Und nun wieder zurück zum Artikel.
«Ich liebe dich!» – schier schreiend werfe ich meiner Romanze diesen bedeutungsschwangeren Satz an den Kopf. Es ist eine spontane Reaktion auf einen schönen Zufall. Mein Lieblingsmensch bietet mir Pomade für meine ausgetrockneten, fast schon blutenden Lippen an. So gut, ahh, wie lieb!
Doch schon beim «ch», dem letzten Laut dieser diabolischen Floskel, verstumme ich. Ich wende meinen Blick dem Schnee bedeckten Boden zu und hoffe sehnlichst auf ein Ende der monströsen Peinlichkeit, die mir wie ein schmelzender Klumpen Eis den Rücken hinab rinnt.
Ich wollte nicht «ich liebe dich» sagen. Das wollte ich wirklich nicht, auf keinen Fall! Aber nicht, weil aus dieser «Sache» nichts Ernstes werden soll! Nicht, weil ich keine Schmetterlinge im Bauch habe oder ich unter Bindungsängsten leide. Nein. Ich will diesen Satz aller Sätze mit niemandem austauschen – niemals! Um ehrlich zu sein: Ich fürchte mich vor dieser Phrase.
Die Wirkung gleicht derer von Nervengas. Egal, ob ich es gesagt bekomme oder ob ich's selber ausspreche – sobald ein «ich liebe dich» im Raum herumschwirrt, fühle ich mich gelähmt.
Es steckt kein Trauma hinter meiner Furcht und auch keine Verbittertheit. Ich blicke nicht auf eine lieblose Kindheit zurück und wurde als Teenie auch nie grausam verarscht. Meine Abneigung gegenüber dieser standardisierten Liebeserklärung gründet in anderen Gewässern.
«Ich liebe dich» ist keine spontane Kundtuung der inneren Gefühle, sondern eine ausgelutschte Floskel aus platten Liebesfilmen und schnulzigen Jugendromanen. So oft fuhr sie schon über die Lippen von irgendwelchen Jacks und Roses, von Edwards und Bellas, dass sie für mich nicht nur jegliche Echtheit verloren hat, sondern auch mit fremden, ungewollten Erwartungen belastet ist.
Obwohl es eigentlich «nur» eine Ansage ist, verlangt ein Liebesgeständnis eine Antwort. «Komm schon, sag jetzt, tu es!», brummt es fordernd im Subton.
Egal, ob ich mein Gegenüber für seine unglaubliche Treue liebe oder für den Fakt, dass es just im richtigen Moment einen Pomadenstift zur Hand hat: Sobald der Satz laut ausgesprochen wird, fühlt sich der andere zur Erwiderung gezwungen.
Draussen ist es. Endlich haben wir's beide gesagt, endlich haben wir alles gesagt! – Einen Moment lang scheint die Welt ewig zu werden. Scheint man gemeinsam zu Jack und Rose zu werden. Einen Moment lang. Bis einem auffällt, dass der Film aufhört, bevor die Beziehung anfängt.
«Ich liebe dich.» – «Ich dich auch.»: Dieser Wortwechsel wird zu einem einstudierten Dialog. Er beendet jedes Telefonat und ersetzt jegliche Gute-Nacht-Wünsche. Diese beiden Sätze verlieren ihre tiefe Bedeutung an die Seichtheit einer inhaltlosen Floskel.
Weiss man nicht genau, was der Partner meint, fällt es einfach, die Aussage mit einem «ich dich auch» plump zu kopieren. Drückt man sich jedoch nur ein bisschen expliziter aus, wird klar, dass Liebe zwar gegenseitig, aber nicht identisch ist:
Szene im Badezimmer
A: Ich liebe die Art, wie du deine Haare kämmst.B: Ich dich auch. B: Ich liebe es, wie du mir jeden Tag auf's Neue deine Liebe kundtust.
Es sind Sätze, die im Grunde genauso einfach aufgebaut sind, wie das von mir verhasste «ich liebe dich». Aber es sind eben keine Floskeln. Viel mehr sind es verbalisierte Wohltaten, ohne Anforderungen und ohne Bedingungen, die ich meinen Liebsten ins Ohr hauche, wenn ich sie wissen lassen will, dass sie mir wichtig sind.
Sätze wie:
Vielleicht waren es nur fünf Sekunden. Für mich fühlte sich dieser Moment an wie fünf Minuten, in denen ich am Boden festgewurzelt in die gläsernen Augen meines Lieblingsmenschen starrte. Doch noch bevor ich zu einer ausufernden Erklärung ansetzen konnte, schmiegt sich mein Lippenretter an meine Seite und lächelt mir zu: «Du hast ja mal eine impulsive Art ‹Danke› zu sagen.»