Eben noch war Amir Ashrafi ein ganz normaler Doktorand an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich und seine Frau Fatemeh Ghasemi eine ebenso normale Architekturstudentin an der Hochschule Luzern. Die aus dem Iran stammenden Eheleute wohnten in Dübendorf im Kanton Zürich.
Dann kam der 8. Januar. Sie bestiegen in Teheran den Flug PS752 der Ukraine International Airlines. Kurz nach dem Start stürzte das Flugzeug ab. Alle 176 Passagiere und Crew-Mitglieder kamen ums Leben. Diesen Donnerstag wurden sie nun als Märtyrer in der iranischen Stadt Isfahan beerdigt. Ein Bild von Amir Ashrafi wurden in die Höhe gehalten und sein Sarg durch die Strassen getragen.
Wie die iranischen Behörden mittlerweile zugegeben haben, wurde das Flugzeug von iranischen Streitkräften mit Bodenluftraketen abgeschossen.
Das militärische Personal habe das Flugzeug vom Typ Boeing 737-800 irrtümlicherweise für eine US-amerikanische Rakete gehalten. Zuvor hatte der Iran seinerseits Raketen auf amerikanische Militäreinrichtungen im Nachbarland Irak geschossen. Die Armee war in höchster Alarmbereitschaft und rechnete mit Vergeltungsschlägen.
In der Hitze des Gefechts schossen sie das Flugzeug mit ihren eigenen Leuten ab. Darunter die beiden Akademiker aus der Schweiz. Das Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH, wo Ashrafi doktorierte und als Assistent arbeitete, schreibt: «Wir sind traurig und tief erschüttert.» Die Hochschule Luzern verzichtet auf ein öffentliches Statement, bestätigt aber den Tod ihrer Studentin.
Der offizielle Iran betrauert nun die Toten aus dem abgeschossenen Flugzeug im gleichen Satz wie den von den USA getöteten Militärkommandanten Qasem Soleimani. Seine Tötung auf Befehl von Donald Trump hatte die Eskalation beschleunigt. «In diesen Tagen, in denen wir alle traurig sind über das Martyrium General Qasem Soleimani und seiner Gefährten durch den Staatsterrorismus des US-Regimes, hat die Nachricht vom Verlust von Herrn Amir Ashrafi und seiner lieben Frau eine weitere tiefe und ewige Wunde in unserem Leben und Herzen hinterlassen», heisst es in einem Kondolenzschreiben des iranischen Botschafters in der Schweiz, Mohammad-Reza Haji-Karim-Jabbari.
In den Ohren von iranischen Oppositionellen in der Schweiz müssen diese Worte wie ein Hohn klingen. Zuletzt haben sie am Mittwoch vor der Botschaft in Bern gegen den Abschuss des Flugzeuges und die blutige Unterdrückung von Protesten im Iran demonstriert. Einer, der dabei war, sagt: «Qasem Soleimani hat viele Menschen auf dem Gewissen. Es ist gut, dass er tot ist.»
Die iranische Diaspora ist in dieser Frage uneins. Die Toten des Flugzeugabschusses werden von allen betrauert. In der Haltung zum Tod Soleimanis ist die iranische Gemeinde aber gespalten. Während die einen gegen das Regime protestieren, wurde etwa im Iranischen Kulturzentrum in Schlieren der Tod von Soleimani betrauert. In einer Stellungnahme verwies der Kulturverein Ahlebeyt auf die Verdienste des Kommandanten im Kampf gegen die Terroristen des Islamischen Staates und schrieb von «einer dummen Frechheit und einer gefährlichen Aktion», ohne freilich die Urheber der Aktion – die USA – zu nennen.
Auch die Schweizer Opfer des Abschusses gingen im Schlierener Kulturzentrum ein und aus. Amir Ashrafis Vater sagt in einem Interview, das über das Chatprogramm Telegramm kursiert, sein Sohn sei ein grosser Anhänger des geistigen Führers der iranischen Republik Ali Khamenei gewesen. Gemäss Semsar Khiabani vom Schlierener Kulturzentrum sei die letzte Nachricht, die er von Amir Ashrafi bekommen habe, die Bitte gewesen, einen Aufruf zu einem Protest gegen die Tötung Soleimanis zu verbreiten.
Wie er heute über das Regime denken würde, kann man ihn nicht mehr fragen.