koch-Institut RKI verzeichnete gestern 15000 Neuinfektionen innerhalb eines Tages – wird die bisherige Strategie des «Mini-Lockdowns» von immer breiteren Kreisen als gescheitert angesehen. Das Gerücht macht die Runde, dass Deutschland auf den nächsten harten Lockdown zusteuert und dieser bis Anfang Jahr gelten wird.
Vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist überzeugt, dass die bisherigen Massnahmen mit Kontaktbeschränkungen und geschlossenen Gastrobetrieben und Kulturstätten nicht ausreichen, um das Virus unter Kontrolle zu halten. Tatsächlich ist zumindest in den grossen Ballungszentren nach wie vor viel Publikumsverkehr.
Beispiel Berlin: S- und U-Bahnen sind mit Berufspendlern gut gefüllt, die meisten Schulen sind im Regelbetrieb, in den Geschäften ist in der Vorweihnachtszeit viel los, abends locken Glühwein-Stände Hunderte an, es kommt automatisch zu Gruppenbildungen.
Merkel sind solche Bilder nicht verborgen geblieben. Die 66-Jährige orientiert sich stark an dem von der Politik im Frühjahr festgelegten Inzidenzwert von 50 Neuinfektionen auf 100000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Dieser Wert wird im gesamten Land derzeit um den Faktor drei überschritten. Einige Bundesländer und Ballungsräume haben einen Inzidenzwert von 200 oder mehr.
«Mit dem Prinzip Hoffnung kommen wir nicht weiter», soll Merkel in einer Video-Sitzung am Montagabend mit der Fraktion von CDU und CSU gesagt haben. Die Situation sei schwierig. «Mit diesen Massnahmen kommen wir nicht durch den Winter.» Spekuliert wird nun, dass Merkel noch in dieser Woche mit den Ministerpräsidenten schärfere Massnahmen für die letzten Wochen bis Weihnachten festlegt.
Merkel drängt vor allem für die Tage nach den Weihnachtsfeierlichkeiten auf einen harten Lockdown. Geschäfte sollen dann geschlossen werden, lediglich Supermärkte würden offen bleiben. «Wir müssen runter mit den Zahlen», mahnte Merkel in der Video-Schalte.
Möglich ist aber auch, dass es nur in einigen bestimmten Gebieten und Bundesländern zu Verschärfungen kommen wird. «Weil ein Lockdown dieser Art auf Dauer nicht funktioniert», sagte Kanzleramtsminister Helge Braun, «müssen wir mindestens in den Hotspots noch einmal richtig deutliche Verschärfungen machen.»
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach meinte: «Wir sollten die Schulen vier Wochen in die Weihnachtsferien schicken.» Nicht nur Lauterbach orientiert sich dabei an den Vorschlägen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die in einem Appell an die Politik einen «harten Lockdown» anmahnt. Demnach solle die Schulpflicht ab 14. Dezember aufgehoben werden und die Menschen im Homeoffice arbeiten. Ab Weihnachten und bis mindestens zum 10. Januar soll das öffentliche Leben in Deutschland weitgehend ruhen.
Eine harte Linie im Kampf gegen Corona fährt Bayern. Bereits ab diesem Mittwoch gilt in Hotspots wie München eine nächtliche Ausgangsbeschränkung und Alkoholverbot im Freien, sowie striktere Quarantänen-Regeln für den Grenzverkehr. Tagesausflüge nach Bayern zum Einkaufen oder Tanken sind nicht mehr erlaubt.
Möglicherweise wird auch Baden-Württemberg die Regeln verschärfen. Bislang dürfen Schweizer das Bundesland noch ohne Quarantäne-Pflicht für 24 Stunden besuchen. Der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Felix Schreiner meinte gegenüber CH Media, er sei «wenig optimistisch, dass Baden-Württemberg einen anderen Weg als Bayern gehen wird.» (aargauerzeitung.ch)