Ruth Bader Ginsburg war eine winzige Person. Und eine gigantische Persönlichkeit. Davon konnte ich mich selbst überzeugen, bei ihrem Auftritt an der Universität Zürich vor ziemlich genau fünf Jahren. Auf einem Stuhl sass eine kleine, zerbrechlich wirkende Frau, aber was sie sagte, war kristallklar, messerscharf und gewürzt mit einer Prise Humor.
Nun ist die Richterin am Obersten Gerichtshof der USA tot. Am Freitag starb sie mit 87 Jahren an den Folgen ihre Krebserkrankung. Vertreter aller politischer Lager überschütteten die Ikone einer linksliberalen Rechtsprechung mit Lob, selbst Donald Trump zollte ihr Respekt. Ginsburg war sich ihrer Bedeutung bewusst – vielleicht etwas zu sehr.
Präsident Barack Obama soll die seit Jahren gesundheitlich angeschlagene Juristin gebeten haben, ihren Sitz für eine jüngere, politisch gleichgesinnte Person zu räumen. Sie wollte nicht und ist nun zum dümmst möglichen Zeitpunkt von uns gegangen. Denn bei allem Lob denken Trump und die Republikaner nicht daran, ihre letzte Bitte zu erfüllen.
«Es ist mein grösster Wunsch, dass meine Nachfolge nicht geregelt wird, bevor ein neuer Präsident im Amt ist», soll Ginsburg ihrer Enkelin vor ihrem Tod gesagt haben. Die Republikaner aber wollen sie so schnell wie möglich durchziehen. Zu verlockend ist die Aussicht, die konservative Mehrheit im Supreme Court auf 6:3 Sitze zu erhöhen.
Damit könnten sie die Rechtssprechung in den USA für viele Jahre in ihrem Sinn prägen. Die Demokraten wollen das nicht kampflos zulassen. Ruth Bader Ginsburgs Tod ist zu einer Art «September Surprise» im Präsidentschaftswahlkampf geworden. Ob Trump und die Republikaner profitieren werden, ist alles andere als sicher.
Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat, will rasch über die von Trump nominierte Kandidatin abstimmen lassen. Vor vier Jahren hatte er einen von Barack Obama ernannten Anwärter für den Supreme Court mit der Begründung abgeblockt, man solle das Ergebnis der Präsidentschaftswahl abwarten.
Republikanische Politiker verteidigten McConnells Kehrtwende in den Polit-Talkshows im US-Fernsehen am Sonntag mit dem Argument, dass anders als 2016 heute die gleiche Partei den Präsidenten und die Senatsmehrheit stellt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob eine Abstimmung vor der Wahl am 3. November stattfinden kann.
Mit Lisa Murkowski aus Alaska und Susan Collins aus Maine haben sich zwei republikanische Senatorinnen am Wochenende dagegen ausgesprochen. Andere halten sich bedeckt, etwa Mitt Romney, ein weiterer möglicher Wackelkandidat. Die Republikaner halten derzeit 53 der 100 Sitze im Senat. Viel Spielraum hat McConnell also nicht mehr.
Eine Bestätigung in der «Lame Duck Session» zwischen November und Jahresende ist auch riskant. In Arizona liegt der Demokrat und Ex-Astronaut Mark Kelly in allen Umfragen vor der republikanischen Senatorin Martha McSally, die das Amt nur provisorisch ausübt. Deshalb würde Kelly bei einem Sieg noch im November vereidigt und die Mehrheit der Republikaner auf zwei Sitze schrumpfen.
Auf Ginsburg soll erneut eine Frau folgen, kündigte Donald Trump am Sonntag bei einem Wahlkampfauftritt in North Carolina an. Politisch dürfte sie komplett anders ticken. Zwei Namen werden favorisiert: Amy Coney Barrett, eine 48-jährige Bundesrichterin aus Chicago, und die 52-jährige Barbara Lagoa, eine Richterin im Bundesstaat Florida.
Barrett ist Katholikin, siebenfache Mutter, rigorose Abtreibungsgegnerin und könnte die christliche Basis der Republikaner begeistern. «Sie steht für alles, wogegen Ruth Bader Ginsburg gekämpft hat», sagte Chuck Schumer, der Fraktionschef der Demokraten im Senat. Für Lagoa spricht, dass sie kubanischer Abstammung ist und aus dem wichtigen Swing State Florida stammt.
Donald Trump aber ist immer für eine Überraschung gut. Die von ihm ernannten Supreme-Court-Richter Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh gehörten ursprünglich nicht zum Favoritenkreis. Eine mögliche Alternative ist laut der «New York Times» Kate Todd, die in der Rechtsabteilung des Weissen Hauses und damit in Trumps «Dunstkreis» arbeitet.
Der demokratische Präsidentschaftskandidat und frühere Senator Joe Biden warnte die Republikaner davor, die Ginsburg-Nachfolge durchzudrücken. Dies käme «roher politischer Gewalt» gleich. Faktisch sind die Demokraten aber machtlos, nachdem die Republikaner den so genannten Filibuster bei Richterwahlen abgeschafft haben.
Biden will das Thema deshalb im Wahlkampf ausschlachten. Mit einem drohenden Abtreibungsverbot könnte er die Frauen mobilisieren. Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren Körper («Right to Choose») ist in den USA breit akzeptiert. Sogar eine Mehrheit der republikanischen Wählerschaft ist unter gewissen Umständen dafür.
Noch stärker will Biden laut US-Medien auf Obamacare setzen. Die Gesundheitsreform von Trumps Vorgänger hat rund 20 Millionen Amerikanern eine Krankenversicherung verschafft und bislang alle juristischen und politischen Attacken überstanden. Im Herbst aber wird der Oberste Gerichtshof nach negativen Entscheiden unterer Instanzen ein weiteres Mal darüber befinden.
Joe Biden will vor der Annullierung von Obamacare warnen und auf die Corona-Pandemie verweisen. Denn nach einer Phase der Entspannung sind die Fall- und Sterbezahlen gemäss CNN auch in den USA wieder ansteigend. Die Positivitätsrate zeigt demnach in 25 Bundesstaaten nach oben und bald ist die Zahl von 200’000 Todesfällen überschritten.
Die Republikaner wollen mit einer schnellen Nachfolge die konservative Basis elektrisieren und für die Wahlen im November mobilisieren. Neben Präsident Trump sind auch mehrere Senatorinnen und Senatoren der Partei – darunter Martha McSally in Arizona und Susan Collins in Maine – mit einer schwierigen Wiederwahl konfrontiert.
Damit aber betreiben sie ein heikles Spiel. Der Schuss könnte nach hinten losgehen und den Demokraten zusätzliche Stimmen bescheren. In einer am Wochenende durchgeführten Reuters-Umfrage sprachen sich 62 Prozent dafür aus, dass der Sieger der Präsidentschaftswahl die Nachfolge von Ruth Bader Ginsburg regeln soll.
Allein auf der Spendenplattform ActBlue wurden am Wochenende mehr als 100 Millionen Dollar für den Wahlkampf der Demokraten gesammelt. Immer lautstärker wird zudem die Forderung erhoben, dass die Partei den neunköpfigen Obersten Gerichtshof um zwei oder gar vier Sitze aufstocken soll, wenn sie im November die Mehrheit im Senat erobern sollte.
Dies könnte dem Gericht eine linke Mehrheit bescheren. Joe Biden allerdings beurteilt einen solchen radikalen Schritt kritisch. Er und andere befürchten, dass der Supreme Court endgültig seine Unabhängigkeit einbüssen und zum Spielball der jeweiligen politischen Machtverhältnisse werden könnte. Die Justiz verkäme damit zum Abbild eines politisch tief gespaltenen Landes.
Wenn man denkt, dass er nicht noch tiefer sinken könnte, kommt sowas daher. Er bezeichnet die Enkelin von RBG der Lüge.
Kein Anstand, kein Respekt: unterirdisch.
Hier noch ein kleiner Tipp an alle demokratischen obersten Richter: Wenn ihr gegen die 80 zusteuert, solltet ihr vielleicht mal euren Rücktritt planen.