Liebe Anna,
Du hast es tatsĂ€chlich gewagt, den Wachmacher der Nation, das schwarze Gold in den Dreck zu ziehen. Nein, nicht nur in den Dreck gezogen hast du es, sondern in die Steppe. Der Geschmack von Kaffee gleiche einer «an der Sonne verrottete HyĂ€ne, die kurz vor ihrem Tod selbst noch ein klein wenig an einer an der Sonne verrotteten HyĂ€ne genagt hat» â dass ich nicht lache!
Aber es war ja nichts anderes zu erwarten von jemandem, der Kaffee als «trĂŒbe Tunke» bezeichnet und sich Energy-Drinks militĂ€risch in den KĂŒhlschrank reiht. (Die schmecken ĂŒbrigens, als hĂ€tte ein zuckerwĂŒtiger Zwerg sĂ€mtliche GummibĂ€rli in der Badi zusammen mit hochkonzentriertem Chlorwasser gegurgelt. Pfui.)
Anna, du musst wissen: Wir «Kaffeemenschen» trinken Kaffee nicht nur wegen unserer schwerer werdenden Augenlider und schlaffen Glieder. Wir trinken ihn aus Ăberzeugung. Aus Liebe. Aus Ehrfurcht. Oder damit Ideen anrĂŒcken, wie Bataillone der Grande ArmĂ©e auf einem Schlachtfeld (okay, der war nicht von mir).
Wir trinken ihn aus Zuversicht, wenn wir nervös zwei ernsten Gesichtern im kahlen Bewerbungszimmer gegenĂŒbersitzen und der einzige Anker der Hoffnung der winzige Kaffeelöffel ist, an den wir uns mit schwindendem Mut klammern können.
Wir trinken ihn aus Sehnsucht, wenn uns die russische KĂ€ltepeitsche auf ein Neues in unsere Wohnzimmer verbannt und unsere einzige Erinnerung an warme Sommertage in einer handbemalten Tasse ruht â schwarz, herzerwĂ€rmend und herb duftend.
Kaffee verbindet Völker. Und mit ihm kam die GemĂŒtlichkeit nach Europa. Oder willst du mir etwa weis machen, dass du dich in einem Wiener Kaffeehaus unwohl fĂŒhlst? EbĂ€.
Kaffee ist alles andere als ein bedeutungsloses GetrĂ€nk. Im Gegenteil: Es ist ein Ritual. Ein Freund, der uns im Strudel des Erwachsenwerdens auf die Schulter klopft und sagt: «Egal, wenn deine Welt gleich unter geht, geniess wenigstens noch die fĂŒnf Minuten Kaffeepause.»
Und ja, Anna, wir schauen uns gerne hĂŒbsche Kaffeewerbefrauen und entzĂŒckende Baristas an. Wir fallen total auf die «SelbstgepflĂŒckte-Kaffeebohnen»-Masche rein. Am liebsten wĂŒrden wir uns einen eigenen Kaffeebaum im Garten anpflanzen, die Bohnen an der Sonne trocknen lassen, sie dann bei Sonnenuntergang zufrieden zu Staub zermahlen, um dann, mit heilloser Vorfreude auf den nĂ€chsten Morgen, todmĂŒde ins Bett zu fallen.
So, jetzt muss ich los. Kaffee holen. Nur noch eines: Versteh mich nicht falsch, es ist absolut in Ordnung, dass du Kaffee nicht magst. Aber beschmutze doch nicht die Ehre des schwarzen Goldes mit den Worten «trĂŒbe Tunke». Da fĂ€llt mir ja gleich die Espresso-Tasse aus der Hand!
Mit lieben GrĂŒssen,
Helene