Zwei Minuten nach dem Take-off des französischen Airbus A300 sprangen drei Männer und eine Frau von ihren Sitzen und übernahmen die Maschine mit Waffengewalt. Die Terroristen diktierten Flugkapitän Michel Bacos ein neues Ziel: Flug 139 der Air France, gestartet um 9 Uhr am 27. Juni 1976 in Tel Aviv mit Bestimmung Paris, nahm Kurs auf die libysche Küstenstadt Bengasi.
Nach dem Zwischenhalt dort dirigierten die Luftpiraten die aufgetankte Maschine mit 257 Passagieren – eine Geisel wurde in Bengasi freigelassen – und zwölf Besatzungsmitgliedern Richtung Süden: Am Morgen des 28. Juni landete der Airbus auf dem Flughafen Entebbe in Uganda, damals regiert vom unberechenbaren pro-palästinensischen Diktator Idi Amin.
Die Terroristen waren beim regulären Zwischenstopp in Athen, wo die Sicherheitsvorkehrungen lax waren, an Bord der Air-France-Maschine gekommen. Es handelte sich gewissermassen um ein deutsch-palästinensisches Terror-Joint-Venture – das «Kommando Che Guevara» bestand aus zwei Angehörigen der «Volksfront zur Befreiung Palästinas» (PFLP) und zwei Mitgliedern der «Revolutionären Zellen», Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann.
In Entebbe wurden die Entführer durch weitere Terroristen verstärkt. Nun gaben sie ihre Forderungen bekannt: 53 Gefangene, 40 davon in Israel, sechs in der BRD, fünf in Kenia und je einer in der Schweiz und Frankreich sollten freigelassen werden. Für die Erfüllung ihrer Forderungen setzten die Terroristen eine Frist von vier Tagen – bis zum 1. Juli –, danach würden die Geiseln erschossen.
Am 30. Juni teilten die Entführer die Geiseln im Flughafengebäude von Entebbe in zwei Gruppen: Anhand der eingesammelten Reisepässe trennten Böse und Kuhlmann die israelischen Staatsangehörigen von den restlichen Geiseln. Aber auch Passagiere mit französischem Pass, die einen jüdisch klingenden Namen hatten, wurden ausgesondert. Die restlichen Geiseln, darunter ebenfalls Juden, und die Besatzung wurden freigelassen – die Crew entschied sich jedoch zu bleiben.
Mehrere jüdische Geiseln erinnerte es an die Selektion in den deutschen KZs, als Böse die Namen mit seinem starkem deutschen Akzent verlas, worauf die Genannten sich in einen Nebenraum begeben mussten. Kuhlmann, die grob herumkommandierte und Geiseln die Kippa vom Kopf schlug, verstärkte diesen Eindruck. Ein Holocaustüberlebender zeigte Böse wütend seine eintätowierte Häftlingsnummer – der rechtfertigte sich, er sei kein Nazi, sondern Idealist.
Den französischen und israelischen Unterhändlern gelang es, den Entführer eine Verlängerung der Frist bis zum 4. Juli abzuringen. Unterdessen hatten die israelische Armee und der Geheimdienst Mossad bereits intensiv Informationen über die Lage in Entebbe gesammelt und Pläne für den militärischen Einsatz ausgearbeitet. Die Befreiung der 105 Geiseln aus einem rund 4000 Kilometer entfernten Flughafengebäude in einem feindseligen Land war ein logistischer Albtraum.
Am 2. Juli fiel die Entscheidung für die Kommandoaktion. Sie fand in der Nacht auf den 4. Juli statt: Vier Hercules-Transportmaschinen landeten nachts auf dem Flughafen von Entebbe. An Bord waren rund 100 Männer der Kommandoeinheit, darunter die eigentliche Eingreiftruppe mit Soldaten der Eliteeinheit Sajeret Matkal unter dem Kommando des 30-jährigen Jonathan Netanjahu.
Aus der ersten gelandeten Maschine, die sich als Linienflug angemeldet hatte, wurde ein schwarzer Mercedes mit den ugandischen Farben am Ständer entladen. Dies sollte die ugandischen Soldaten täuschen – sie sollten annehmen, der für seine Sprunghaftigkeit und Brutalität gefürchtete Diktator selbst sei gelandet. Die List funktionierte zunächst, doch dann kam es zu einem Feuergefecht, bei dem Netanjahu – als einziger israelischer Soldat – den Tod fand.
Die Einsatzgruppe drang ins Flughafengebäude ein und erschoss alle Geiselnehmer. Diese hatten offenbar nicht im Geringsten mit einer solchen Aktion gerechnet und wussten nicht, wer schoss. Böse soll sogar gesagt haben: «Diese Ugander sind verrückt geworden.»
Neben den Terroristen wurden auch drei Geiseln getötet, die sich nicht auf den Boden gelegt hatten. Bei dem Gefecht starben auch zwischen 20 und 40 ugandische Soldaten. Die Israelis zerstörten alle elf ugandischen Kampfflugzeuge, die sich auf dem Flugfeld befanden. Die überlebenden Passagiere wurden über Nairobi nach Israel ausgeflogen.
Aus Rache für die Unterstützung der Aktion durch Kenia liess der erboste Idi Amin in der Folge mehrere hundert in Uganda lebende Kenianer massakrieren. Auch die 75-jährige Dora Bloch, die wegen Atembeschwerden in ein Krankenhaus gebracht worden war und deshalb zurückblieb, wurde von Amins Schergen ermordet.
Die spektakuläre «Operation Entebbe» half Israel, das Trauma des Jom-Kippur-Krieges zu überwinden, und lieferte zugleich den Stoff, aus dem sich ein Heldenmythos bildete. Dessen zentrale Figur war der in Entebbe gefallene Kommandant Jonathan Netanjahu – der ältere Bruder des jetzigen Premierministers. Zu seinen Ehren wurde die «Operation Donnerschlag», wie der Deckname der Aktion lautete, nachträglich in «Operation Jonathan» umbenannt.
Netanjahus Opfertod und der heldenhafte Einsatz der Eliteeinheit in Entebbe rückte derart in den Vordergrund, dass die meisten Israelis der Meinung waren, in Entebbe seien ausser der unglücklichen Dora Bloch keine Geiseln ums Leben gekommen. Ida Borochovitch, Jean-Jacques Maimouni und Pasco Cohen wurden nahezu vergessen. Den Angehörigen von Maimouni wurde sogar gesagt, er sei an einem Asthma-Anfall gestorben.
An Netanjahus Heldenstatus, der mit Gewissheit den politischen Aufstieg seines jüngeren Bruders Benjamin begünstigte, wagt in Israel kaum jemand zu kratzen. Ausgerechnet Moshe «Muki» Betzer, der in Entebbe nach Netanjahus Tod das Kommando übernahm, gibt diesem aber die Schuld am frühen Ausbruch des Feuergefechts.
Als das Kommando in Entebbe mit dem schwarzen Mercedes zum Terminal fuhr, passierte er zwei ugandische Wachen. Einer von ihnen hob das Gewehr und machte eine drohende Bewegung. Betzer, der früher in Uganda als militärischer Instruktor gearbeitet hatte, sagte Netanjahu, dies sei nur eine Routine-Handlung. Doch dieser gab Befehl, die Wachen mit schallgedämpften Pistolen zu erschiessen. Da aber einer der beiden sich noch bewegte, schoss ein Israeli mit seiner AK-47 auf ihn. Der Knall habe, sagt Betzer, die ugandischen Soldaten alarmiert und den Überraschungseffekt teilweise zunichte gemacht.
Enorme Symbolkraft gewann in Israel die Selektion der jüdischen Passagiere durch die deutschen Terroristen: Zum ersten Mal seit dem Ende der Nazi-Diktatur hatten Deutsche wieder Menschen einzig aufgrund ihrer jüdischen Identität in ihre Gewalt gebracht.
Auch die wenigen verbliebenen deutschen Juden waren schockiert. Ihnen machte zusätzlich zu schaffen, dass die deutsche Öffentlichkeit den Vorgang kaum zur Kenntnis nahm und noch weniger verurteilte. Teile der ausserparlamentarischen Linken rechtfertigten die Entführung von Israelis sogar mit der Besatzungspolitik des Staates Israel – spätestens seit Entebbe gibt es eine Diskussion über Antisemitismus in der Linken, die bis heute anhält. Prominente Linke – darunter Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit – distanzierten sich in der Folge von der radikalen, gewaltbereiten Linken.