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Bloggerin auf Instagram: Eine Influencerin erzählt, wo sie ihre Grenze zieht

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«Kein Follower hat je einen der Männer gesehen, die ich kennenlerne»

Die Influencerin und Autorin Lina Mallon über ihre Grenzen zwischen beruflichem Content und Privatleben.
07.05.2018, 20:05
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«Mehr ist mehr» – so lautete schon immer das Social-Media-Kredo. Immer mehr Menschen posten immer mehr ins Internet. Fotos direkt nach dem Koitus auf Facebook stellen? Kein Problem, wenn man Influencer ist. Das ist «real», nennt sich #aftersexselfie. Ein Bild direkt nach der Geburt deines ersten Kindes aus dem Kreisssaal auf Facebook posten? Auch das ist in Ordnung, nein, wird sogar erwartet – deine Follower sollen schliesslich «immer mit dabei sein». Selfie vom Klo auf Snapchat? Ist auch okay, guckt eh niemand mehr an.

Und überhaupt: Sind wir zu unserer eigenen Reality-TV-Show geworden?

Wir haben mit Influencerin und Autorin Lina Mallon über die Entwicklung von Social Media zum persönlichen Reality TV gesprochen.

Liebe Lina, du bist selbst erfolgreiche Influencerin und Autorin und seit acht Jahren im Business. Wie ist dein generelles Verhältnis zu Posts aus dem Kreisssaal?
Ich komme aus einer Kleinstadt, in der es völlig normal war und ist, dass der Fotograf der Lokalzeitung am Tag nach der Geburt auf die Station kommt und die Babys samt Eltern fotografiert, um sie abzudrucken. Die Babyrubrik gibt es in unserer Tageszeitung, seit ich denken kann und wurde nie anders verstanden, als ein schöner Willkommensgruss.

Auch von mir wurde 1988 ein Foto gemacht, um es per Briefpost an Familie und Freunde zu versenden. Das ist nicht besonders eitel von meinen Eltern gewesen, sondern war eine völlig normale Begrüssung des Babys.

Würdest du ein Foto aus dem Kreisssaal posten?
Die Frage ist tatsächlich schwierig zu beantworten. Zum einen, weil ich noch nie in der Situation war und zum anderen, weil sich meine Ansichten zum Thema ständig verändern. Man wächst und lernt ja automatisch viel über sein eigenes Social-Media-Verhalten, wenn man sich mit den entwickelnden Nebenwirkungen auseinandersetzt.

Vor ein paar Jahren fand ich das Posten von so einem Neugeborenen zum Beispiel noch völlig problemlos.

Heute stehe ich dem kritisch gegenüber. Heute würde ich behaupten, dass ich vielleicht tatsächlich ein Bild aus dem Kreisssaal posten würde – aber nur, wenn es eines gäbe, dass ich ausdrucksstark fände, wenn es sich richtig anfühlen würde. Aber ich würde keins machen, um es zu posten. Das ist mein Unterschied.

Aus dem Kreisssaal in die Welt hinaus.
Aus dem Kreisssaal in die Welt hinaus.

Wie hast du Ferragnis Post (Bild oben) selbst wahrgenommen?
Mich persönlich hat das Bild von Chiara Ferragni, das unmittelbar nach der Geburt ihres Sohnes entstand und geteilt wurde, in dieser Perspektive nicht abgestossen, sondern mit viel Liebe erfüllt. Es war authentisch, es war echt – und nicht mit dem Gedanken an den Instagramauftritt kompositioniert. Da gibt es absurdere Beispiele von Bloggern, die ihre Zeit im Kreissaal in 44 Slides der eigenen Snapchatstory «performten» und ganz klar schon vorher ein möglichst klickbares Storyboard im Kopf hatten.

Ich bin kein grundsätzlicher Gegner davon, sein Familienleben zu teilen.

Ich bin nur ein Gegner davon, ein Familienleben zur stumpfen Einnahmequelle zu machen – oder das eigene Kind zum verlängerten Arm der eigenen Persönlichkeit zu machen.

Kannst du ein Beispiel nennen?
Wenn Eltern ihr Kind – teilweise sogar gegen seinen Willen! – ausstellen, um dafür Likes zu kassieren und Aufmerksamkeit zu geniessen, weil der Content mit der eigenen Person leider weniger interessant ist, dann wird mir schlecht.

Was mich auch abstösst, ist die tägliche Inszenierung eines kleinen Babys in PR-Produkten.

Noch zwei Mal umziehen, weil noch zwei weitere dankbare Klienten einen Strampler geschickt haben, Bild machen, verlinken, posten, so geht das stündlich. Für mich eines der übelsten Beispiele ist Cathy Hummels, Frau von Nationalspieler Matts Hummels. Aus Gründen der Privatsphäre möchte sie das Gesicht ihres Kindes nicht zeigen, Werbung mit ihm möchte sie aber trotzdem täglich machen, ihn zum Teil ihres Alleinstehungmerkmals werden lassen und zu einer Einnahmequelle entwickeln. Das Ergebnis? Miese Bilder, die ganz klar nur ein Konsumgut und weder Mutterglück, noch Emotionen oder gute Fotografien zeigen.

Wo ziehst du die Grenze zwischen beruflich-teilbaren und den tatsächlich privaten Momenten, die nur dir vorbehalten sind?
Es mag konstruiert klingen, aber ich glaube, dass von meinem tatsächlichen Privatleben weniger bekannt ist, als von einem beliebigen Instagramnutzer, der sonntags gern die Familienausflüge an den Scharmützelsee, das Mittagessen mit der neuen Kollegin, überhaupt die Lasagne vom Donnerstag oder die bildlichen Ergebnisse eines Grillfestes teilt, nicht einmal gross mit Ästhetikempfinden, sondern einfach nur mit dem Daumen auf dem Auslöser. Ein klarer Fall von «Teilen, um zu teilen» und nicht «Teilen, um zu erzählen».

Wo liegt der Unterschied zwischen den Fotos, die du teilst und jenen, die du nicht teilst? Gerade als Dating-Kolumnistin stelle ich mir das schwer vor.
Ich selbst unterscheide stark zwischen dem Content, den ich teile – und dem Privatleben, das ich führe. Ich schreibe seit vier Jahren eine Datingkolumne. Ich date seit vier Jahren Partner, verliebe mich, trenne mich. Gesehen hat dennoch noch nie ein Follower auch nur einen der Männer, die ich kennenlerne.

Beachtliche Leistung! Ich dachte mir immer wieder: krass, wie konsequent sie das durchzieht.
Ich teile meine Eindrücke, meine Gedanken, die ganz klar immer sehr nah an meinem Privatleben sind, das stimmt – und wer mir folgt, der wird auch irgendwann einen groben Überblick über meinen Freundeskreis bekommen. Dennoch lautet mein Credo gerade dann, wenn man Persönliches teilt: klare Grenzen setzen, um sich selbst wie eine Autorin zu fühlen – und nicht wie seine eigene Gossip-Plattform.

Ich löse für mich selbst darum meinen geteilten Content immer von den eigentlichen Situationen los, nenne strikt keine Klarnamen, abstrahiere und lege den Fokus auf mein Innerstes und meine Gedankengänge, nicht auf die Abhandlung meiner privaten Erlebnisse.

Täusche ich mich, oder hast du früher nicht sehr viel bereitwilliger und offener von Freundschaften oder den Menschen in deinem Privatleben erzählt?
Ich habe schnell bemerkt, dass du das, was du erst ausstellst, nicht einfach so wieder von der Plattform nehmen kannst. Es ist natürlich, dass Follower eine Neugierde entwickeln, dass sie nachfragen oder auch gossipen.

Eine Freundschaft öffentlich zu führen, wissentlich, wie komplex gerade langjährige Freundschaften teilweise sind, muss für mich nicht noch einmal sein. Es erschwert tatsächlich das eigene Privatleben, wenn dir 50'000 Menschen dabei zugucken, wie du vielleicht einen Streit beiseite räumen, erst einmal überhaupt Raum schaffen und dekomprimieren musst, wenn sie Veränderungen noch vor dir bewerten oder sich überhaupt ungefragt darüber unterhalten.

Kann man das nicht auch unterbinden?
Wenn man vorher täglich seine Freundschaft teilte, darf man sich danach nicht plötzlich über Nachfragen wundern. Menschen nehmen nicht einfach höflich Abstand, sie entwickeln Erwartungshaltungen. Das musste ich auch erst lernen. Ich glaube tatsächlich, dass einige Bekanntschaften einfacher, befreiter und schöner gewesen wären, wenn sie sich nicht unter den Augen von Instagram entwickelt hätten.

Aktuell habe ich das Gefühl, dass sehr viele Menschen sehr viele intime Momente mit einer Öffentlichkeit teilen, ohne sich der genauen Auswirkungen bewusst zu sein.
Die Studie #StatusOfMind – insgesamt wurden 1500 Jugendliche im Alter von 14 bis 24 Jahren befragt – ergab inzwischen, dass Instagram im Vergleich zu anderen Apps das Wohlergehen und die Psyche am meisten beeinträchtigt.
Ich glaube, dass im Moment tatsächlich sehr viele natürliche Personen manchmal viel zu grosse Teile ihres Privatlebens auf den sozialen Medien teilen, ohne darüber zu reflektieren. Viele gar nicht mal so sehr, um damit Geld, sondern vor allem Aufmerksamkeit zu verdienen. Die Frage ist einfach: Warum ist dies uns eigentlich so viel wert?

Viele nutzen Social Media – vor allem Instagram – aber auch als aktives aber indirektes Kommunikationsmittel, manchmal auch, um die Bestätigung von aussen zu bekommen, die ihnen vielleicht im Freundeskreis fehlt. Online sind Verständnis und Komplimente natürlich sehr viel einfacher zu gewinnen.

Wie kann man dem entgegensteuern? Hast du dazu Strategien entwickelt?
Man entwickelt sich ja tatsächlich am besten durch Erfahrungen. Ich bewege mich seit acht Jahren im sozialen Web, bin mit dem Medium als Influencerin gewachsen, bevor die plötzliche Welle des Erfolgs über mich kommen konnte.

Für mich ist ein Online-Leben ohne starkes Offline-Leben undenkbar.

Und deine Meinung zum Thema?

Safak hat da eine ganz klare Meinung: «Kinder in den sozialen Medien? Das geht nicht!»

Video: watson/Emily Engkent

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«Beautiful Life On Social Media»
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15 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mein Lieber
08.05.2018 07:22registriert November 2015
Noch langweiliger als diese Dame sind wohl nur ihre Folger. Oder sagt man das Gefolge? Macht sie das zu einer Verfolgten? Ich habe Fragen.
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olmabrotwurschtmitbürli #wurstkäseszenario
08.05.2018 10:08registriert Juni 2017
Liebes Internet: Bitte mehr Katzenvideos und weniger Datingkolumnistinnen.
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Theor
08.05.2018 07:22registriert Dezember 2015
"Ich schreibe seit vier Jahren eine Datingkolumne. Ich date seit vier Jahren Partner, verliebe mich, trenne mich."

Sagt eigentlich schon alles über die eigene Instrumentalisierung aus. Liebe als Konsumgut. Etwas mit Bestand? Undenkbar.
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Erfolgsmodell: Ein italienisches Restaurant schenkt Gästen, die während des Essens auf ihr Mobiltelefon verzichten, eine Flasche Wein.

Eine Theorie besagt, dass ein freundliches Gespräch während des Mahls nicht nur dem Essensgenuss zuträglich ist, sondern gar tatsächlich der eigenen Gesundheit der Essenden. So gesehen bietet das Restaurant Al Condominio in Verona nicht nur ein gastronomisches Erlebnis, sondern tut auch noch etwas für unser körperliches und seelisches Wohl, gewissermassen.

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