Das Verhältnis zwischen Iran und den USA ist seit mehr als 40 Jahren völlig zerrüttet. Beide Seiten begegnen sich mit Misstrauen bis offenem Hass. Kam es unter Präsident Barack Obama zu einer Entspannung, so hat Nachfolger Donald Trump die Tonalität massiv verschärft. Der von ihm befohlene Drohnenangriff auf General Ghassem Soleimani erhöht die Gefahr eines Krieges.
Trump drohte für den Fall eines Vergeltungsschlags mit Angriffen auf 52 iranische Ziele. Das entspricht der Zahl der Amerikaner, die ab November 1979 während 444 Tagen in der Botschaft in Teheran als Geiseln gehalten wurden. Für die USA bis heute eine offene Wunde. Irans Präsident Hassan Rouhani konterte mit einer für sein Land ebenso symbolträchtigen Zahl: 290.
Those who refer to the number 52 should also remember the number 290. #IR655
— Hassan Rouhani (@HassanRouhani) January 6, 2020
Never threaten the Iranian nation.
So viele Passagiere befanden sich an Bord von Flug 655 der Iran Air, der am 3. Juli 1988 auf dem Weg nach Dubai vom Kriegsschiff USS Vincennes über dem Persischen Golf abgeschossen wurde. Sämtliche Insassen des Airbus A-300, darunter 66 Kinder, kamen ums Leben. Die Iraner haben diesen Vorfall so wenig vergessen wie die Amerikaner die Geiselnahme in ihrer Botschaft.
Nun hat sich die Geschichte mit umgekehrten Vorzeichen wiederholt. Die iranischen Revolutionsgarden haben am letzten Mittwoch eine Boeing 737 der Ukraine International Airlines nach dem Start in Teheran versehentlich mit einer Rakete abgeschossen. 176 Menschen kamen ums Leben. In beiden Fällen führten fatale Fehleinschätzungen aufgrund von Überforderung zur Tragödie.
Die Lage am Persischen Golf war 1988 noch angespannter als heute. Iran und Irak lieferten sich seit bald acht Jahren einen höchst verlustreichen Krieg. Begonnen hatte ihn der irakische Diktator Saddam Hussein in der Hoffnung, sich in den Wirren nach der Islamischen Revolution in Iran die ölreiche Provinz Chusistan einverleiben zu können. Doch Iran erwies sich als zäher Gegner.
Weil der Krieg nicht vom Fleck kam, nahmen beide Parteien zunehmend Handelsschiffe und Öltanker der Gegenseite ins Visier. Der «Tankerkrieg» bedrohte die internationale Ölversorgung, weshalb die US-Marine Teile ihrer 5. Flotte in den Golf verlegte. Dazu gehörte der Kreuzer USS Vincennes unter dem Kommando von Kapitän William Rogers.
Die Kriegsschiffe gerieten rasch zwischen die Fronten. Am 17. Mai 1987 feuerte eine irakische Mirage versehentlich zwei Exocet-Raketen auf die Fregatte USS Stark ab. 37 US-Seeleute kamen ums Leben. Der Vorfall wurde heruntergespielt, denn Saddam Hussein galt damals noch als guter Kumpel der USA und Verbündeter im Kampf gegen das verhasste Mullah-Regime in Teheran.
Am Vormittag des 3. Juli 1988 lieferte sich die USS Vincennes ein Scharmützel mit iranischen Kanonenbooten, als der Airbus der Iran Air nach einer Zwischenlandung in Bandar Abbas zum kurzen Flug nach Dubai startete. Der Flughafen wurde auch von der iranischen Luftwaffe benutzt. Sie verfügte über F-14-Kampfjets, die vom gestürzten Schah in den USA beschafft worden waren.
Weil die Iraner die Flugzeuge mit chinesischen Anti-Schiffsraketen ausrüsten konnten, waren die Amerikaner entsprechend nervös. Als der Airbus auf dem Radar der Vincennes auftauchte, wurde er durch eine automatisierte Anfrage beim Transponder korrekt als Zivilflugzeug erkannt. Das neue, hochmoderne Aegis-Warnsystem identifizierte die Maschine jedoch als F-14.
Die Besatzung des Kreuzers reagierte überfordert auf die widersprüchlichen Meldungen. Sie unternahm mehrere Kontaktversuche, doch die Airbus-Besatzung reagierte nicht. Die Gründe sind bis heute unklar. Womöglich fühlte sie sich von den Warnungen nicht betroffen. Worauf Kapitän Rogers zwei Raketen abfeuern liess. Die Insassen des Airbus hatten keine Chance.
Im Unterschied zu den Iranern, die den Abschuss der ukrainischen Boeing in den ersten Tagen leugneten, übernahmen die USA die Verantwortung für die Tragödie vor 32 Jahren. Allerdings behaupteten sie anfangs, der Airbus sei nicht in einem zivilen Korridor geflogen, habe den Transponder nicht eingeschaltet gehabt und sich der Vincennes genähert. Nichts davon traf zu.
Vizepräsident George Bush senior, der wenige Monate später die Präsidentschaftswahl gewann, sprach vor der UNO von einem kriegsbedingten Zwischenfall. Eine Entschuldigung lehnte er ab. Präsident Ronald Reagan drückte schliesslich sein Bedauern gegenüber dem iranischen Volk aus. 1996 erklärten sich die USA vor dem Internationalen Gerichtshof zur Zahlung von 61,8 Millionen Dollar an die Hinterbliebenen bereit, allerdings ohne Schuldbekenntnis.
Der offizielle Bericht des Pentagon schilderte mehrere Ursachen für das Unglück, darunter ein fehlerhaftes Aegis-System und überforderte Offiziere. Kapitän Rogers wurde vom Kommandanten eines anderen Kriegsschiffes beschuldigt, schon zuvor durch aggressives Verhalten gegenüber iranischen Schiffen aufgefallen zu sein. Trotzdem erhielt er bei seinem Abgang einen Orden.
Neun Monate später explodierte in San Diego eine Rohrbombe, die unter dem Minivan von William Rogers angebracht worden war. Der Kapitän der Vincennes war nicht anwesend, seine Frau überlebte den Anschlag knapp. Eine Urheberschaft Irans konnte nie nachgewiesen werden. Das FBI ging eher von einem Racheakt ohne Bezug zum Airbus-Abschuss aus. Geklärt wurde der Fall nie.
In Iran war man über das Verhalten der Amerikaner und den vergleichsweise pfleglichen Umgang mit dem verantwortlichen Kapitän empört. Nun hat sich die Geschichte auf ihrer Seite wiederholt. Auch der Abschuss der ukrainischen Boeing war die Folge fehlerhafter Systeme und eines überforderten Offiziers, der unter hohem Zeitdruck die falsche Entscheidung traf.
Wenn Kriege daraus bestehen würde, gegen militärische Einrichtungen der jeweiligen Seiten vorzugehen, wäre dies noch eines, auch wen das nicht tote Soldaten rechtfertigt.
In der Realität sieht das aber anders aus, da gehören solche "Unfälle" dazu.
Das müssen sich ALLE bewusst sein, die irgendwelche militärische Schläge fordern.
In diesen 32 Jahren hat sich die Technick extrem verbessert. 1988 war die Wahrscheinlichkeit höher, das es Fehler macht. In 2020 sollte das nicht mehr passieren, denkt man zumindest, scheinbar nicht so.
Die USA haben direkt gestanden, sich jedoch mit Konsequenzen zurückhaltend verhalten.
Eine traurige Gemeinsamkeit, beide Male waren die Iraner am zahlreichsten in der Unglücksmaschine vertreten
Die Abgründe scheinen unüberbrückbar und werden von einer Generation zur nächsten weiter gegeben.
Der Macht- und Selbsterhaltungstrieb ist vielfach grösser, als die Bereitschaft aufeinander zuzugehen.
Versöhnung und Frieden sind stets verletzlich.
Dies sollten wir und die kommenden Generationen nicht zuletzt in Europa bedenken.
Frieden ist eine unschätzbare Errungenschaft, für die wir uns engagieren müssen.
Das Verständnis der Vergangenheit ist der erste Schritt dazu.