Wie steht Milwaukee in der Coronakrise da?
Aims McGuinness: Nicht so schlimm wie New York, Detroit oder New Orleans und auch besser als Chicago. Eine der grössten Sorgen ist, dass sich unter den Kranken und Sterbenden unverhältnismässig viele Schwarze befinden. Am Montag wurden für Wisconsin 83 Todesfälle angegeben. 33 betrafen Afroamerikaner aus Milwaukee. Das sind 40 Prozent aller Fälle – dies in einem Bundesstaat, wo Schwarze gerade einmal sieben Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Gibt es Erklärungen dafür?
Von Gesundheitsexperten habe ich keine gelesen, und ich selbst bin sicherlich keiner. Aber wir wissen, dass die Armutsquote bei den Schwarzen drei- bis viermal höher ist als bei den Weissen. Arme Menschen haben weniger Zugang zum Gesundheitswesen und viel öfter keine Krankenversicherung. Auf das ganze Land bezogen sind chronische Krankheiten, hoher Blutdruck oder Diabetes unter Schwarzen viel weiter verbreitet als bei Weissen. Personen, die bereits gewaltige gesundheitliche Probleme und beschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, werden von der Pandemie umso härter getroffen. Hinzu kommt, dass Leute aus der Arbeiterklasse oft in Jobs tätig sind, wo Social Distancing schwierig ist. Im Dienstleistungsbereich und Ähnlichem.
Wie geht Ihre Universität mit dem Virus um?
Die Verwaltung hat allen Lehrkräften zwei Wochen Zeit gegeben, ihre Veranstaltungen in Online-Klassen umzuwandeln, und wir haben unser Bestes gegeben. Einige Studierende sind jedoch selber krank oder haben Kranke in der Familie, und manche müssen Arbeitslosigkeit befürchten. Nicht alle haben zu Hause Internet und gute Computertechnologie. In einer meiner Veranstaltungen nehmen 100 Prozent der Studierenden online teil, in einer anderen lediglich 80 Prozent. Dieses fehlende Fünftel macht mir Sorgen.
Wisconsin hat soeben die Präsidentschaftsvorwahl durchgeführt. Wie hat sich die Coronakrise ausgewirkt?
Es ist ein Desaster. Der Gouverneur, ein Demokrat, wollte die Vorwahl auf Juni verschieben und die Briefwahl ermöglichen. Die Legislative, die von den Republikanern beherrscht wird, sagte Nein. Es wurde eine Gerichtssache daraus, bis hinauf zum Obersten Gericht der USA, wo die konservative Mehrheit gegen den Gouverneur entschied. So hatten wir am Dienstag Wahlen. In der ganzen Stadt waren gerade einmal fünf Wahllokale offen. Wähler mussten zwei Stunden und länger Schlange stehen, angeblich mit jeweils zwei Metern Abstand. Viele trugen Masken. Aber auch so war es unter dem Aspekt der Gesundheitsversorgung eine Katastrophe.
Gibt es keine briefliche Wahl?
Doch, wenn man einen Wahlzettel anfordert und die Frist einhält. Aber Tausende haben ihre Wahlzettel nicht rechtzeitig erhalten, um sie vor Ablauf der Frist einzuschicken. Und Wahlzettel, die nicht am Dienstag abgeschickt wurden, werden nicht gezählt. So wurden viele ihres Wahlrechts beraubt, die meisten von ihnen in Milwaukee. Es ist wahrscheinlich die undemokratischste Wahl, die wir je gesehen haben – mindestens seit 1919, als die Frauen das Wahlrecht erhielten.
Sind Sie zur Wahl gegangen?
Nein. Meine Frau, meine Tochter und ich haben das Wahlmaterial angefordert, es rechtzeitig erhalten, liessen die ausgefüllten Wahlzettel beglaubigen und gaben sie einem Freund mit, der ins Wahllokal ging und sie dort abgab. Einer unserer Nachteile ist, dass das Wahlrecht eine Sache der Bundesstaaten ist. Die amerikanische Verfassung enthält genau genommen keine Garantie des Stimm- und Wahlrechts. Alles wird auf der Ebene der Bundesstaaten entschieden, und wo die Republikaner regieren, tendieren sie dazu, die Hindernisse zu erhöhen und den Zugang zu schmälern.
Was bedeutet das?
In Wisconsin haben sie das seit 2011 systematisch gemacht. Sie haben die Wahlkreise zu ihrem Vorteil neu definiert und ein lächerliches Gesetz über die Ausweispflicht für Wählende erlassen. Man kannt nur wählen, wenn man einen Ausweis mit Foto und der aktuellen Wohnadresse vorzeigt. Wer aus der Wohnung geworfen wird – und Milwaukee hat eine hohe Quote von Zwangsräumungen – muss zuerst eine neue Bleibe finden, dort einziehen und einen neuen Ausweis beschaffen, bevor man wählen darf.
Wie war die Beteiligung an der Vorwahl vom Dienstag?
Es gibt noch keine Zahlen, wir warten auf die per Post eingesandten Stimmen, die erst gezählt werden müssen. Es scheint wahrscheinlich, dass die Anzahl abgegebener Stimmen relativ niedrig sein wird.
Wurde noch Wahlkampf betrieben?
Nein. Aus Gesundheitsgründen gab es keine Versammlungen und kein Canvassing, also Kontakt zur Wählerschaft von Haustür zu Haustür. Das hat wahrscheinlich Bernie Sanders geschadet, er war bekannt für riesige Versammlungen und die Mobilisierung an der Basis. Aber er hat am Mittwoch ja seinen Wahlkampf eingestellt.
Ist das der Grund für seinen Rückzug?
Bernie gab an, dass es ihm mathematisch nahezu unmöglich sei, die Vorwahl noch zu gewinnen. Ich denke, er hatte Angst vor der Kritik, dass er durch zu langes Festhalten am Wahlkampf die Chancen des demokratischen Kandidaten Joe Biden beschädige. Diese Kritik hatten die Anhänger von Hillary Clinton 2016 geäussert.
Wie sieht es in Milwaukee aus, ist alles geschlossen?
Restaurants und Bars sind geschlossen. Einige Restaurants sind für Takeout offen. Manchmal holt man es selber ab, in anderen Fälle liefert ein Angestellter die Bestellung. Lebensmittelgeschäfte und Schnapsläden sind offen.
Tragen die Leute Gesichtsmasken?
Mehr und mehr. Wie ist es in der Schweiz?
Die Leute sind misstrauisch, weil sie wissen, dass wir nicht genug Masken haben. Es gibt eine grosse Debatte um das Für und Wider, mit Experten auf beiden Seiten.
Scheint etwa so zu sein wie hier. Es ist beunruhigend, wenn sich Experten uneins sind.
Gibt es viele Entlassungen in Milwaukee?
Es ist schrecklich. Milwaukee hat immer noch einen stärkeren Industriesektor als andere Landesteile. Die Anträge auf Arbeitslosengeld steigen stark. Es ist viel schlimmer als 2008.
Die US-Regierung hat ein gigantisches Hilfspaket für Unternehmen in Schwierigkeiten bereitgestellt. Funktioniert es?
Die Trump-Administration hat fürchterliche Arbeit abgeliefert. Sie ist unorganisiert und von harten Konservativen dominiert, die den Einfluss der Bundesregierung begrenzen wollen. Und es ist klar, dass der Präsident Dinge zur Pandemie gesagt hat, die falsch sind. Er hat immer gelogen, ziemlich unverfroren, aber jetzt werden die Konsequenzen seiner Lügen tödlich.
Klar, aber funktionieren die Programme?
Es ist zu früh, um das zu beurteilen. Soweit ich weiss, sind die Checks noch nicht abgeschickt worden.
Schlägt sich die Kritik an Präsident Trump auch auf der politischen Rechten nieder? Sehen Sie Widerstand gegen Trump in der Republikanischen Partei?
Ehrlich gesagt nein. Die USA sind dermassen gespalten, auch was die Quelle der politischen Information angeht. Die meisten Republikaner denken, Trump mache einen guten Job. Die Loyalität zu ihm ist sehr stark. Es könnte allerdings sein, dass er in den suburbanen Gegenden verliert – unter den Wählenden, die sich ideologisch an keine der beiden politischen Parteien binden.
Der Parteikonvent der Demokraten ist in Milwaukee geplant. Wird er stattfinden?
Er ist bereits auf August verschoben. Ich denke, dass er stattfinden wird, aber wegen des Virus in viel kleinerem Format als gewöhnlich. Das schadet den Demokraten. Um Donald Trump zu schlagen, braucht es eine grosse Mobilisierung. Und in einer Pandemie ist das Mobilisieren schwierig.
Sind wir doch alle froh, dass seine Schweizer Gesinnungsgenossen nie mehr als 30% Wähleranteil erreicht haben.
"But fuck! We guarantee ou can carry your guns!"
Die Amerikanische Verfassung ist ein Witz - und ihre Bürger grösstenteils zu ungebildet, um das zu erkennen.