In Ländern wie England, Irland oder Neuseeland gibt es sie bereits: Die «stille Stunde». Während 60 oder mehr Minuten richten sich Supermärkte nach den Bedürfnissen von Menschen mit Autismus. Denn für sie kann der Einkauf mit grossem Stress verbunden sein. Grund dafür sind die zahlreichen Reize, mit denen sie in den Geschäften konfrontiert werden: Grelle Beleuchtung, laute Durchsagen, Musik, bis hin zu unterschiedlichen Temperaturen. Sie sorgen dafür, dass die Konzentration leidet, der psychische und physische Stresspegel steigt.
Hierzulande setzt sich der Verein Autismus Deutsche Schweiz für die Idee ein und führte in der Vergangenheit mehrere Gespräche mit Detailhändlern, auch mit den beiden Grossverteilern Migros und Coop. Lange ohne Erfolg. Doch nun hat die Supermarkt-Kette Spar in Zusammenarbeit ein entsprechendes Pilotprojekt lanciert, wie Regula Buehler, Geschäftsführerin des Vereins, bestätigt. Der «Zürcher Oberländer» berichtete zuerst über das Projekt in den Zürcher Filialen in Urdorf, Dübendorf, Oerlikon sowie in Schöfflisdorf.
In diesen vier Spar-Filialen gibt es neuerdings «stille Stunden», jeweils dienstags und donnerstags zwischen 13 und 15 Uhr. Während dieser Zeit gibt es keine Lautsprecherdurchsagen, es wird keine Musik gespielt und das Licht wird gedimmt. Interessierte - auch Menschen ohne Autismus, die auf gewisse Reize sensibel reagieren - erhalten zudem auf Anfrage einen Plan der Filiale, auf dem die sensiblen Kunden mit Symbolen auf unterschiedliche Temperaturen hingewiesen werden, damit sie ihren Einkauf so gut wie möglich vorbereiten können. Begleithunde sind ebenfalls willkommen.
«Wir sind sehr glücklich, dass Spar diesen Pilotversuch wagt und hoffen, dass weitere Detailhändler mitziehen.» Es brauche mehr solche Angebote an verschiedenen Orten und auch zu anderen Zeiten, da viele Betroffene nachmittags nicht einkaufen könnten.
Auch Coop zieht mit: Wie eine Sprecherin bestätigt, seien Vorbereitungen für ein Pilotprojekt getroffen worden. Details würden zu gegebener Zeit kommuniziert. Noch vor zwei Jahren, als diese Zeitung über «stille Stunden» im Ausland berichtete, war ein solches Zeitfenster sowohl für Coop als auch Migros kein Thema. Die Migros zeigt nach wie vor kein Interesse an einem Pilotprojekt. Eine Sprecherin verweist die Betroffenen auf das Online-Angebot. Auch dort achte man auf Barrierefreiheit, um spezifischen Kundengruppen einen guten Service zu bieten.
Für Buehler ist zudem die Zurückhaltung des Discounters Lidl Schweiz enttäuschend, der keine «stillen Stunden» plant. «Denn in Irland geht Lidl mit gutem Beispiel voran und bietet entsprechende Zeitfenster in seinen Filialen an, und das jeden Dienstag von sechs bis acht Uhr abends.»
In der Schweiz und anderen Teilen Europas sei die Bevölkerung noch immer zu wenig sensibilisiert in Sachen Autismus, sagt Buehler, vor allem auch im Vergleich zu englischsprachigen Ländern. Ein Problem sei, dass es in vielen Bereichen an Unterstützung für die Betroffenen fehle. Genügend Ressourcen für die Beratung, Früherkennung und Diagnostik seien nicht vorhanden. Und oft sei das nötige Wissen über Autismus nicht ausreichend.
(aargauerzeitung.ch)