Es ist 2 Uhr in der Nacht deutscher Zeit, schon 3 Uhr in Beirut. Serkan Eren sagt am Telefon, er wird so schnell nicht schlafen können. «Was ich gesehen habe, kann man nicht mit Worten beschreiben. Unvorstellbare Zerstörung. Viel Blut, dazu die Schreie von Menschen um Hilfe, und wenn man einem geholfen hatte, wartete schon der nächste. Ich stehe völlig neben mir und muss jetzt versuchen, erst einmal runterzukommen.»
Die Pension, in welcher der 36-Jährige aus Stuttgart untergebracht ist, ist nur 900 Meter von dem Ort entfernt, an dem am Dienstagabend ein Lager mit einer gewaltigen Detonation und einer vernichtenden Druckwelle explodiert ist. «Ich war zu meinem Glück in dem Moment 40 Kilometer entfernt», sagt Eren. Dorthin geführt hat ihn seine Aufgabe bei der Hilfsorganisation Stelp e.V., die ihm als Stipendiat der Initiative StartSocial schon eine Einladung ins Kanzleramt eingebracht hatte. Südlich von Beirut wollte er Hilfsprojekte zur Nahrungsmittelausgabe an Mittellose besprechen, als die Nachricht von der Explosion kam. «Ich bin mit einem Freund sofort losgefahren.»
In ihre Richtung fährt kaum ein Auto, dafür ist stadtauswärts die Strasse dicht. «In der Stadt hatte sich verbreitet, dass es giftige Gase gibt.» Schon Kilometer von der Detonationsstelle entfernt passieren sie beschädigte Häuser. Sie kommen an Strassen, in denen wegen Trümmern und Bäumen kaum ein Durchkommen möglich ist und keines für grössere Rettungsfahrzeuge. Sie fahren Bögen um Autos, die von der Druckwelle einfach auf die Seite geworfen wurden.
Und finden sich dann unweit des Hafens wieder zwischen Uniformierten und Bürgern, die Menschen in Not helfen wollen. Es gibt Tausende Verletzte in der Stadt. Viele Menschen standen am Fenster und schauten hin zu dem Brand, als es plötzlich zu der enormen Explosion kam und die Druckwelle zumindest die Scheiben zum Bersten brachte.
Wie schwer Scherben oder herumfliegende Trümmer die Menschen verletzt haben, denen er begegnet, kann er nicht sagen. Aber zehn, vielleicht fünfzehn Menschen habe er aus Häusern getragen. «Ich habe sehr viel Blut gesehen, Bilder, die mich so schnell nicht loslassen werden.»
Zeit zum Verschnaufen bleibt ihm in diesen Stunden kaum in der heissen, schwülen Luft Beiruts, die erfüllt ist vom Heulen der Sirenen der Rettungsdienstfahrzeuge. «Wenn man bei dem einen fertig war, wartete schon die nächste Aufgabe.» Um kurz vor Mitternacht postet er einige Bilder, die das Ausmass erahnen lassen. Irgendwann wolle er auch ins Bett gehen, acht Kilometer entfernt bei Freunden, die Pension ist ja zerstört. Und am Mittwoch werde es dann weitergehen, sagt er in der Nacht. «Wir wissen ja noch nicht, was uns da erwartet.»
Die eigentlich geplanten Hilfsprojekte stehen nun erst einmal zurück. «Wir werden unsere Mittel jetzt wohl in medizinische Versorgung stecken.» Er hofft, dass Stelp dazu auch weitere Spenden erhält. Den Verein hat er gegründet, nachdem er selbst im Mittelpunkt eines Unglücks gestanden hatte. Nach einem schweren Unfall auf der A5 stand im Rettungshubschrauber sein Herz eine Minute still, ehe die Ärzte ihn zurückholten. Seine Arbeit als Personal Trainer musste er aufgeben, wurde Lehrer und gründete Stelp, «Stuttgart helps», um Menschen in grösster Not zu helfen.
Verwendete Quellen: