Was nicht sein darf, kann nicht sein. Nach dieser Devise hat Donald Trump immer gelebt. Er tut es nun auch, nachdem das Coronavirus ihn voll erwischt und ins Spitalbett gezwungen hat. Nach seiner Rückkehr ins Weisse Haus am Montag veröffentlichte der Präsident ein bizarres Video, in dem er die Amerikaner aufforderte, sich nicht vor dem Virus zu fürchten.
Vier Wochen vor der Präsidentschaftswahl liegt Trump in den Umfragen deutlich hinter seinem Herausforderer Joe Biden zurück. Der 73-jährige, übergewichtige Präsident kann und will es sich deshalb nicht leisten, auch nur einen Hauch von Schwäche zu zeigen. Also kann es nicht sein, dass das «China-Virus» ihn aus dem Verkehr zieht.
Bereits am Freitag soll er sich gegen die Einweisung ins Spital gewehrt haben, obwohl der Sauerstoffgehalt in seinem Blut auf einen besorgniserregenden Wert gesunken war und er mit Sauerstoff versorgt werden musste. Seine Ärzte mussten ihn laut CNN überreden, das Spital nicht schon am Sonntag zu verlassen. Tags darauf war er nicht zu stoppen.
Sein Gesundheitszustand wird geheim gehalten. Leibarzt Sean Conley drückte sich bei seinem Auftritt vor den Medien am Montag um konkrete Antworten herum: «Ich wünschte, ich könnte mehr sagen, aber ich kann nicht.» Er räumte immerhin ein, dass Trump «noch nicht aus dem Gröbsten raus ist». Man sei «vorsichtig optimistisch», meinte Conley.
Angesichts der Therapien, die der Patient in einem derart frühen Stadium erhalten habe, befinde man sich «ein wenig in unbekannten Gefilden», musste er zugeben. Damit spielt Sean Conley auf die geballte Behandlung mit Medikamenten an, die bei Experten für Stirnrunzeln sorgte. Und von der «normale» Covid-Patienten nicht einmal träumen können.
«‹Fürchtet euch nicht?› Ich wünschte, alle Amerikaner hätten Zugang zur gleichen Gesundheitsversorgung wie Sie – aber sie haben nicht», twitterte der demokratische Senator Robert Menendez aus New Jersey an die Adresse des Präsidenten. Tatsächlich muss Trumps Video für Angehörige von Covid-Opfern wie ein Schlag ins Gesicht wirken.
“Don’t be afraid”? I wish every American had access to the same health care you’re getting—but they don’t.
— Senator Bob Menendez (@SenatorMenendez) October 5, 2020
People in New Jersey not only fear #COVID19, they fear what will happen if you and McConnell ram through your #SCOTUS nom and rip away their health coverage. https://t.co/MeronUhOyV
«Der Präsident dürfte der einzige Patient auf dem Planeten sein, der jemals eine solche Kombination von Medikamenten bekommt», meinte Jonathan Reiner, ein Medizinprofessor an der George Washington University, gegenüber CNN. Zum Cocktail gehört unter anderem eine Antikörper-Therapie, die zuvor erst an 275 Patienten erprobt wurde.
Für Aufsehen sorgte besonders das Steroid Dexamethason, das nur bei schweren Krankheitsverläufen verabreicht werden sollte. Es reduziere das Sterberisiko tatsächlich, meinte Jonathan Reiner. Gleichzeitig seien in einer Versuchsreihe dennoch 23 Prozent aller Dexamethason-Empfänger innert Monatsfrist gestorben, «also fast ein Viertel der Patienten».
Für Reiner lässt die umfassende Therapie nur den Schluss zu, dass sich der Präsident nach Ansicht seiner Ärzte «in grosser Gefahr» befunden habe. Dennoch will Donald Trump zur Tagesordnung übergehen. Er wolle bald wieder Wahlkampf machen und an der nächsten TV-Debatte mit Joe Biden am 15. Oktober teilnehmen, teilte er am Montag mit.
Beim amerikanischen Volk aber scheint seine Kraftmeierei nicht anzukommen. In einer Reuters-Umfrage meinten 65 Prozent, Trump hätte sich vermutlich nicht angesteckt, wenn er das Virus ernster genommen hätte. Und laut einer CNN-Umfrage missbilligen 60 Prozent seinen Umgang mit Corona. Es ist der schlechteste Wert seit Beginn der Pandemie.
Besonders nachteilig für den Präsidenten: Mit seiner Infektion beherrscht das Coronavirus wieder die Schlagzeilen. Und damit jenes Thema, das er im Wahlkampf vermeiden wollte. Der Effekt ist bereits spürbar: In den Umfragen und Prognosemodellen hat Joe Biden seinen Vorsprung auf den Amtsinhaber in den letzten Tagen ausgebaut.
BREAKING: New CNN poll has Biden leading Trump by 16 points nationally pic.twitter.com/6l3mZmDi1J
— Alli Hedges Maser (@AllisonLHedges) October 6, 2020
Der Demokrat macht weiter Wahlkampf, am Montag im umkämpften Bundesstaat Florida. Vor dem Abflug betonte Biden, er werde alles tun, was die Experten sagen, auch im Hinblick auf die nächste Debatte mit Trump. Diesem stehen schwierige Tage bevor, denn trotz Rückkehr ins medizinisch bestens ausgestattete Weisse Haus ist er nicht über den Berg.
Mancher Covid-Patient, der vorzeitig aus dem Spital entlassen wurde, erlebte einen Rückfall samt notfallmässiger Einlieferung in die Klinik. Für den Trump-Wahlkampf wäre dies wohl der Super-GAU. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) empfehlen gemäss der «Washington Post» bei schweren Fällen eine Quarantäne von bis zu 20 Tagen.
Lästermäuler interpretieren Trumps Optimismus derweil als Folge der möglichen Nebenwirkungen seiner Medikamente, besonders von Dexamethason. Dazu gehören Euphorie, Konfusion und mentale Instabilität. Die allerdings ist bei Trump ein Dauerzustand.
Traurig und wahr. Muss trotzdem lachen, danke für diesen Schlusssatz.