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«Pakt der Schande»: Die Italiener verlängern libyschen Flüchtlingsdeal

FILE - In this Sunday, Feb 18, 2018 file photo, refugees and migrants are rescued by aid workers of the Spanish NGO Proactiva Open Arms, after leaving Libya trying to reach European soil aboard an ove ...
11000 Flüchtlinge setzten im Jahr 2019 von der libyschen Küste her nach Italien über. Zwei Jahre vorher waren es noch über zehnmal mehr.Bild: AP

«Pakt der Schande»: Die Italiener verlängern libyschen Flüchtlingsdeal um drei Jahre

Libyen wird im Auftrag der Europäer weiter Flüchtlinge an der Küste aufhalten – und gut daran verdienen.
04.02.2020, 09:21
Dominik Straub aus Rom / ch media
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Kritiker nennen den Flüchtlings-Deal zwischen Rom und Tripolis den «Pakt der Schande» – und für einmal ist nicht Lega-Chef Matteo Salvini der Böse: Das Abkommen mit Libyen wurde im Februar 2017 vom damaligen sozialdemokratischen Innenminister Marco Minniti ausgehandelt und von Ex-Premier Paolo Gentiloni unterzeichnet.

Es sah vor, dass sich Italien am Aufbau einer libyschen Küstenwache beteiligt. Im Gegenzug sollten die Libyer Flüchtlingsboote, die von ihrer Küste aus in Richtung Europa starten, stoppen und die Migranten wieder zurück nach Libyen bringen – wo die meisten von ihnen umgehend wieder in den berüchtigten Folterlagern der Schlepperbanden landen, aus denen sie entkommen waren.

Das Abkommen ist nun von der italienischen Regierung verlängert worden. Aus Angst vor einer neuen Flüchtlingswelle wird das Leiden und Sterben der Migranten in Libyen für weitere drei Jahre in Kauf genommen – denn sein Ziel hat der umstrittene Deal erreicht: Die Zahl der Bootsflüchtlinge, die von Libyen nach Italien übersetzen, ist drastisch gesunken – von 120000 im Jahr 2017 auf 11000 im Jahr 2019.

In den drei Jahren seit Inkraftsetzung des Abkommens hat die von Italien aufgerüstete libysche Küstenwache rund 40000 Flüchtlinge im Mittelmeer abgefangen.

150 Millionen Euro: Für Libyen lohnt sich der Deal

«Die Verlängerung ist menschlich, zivilisatorisch und politisch inakzeptabel», protestierte die ehemalige EU-Kommissarin Emma Bonino von der Radikalen Partei bei einer Kundgebung vor dem Parlament am Sonntag. Denn alle Beteiligten wüssten genau, dass die Flüchtlinge im Bürgerkriegsland Libyen systematischer Gewalt ausgesetzt seien.

Italien mache sich mit der Unterstützung der libyschen Küstenwache mitschuldig. Auch Hilfswerke wie Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen protestierten. Wie prekär die Sicherheitslage selbst in der Hauptstadt Tripolis inzwischen ist, lässt sich auch daran ablesen, dass das UNO-Flüchtlingshilfswerk letzte Woche sein einziges Auffanglager in der Stadt geschlossen hat.

Italien hat sich den Flüchtlings-Deal mit Tripolis bisher rund 150 Millionen Euro kosten lassen – ebenso viel kam aus den Kassen der EU. Vermutlich dürfte aber zumindest aus Rom noch deutlich mehr Geld nach Tripolis geflossen sein.

Libyische Küstenwache mit Schleppern verbandelt

Keine gute Figur macht Brüssel: Einerseits verbietet die EU den eigenen Schiffen der Mission Frontex, gerettete Flüchtlinge nach Libyen zu bringen, weil es sich um ein nicht sicheres Land handelt. Gleichzeitig aber hilft die EU bei der Finanzierung der libyschen Küstenwache, die für Europa genau diesen Job erledigt.

Nicht besser wird der «Pakt der Schande» durch den Umstand, dass es sich bei der libyschen Küstenwache zum grössten Teil um ehemalige Schlepper handelt. «Das ist ein Haufen von Piraten, die nachweislich ins Schleusergeschäft verstrickt sind», betonte Andrej Hunko, Sprecher der Linken im deutschen Bundestag. Versuche, die libysche Küstenwache durch europäische Stellen zu kontrollieren, sind bisher am Widerstand der Libyer gescheitert.

Aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage in Libyen funktioniert der Pakt inzwischen nur noch teilweise. Im Januar sind wieder deutlich mehr Flüchtlinge nach Europa aufgebrochen: Laut dem italienischen Innenministerium kamen 1273 Personen an, während es im Januar 2019 noch 155 waren.

Der Auswärtige Dienst der EU warnt in einem internen Halbjahresbericht vor einer möglichen humanitären Krise in Libyen und einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen. Die Behörde empfiehlt deshalb die Rückkehr von europäischen Marineschiffen – weil die libysche Küstenwache im Fall einer Eskalation des Bürgerkrieges «schnell überfordert wäre». (aargauerzeitung.ch)

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Flüchtlinge kämpfen gegen Grenzen
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quelle: getty images europe / ahmet sik
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Behörden räumen Flüchtlingslager
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33 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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044 508 39 39 het sie gseit
04.02.2020 09:42registriert Oktober 2019
Der „Packt der Schande“ ist nichts anderes als die Normalität die schon zu Gadaffis Zeit bestens Funktioniert hat.
Ohne Grenzsicherung wär Europa schon vor 20 Jahren von Ausreieswilligen geflutet worden.

Man darf nicht vergessen, dass es hunderte Millionen sind, die kommen wollen:

https://www.google.ch/amp/s/amp.welt.de/politik/ausland/article174796884/Millionen-Fluechtlinge-aus-Afrika-Zweite-Phase-der-Migration-hat-laengst-begonnen.html

Lassen wir dies zu, wird Europa KEINE Zukunft mehr haben.
Wem ist damit gedient ? 🤷🏾‍♂️
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manolo
04.02.2020 10:34registriert Februar 2014
Das ist ein Packt der Vernunft!
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Bravo
04.02.2020 13:33registriert Juli 2018
eine Auflösung dieser Zusammenarbeit hätte gerade für die Schweiz Kosten in Milliardenhöhe zur Folge... dies als Schande zu bezeichnen, ich weiss nicht... und es sterben so weniger Menschen im Meer.
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