Politisch korrekt erziehende Eltern, pädagogisch wertvoll agierende Lehrer – sie sind entsetzt: mal wieder. Sie verstehen die Jugend nicht: mal wieder. Sie suchen nach verhaltenspsychologischen Erklärungen und äussern ihr Unverständnis: mal wieder.
Plötzlich geistert auch abseits von Snapchat ein Gespenst durch die Elternforen und bringt Erziehungsverantwortliche in Erklärungsnot. Auf unseren Schulhöfen soll ein neuer Trend namens Pussy Slapping umgehen.
Manche Quellen machen eine aus vier Australierinnen bestehende Clique für das Phänomen verantwortlich. Sie verdienen ihr Geld mit viralen Videos. Die meisten Klicks sammeln sie mit sogenannten Prank-Videos ein, ähnlich wie schon die Jackass-Jungs damals für Aufsehen sorgten. Ein grosser deutscher Fernsehsender portraitierte sie letztens im Rahmen einer Sendung, wobei auch über deren Angewohnheit, sich gegenseitig mit leichten Schlägen auf den Venushügel zu überraschen, berichtet wurde. Dadurch soll sich der Trend nun auch an den Schulen ausbreiten.
Gab es da nicht grade erst diese unschöne Aufnahme eines alten Mannes, der damit angab, wahllos Frauen in den Schritt zu fassen?
Warum tun sich unsere Kinder mutwillig selbst Gewalt an?
Wie soll es mit dem Feminismus weitergehen, wenn sich die nächste Generation starker Frauen schon in der Grundschule selbst erniedrigt?
Das kommt ja auch wahnsinnig überraschend, nicht?
Selbstverständlich stützt sich hier Spiegel Online erstmal auf einen Lehrer. Lässt einen mittelalten Mann das Verhalten weiblicher Heranwachsender erklären. Weil unsere Lehrer ja schon damals so unglaublich rezeptiv waren: Als wir von Dächern in Pools sprangen, unsere Hosen in der Kniekehle trugen, damit auch sicher das endlich spriessende Schamhaar sichtbar wird. Genauso wie sich Eltern und das Lehrpersonal in den Sechzigerjahren kollektiv begeistert zeigten über Jungs mit langen Haaren, Mädchen, die die Pille nahmen, über Kommunen, Rock 'n' Roll und Gras.
Nur schon in der Wortwahl wird der «Generationen-Gap» deutlich: «Schläge auf die Scham ...»
Sicher, diese Scham findet man nicht auf Snapchat, nicht auf Instagram oder Vine. Genauso wenig wie auf Werbeplakaten, bei der «Bachelorette» oder bei H&M. Die öffentliche Haltung zu Sexualität und zum eigenen Körper hat sich verändert, ist noch immer im Wandel. Sind unsere Kinder deshalb alle verkommene Sexual-Soziopathen? Wohl kaum.
Die Jungen reagieren auf ihr Umfeld und sind bei Weitem nicht nur passive Konsumenten. 17-Jährige lösen heute mit einem Instagram-Konto stärkere Reaktionen aus als millionenschwere und etablierte Werbeagenturen.
Dass ältere Generationen überfordert sind, ist in Ordnung. Das ist sogar zu erwarten. Wie viele über 35-Jährige tummeln sich denn auf Snapchat? Und weshalb sollten sie die Dynamiken zwischen 14-jährigen Mädchen verstehen, die Mechanismen von Internet-Ruhm nachvollziehen können?
Nein, dass ein Lehrer nicht mitkommt, ist klar. Dass er jedoch trotz täglichem Kontakt dermassen den Bezug zu seinem «Publikum» verloren hat, dass er seine eigene Wahrnehmung nicht mehr reflektieren kann – das ist allerdings befremdlich.
Also, liebe Eltern, nicht gleich hyperventilieren. Eure Hysterie kommt und geht in Wellen – wie die Trends der Jugend. Die «Kinder» verarbeiten ihre Umgebung und setzen ihren eigenen Stempel drauf. Sie suchen ihre Identität, ihre Sexualität. Und das auf einem globalen Spielplatz, der mehr denn je auf den Körper fixiert ist. Aber heutige Pubertierende sind keine Opfer, sie sind anpassungsfähig. Die kommen damit klar. Nur weil ihr das nicht schafft, müsst ihr eure Überforderung mit der Gegenwart nicht auf die nächste Generation übertragen.
Und für alle Gender-Besorgten: Es gibt durchaus auch «Dick Slapping»-Wettbewerbe. (Und da ist es sogar das andere Geschlecht, das zuschlägt. Alles wieder im Gleichgewicht?)