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Konflikt um Berg-Karabach: Staatschefs einigen sich auf Waffenruhe

Explosions are seen in the mountains during fighting between Armenian and Azerbaijan's forces during a military conflict outside Stepanakert, the separatist region of Nagorno-Karabakh, Sunday, No ...
Explosionen bei Gefechten zwischen Armenien und Aserbaidschan.Bild: keystone

«Das ist die militärische Kapitulation Armeniens» – Waffenruhe in Karabach-Konflikt

10.11.2020, 00:1810.11.2020, 04:56
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Was ist passiert?

Nach mehr als sechs Wochen schwerer Gefechte in der Südkaukasus-Republik Berg-Karabach haben sich Armenien und Aserbaidschan auf ein Ende aller Kampfhandlungen verständigt. Die Vereinbarung kam in der Nacht zum Dienstag unter Vermittlung von Russlands Präsidenten Wladimir Putin zustande, wie der Kreml in Moskau mitteilte. Die neue Waffenruhe trat demnach um 1.00 Uhr Ortszeit (22.00 Uhr MEZ) in Kraft. Russische Friedenstruppen sollen sie den Angaben zufolge überwachen. In Armenien kam es indes kurz nach der Übereinkunft zu Ausschreitungen.

Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte bereits in der Nacht Aufnahmen, die die Vorbereitung und den Transport von Soldaten per Flugzeug in die Krisenregion zeigen sollten. Der aserbaidschanische Staatschef Ilham Aliyev sagte, der Einsatz von Friedenstruppen sei vorerst auf fünf Jahre begrenzt. Er könne jedoch verlängert werden, wenn sowohl Armenien als auch Aserbaidschan dem zustimmten. Das Kontingent soll demnach rund 2000 Soldaten betragen.

Was steht sonst in der Vereinbarung?

Die Vereinbarung sieht zudem einen Gefangenenaustausch vor. Darüber hinaus sollen die Leichen getöteter Soldaten übergeben werden. Flüchtlinge sollen unter Aufsicht der Vereinten Nationen in ihre Heimat zurückkehren. Russische Grenztruppen übernehmen die Kontrolle über die Transportverbindungen zwischen Karabach und Armenien. Aserbaidschan und Armenien hätten sich verpflichtet, ihre aktuellen Positionen einzufrieren, sagte Putin weiter.

Was sagen die beteiligten Parteien?

Der Führer der nicht anerkannten Republik Karabach, Araik Arutjunjan, verteidigte die Übereinkunft. «Die entstandene schwere Situation berücksichtigend und ausgehend von der Notwendigkeit, weitere grosse menschliche Verluste und den vollständigen Verlust von Karabach zu vermeiden, habe ich meine Zustimmung zur Beendigung des Krieges gegeben», schrieb der 46-Jährige bei Facebook.

Nach Ansicht des Kremlchefs ist die Vereinbarung die Grundlage für eine langfristige Lösung des Karabach-Problems. Bisher gab es bereits drei Anläufe für eine Waffenruhe. Sie scheiterten allesamt. Es ist aber das erste Mal, dass die Staats- und Regierungschef eine solche Vereinbarung unterzeichneten. Wenige Stunden vor der Übereinkunft war ein russischer Militärhubschrauber auf armenischem Gebiet von Aserbaidschan abgeschossen worden. Zwei Besatzungsmitglieder starben dabei. Aserbaidschan entschuldigte sich dafür mehrfach bei Russland.

Das aserbaidschanische Fernsehen zeigte live, wie Aliyev und Putin parallel die Dokumente unterzeichneten. Ursprünglich sollte auch der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan dabei sein. «Paschinjan weigerte sich, die Erklärung zu unterzeichnen, doch er wird es tun müssen», verkündete Aliyev später in einer Ansprache an die Nation.

Paschinjan selbst sprach von einer äusserst schwierigen Entscheidung. «Der Text ist für mich persönlich und für unser Volk schmerzhaft.» Er habe sich aber nach reiflicher Überlegung und Analyse der Lage für eine Unterzeichnung entschieden, schrieb Paschinjan. Beobachter werteten das als Kapitulation. Aliyev sagte dazu: «Das ist faktisch die militärische Kapitulation Armeniens.»

Wie wurde das Abkommen aufgenommen?

In der armenischen Hauptstadt Eriwan kam es zu Ausschreitungen. Die Lage war unübersichtlich. Demonstranten besetzten das Parlament und das Regierungsgebäude, wie Videos in sozialen Netzwerken zeigten, die zuvor in Ausschnitten im armenischen Fernsehen zu sehen waren. Demonstranten hätten Möbel, Türen und Fenster zerschlagen.

Tausende Menschen hielten sich nach Angaben von Beobachtern vor dem Regierungssitz auf. Sie beschimpften den Ministerpräsidenten als Verräter. «Wir werden das Land nicht aufgeben», riefen sie. Die Polizei sei zunächst nicht eingeschritten.

Zunächst war unklar, wo sich Paschinjan aufhielt. In einer bei Facebook verbreiteten Erklärung kritisierte er die Demonstranten. Auf Videos war zudem zu sehen, wie Menschen den Parlamentschef aus seinem Dienstwagen zerrten und ihn schlugen. Sie hätten so Auskunft über den Aufenthalt von Paschinjan erzwingen wollen.

Was ist der Hintergrund des Konflikts?

Die Gefechte dauern bereits seit Ende September an. Der Konflikt selbst ist schon jahrzehntealt. Die Zahl der Getöteten aufseiten Berg-Karabachs war am Montag um 44 auf 1221 gestiegen, wie die Behörden mitteilten. Baku macht wegen der Zensurbestimmungen während des Kriegszustands keine Angaben zu Verlusten bei den Streitkräften.

Aserbaidschan verlor in einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren die Kontrolle über das bergige Gebiet mit etwa 145 000 Bewohnern. Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe. Aserbaidschan beruft sich in dem neuen Krieg auf das Völkerrecht und sucht immer wieder die Unterstützung von seinem «Bruderstaat» Türkei. Armenien wiederum setzt auf Russland als Schutzmacht. (sda/dpa)

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Der Konflikt in Bergkarabach in 10 Bildern
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Der Konflikt in Bergkarabach in 10 Bildern
Die Konfliktregion Bergkarabach im Südkaukasus kommt nicht zur Ruhe: Armenien und Aserbaidschan liefern sich schwere Gefechte - trotz mehrerer Waffenruhen.
quelle: sda / -
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Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan: Darum geht's
Video: watson
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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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actualscientist
10.11.2020 01:03registriert Januar 2019
Ew ist ein trauriger Moment. Armenian hat nicht nur gegen Azerbaidschan verloren sondern auch gegen die Türkei und eine Internationale Geimeinschaft die sich nicht darum gekümmert hat.
Das Völkerrecht auf Selbstemmimmung dernlegalen Sezession Karabachsnwurde wegen Azerbaidschans Öl Milliarden nicht beachtet.
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Hausmeister krause
10.11.2020 07:04registriert Mai 2016
So schnell gehts wenn man sich nicht wehren kann. Es ist wohl den Russen zu verdanken dass in der Region (noch?) Kein Genozid stattfindet.
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