Wenn Pixar für etwas bekannt ist, dann wohl für seine vielschichtigen Animationsfilme. Das Traditionsstudio, das 1995 mit «Toy Story» die Ära der 3D-Animation eingeläutet hat, hat beinahe in jedem seiner Filme zwei Erzählebenen. Damit werden Kinder und Erwachsene gleichermassen angesprochen. Spass für die ganze Familie ist damit bei Pixar-Filmen nicht nur eine leere PR-Worthülse.
Was Pixar aber ebenso einzigartig macht, ist, dass sie sich an Themen wagen, an die sich kein anderes Animationsstudio traut – oder verblüffende Ansätze finden, die niemandem sonst in den Sinn kommen. Während Disney über Jahrzehnte Trickfilme mit Katzen, Mäusen, Enten oder Bären veröffentlicht hat, erzählte Pixar mit «Das grosse Krabbeln» eine Geschichte mit Insekten als Protagonisten. Während die Superheldenwelle in Hollywood immer krassere Helden hervorbringt, zeigt Pixar mit «Die Unglaublichen» auf satirische Weise, was die Gesellschaft mit Superhelden machen kann – und hält uns wunderbar den Spiegel vor.
2009 dann mit «Wall-E» die grosse Kritik an unserem Umgang mit Mutter Erde und 2012 folgte mit «Merida» eine weibliche Hauptfigur, wie sie Disney erst vier Jahre später mit «Vaiana» präsentierte. Pixar hat die Filmindustrie und Populärkultur in den letzten 25 Jahren wohl wie kein anderes Animationsstudio geprägt und tut das noch immer. Selbst Fortsetzungen sind bei Pixar fast immer grosse Klasse, auch wenn die Original-Storys die besten sind.
Nun erblickt mit «Soul» ein Pixar-Film das Licht der Welt, der sich wiederum einem sehr speziellen Thema annimmt: Wir lernen den Jazzpianisten Joe Gardner kennen, der sich gerade damit abfinden muss, dass sich sein Traum von der grossen Karriere nicht erfüllen wird. Widerwillig arrangiert er sich mit einem Leben als Musiklehrer, als er doch noch eine Chance erhält: Er soll im legendären Jazzclub The Half Note auftreten. Ein paar Minuten später ist er tot. Niedergestreckt, wenn man so möchte, von einem offenen Schacht, dessen er sich in seinem Freudentanz nicht gewahr wurde.
Im nächsten Moment findet er sich auf einer Art Rolltreppe wieder, die ins Leben nach dem Tod führt. Natürlich will Joe wieder zurück in seinen Körper und so landet er bei seiner unkoordinierten Flucht im ominösen «Du-Seminar». Dort werden neue Seelen auf ihr Leben auf der Erde vorbereitet, bevor sie schliesslich losgeschickt werden. Joe gibt sich als Seelenmentor aus und versucht so, zurück auf die Erde zu gelangen. Ihm wird 22 zugeteilt, eine renitente Seele, die keinerlei Bock hat, ein Leben auf der Erde zu beginnen.
Ja, was soll ich sagen? Ich weiss gar nicht, wann ich zuletzt so begeistert von einem Animationsfilm war. Mit «Soul» entführt einen Pixar in eine Welt, die sich wohl noch niemand von uns so vorgestellt hat. Der visuelle Stil des Du-Seminars ist so einzigartig und anders, dass man es unmöglich beschreiben kann. Es ist, als würde Pixar einen in eine virtuelle Realität entführen, in der alles angenehm fremd ist. «Soul» schaffte es, dass ich vollkommen in diese Welt eingetaucht bin, sie entdecken wollte und nicht genug davon bekam. Und gerade als ich dachte, es geht nicht mehr fantasievoller, kam die Story mit etwas (auf eine gute Weise) noch Verrückterem um die Ecke.
Beispiele kann ich euch leider keine nennen, denn wenn ich etwas nicht möchte, ist es, euch diese Reise, die ich erleben durfte, zu versauen. So viel sei gesagt: Regisseur Pete Docter und die Co-Drehbuchautoren Mike Jones und Kemp Powers haben eine Geschichte geschaffen, die wir jetzt alle gut gebrauchen können. Es geht um Passion, was wir damit anstellen und die grossen Fragen im Leben.
Dabei findet die Geschichte erfrischend neue Ansätze, die alle miteinander – auf oft sehr witzige Weise – verwoben sind. Auch wenn es den einen oder anderen vorhersehbaren Moment gibt – man verzeiht es dem Film gerne. «Soul» vermeidet es nämlich, uns mit abgedroschenen Metaphern oder dem mahnenden Zeigefinger zu langweilen. Und selbst wenn es auf die Frage nach dem Sinn des Lebens keine befriedigende Antwort geben mag, liefert «Soul» eine, mit der sicher alle von uns leben können.
Zumindest liefert der Film die Inspiration, uns am Leben zu erfreuen, lässt einen Mut schöpfen – etwas, das wir momentan alle sicher gebrauchen können. Unter dem Strich ist «Soul» eine Liebeserklärung; an die Passion für eine Sache, an die Menschen und an das Leben selbst.
«Soul» ist damit nicht nur der visuell ambitionierteste Pixar-Film, sondern auch der erzählerisch erwachsenste. Nicht wenige dürften nach diesem Film einen kleinen, metaphorischen Schritt zurückgehen, um sich einen Überblick über ihr Leben zu verschaffen. Gleichzeitig räumt der Film mit der Lüge auf, man könne alles schaffen, wenn man nur möchte, relativiert aber gleichzeitig, dass dies nichts Schlechtes ist. Wann hat das ein Animationsfilm zuletzt geschafft? «Soul» ist damit womöglich genau zur richtigen Zeit nicht in die Kinos gekommen.
«Soul» gibt es ab dem 25. Dezember exklusiv auf Disney Plus. Der Film ist im Monatsabo von 9.90 Franken inbegriffen.
Inside out, das sich mit Depression auseinandersetzt. Coco, das den Tod und das Trauern behandelt. Beides Filme bei denen ich heulend wie ein Schlosshund am Ende auf der Couch oder im Kino sass. Freu mich auf den neuen Film