Bei den Massnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie gehen die Länder unterschiedliche Wege. Schweden verfolgt im Gegensatz zu den meisten europäischen Staaten mit seinem sogenannten Sonderweg eine deutlich lockere Strategie – und erntet angesichts der Corona-Lage viel Kritik. Denn das Land wird aktuell von einer zweiten Corona-Welle getroffen. Die Regierung aber handelt nur zögerlich.
Bisher gab es laut Johns Hopkins-Universität insgesamt mehr als 177'355 bestätigte Corona-Infektionen in Schweden (Stand: 14. November 2020). Besonders von der Pandemie betroffen ist die Region Stockholm, wo rund eine Million Menschen leben. Dort kommt es laut schwedischen Medienberichten vor allem zu Corona-Ausbrüchen in Altenheimen.
Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100'000 Einwohner verdeutlicht einmal mehr, wie rasant sich die zweite Welle in Schweden ausbreitet. Sie liegt (Stand: 12. November 2020) bei 280.93 und hat damit die der USA überholt (276.33). Das bedeutet, dass die Zahl der Neuinfektionen pro Tag in Schweden einen neuen Höchststand erreicht hat.
6'164 Menschen starben in Schweden an Covid-19 (Stand 14.November 2020). Im Vergleich zu anderen Ländern ist das eine sehr hohe Zahl, gemessen an der Einwohnerzahl von 10.2 Millionen. In Deutschland leben etwa acht Mal so viele Menschen. Hier zählte das Robert Koch-Institut bislang 12'404 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus. (In der Schweiz wurden bislang 2960 Todesfälle registriert).
Im Sommer sah es so aus, als ob Schweden im Kampf gegen das Virus auf einem guten Weg sei. Die Kurve der Todesfälle stieg nicht mehr stark an, es gab nur noch wenige Covid-19-Tote. Doch zum Herbstbeginn kehrte sich dieser Trend wieder um.
Schwedens Regierung hat erkannt, dass der bisherige Sonderweg angepasst werden muss, um die steigenden Corona-Infektionszahlen aufzuhalten.
Der Chefepidemiologe Anders Tegnell warnte die Bevölkerung bereits Anfang November vor den kommenden Wochen: «Dies ist ein harter Herbst, und es wird wahrscheinlich noch schlimmer werden, bevor es vorbei ist.» Es könne bald «pechschwarz» aussehen, deshalb müsse man reagieren, sagte auch zudem Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven am 11. November auf einer Pressekonferenz.
Angesichts der Ausbrüche in Altenheimen wurden in Stockholm deshalb die Besuche dort verboten. Auch alle städtischen Museen und Kunsthallen der schwedischen Hauptstadt schliessen im November. Für das gesamte Land gilt zudem ein Alkoholverkaufsverbot in Bars und Restaurants ab 22 Uhr. Die von Löfven angekündigten Massnahmen sollen am 20. November in Kraft treten und bis Ende Februar andauern.
Ansonsten setzt Schweden weiter auf die Vernunft und das Mitwirken der Bevölkerung. Die Regierung spricht bisweilen eher Empfehlungen aus und verzichtet auf Verbote. Die Schweden «sollen» Kontakte reduzieren und den öffentlichen Nahverkehr, Einkaufszentren sowie Veranstaltungen meiden, aber «müssen» nicht.
Das Tragen einer Maske gilt weiter als freiwillig. Kritiker werfen insbesondere dem Staatsepidemiologen Anders Tegnell vor, keine Empfehlung für eine generelle Maskenpflicht auszusprechen. Tegnells Argument dagegen lautet: Der Nutzen von Masken sei wissenschaftlich nicht belegt.
Europaweit verhängen viele Regierungen den Lockdown, um der Corona-Pandemie entgegenzuwirken. Schweden aber hält das nicht für angebracht: «Lockdowns sind keine langfristige Lösung», sagte der Epidemiologe Anders Tegnell im Gespräch mit «Zeit Online». Er sehe härtere Massnahmen generell kritisch. Schweden benötige eine Strategie, die langfristig durchzuhalten sei.
Erst als die Infektionszahlen nach dem Sommer deutlich anstiegen, erklärte Tegnell, regionale Einschränkungen für einen kurzen Zeitraum seien denkbar.
Ob die schwedische Regierung und Staatsepidemiologe Tegnell ihre Sonderweg-Strategie weiter nachbessern und ob diese letztlich die Pandemie eindämmen kann, bleibt abzuwarten.
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