Ich war in den Ferien und als ich zurück kam, war Sarah Connor wieder einmal da. So richtig. So wie 2001, als sie über uns kam mit einer Hand voll Songs über Frauen, die an nichts anderes als Sex denken. Oder wie es in ihrem Debüt «Lets Get Back To Bed, Boy» heisst: «Aufwachen am Morgen, wir kleben aneinander ... Montag bis Sonntag brauchen wir fürs Vorspiel ... wir wollten raus, jetzt sind wir wieder drin ...»
Und dann war da noch «French Kissing». Und «One Nite Stand». Der Mann als Mensch und Kopuliermasse. Ein fröhlicher Gegenentwurf zu sehr vielem. Und zur Erholung die sentimentale Liebesbrief-Ballade «From Sarah With Love». Die schon mal ein Vorgeschmack darauf war, was später eine ihrer Kernkompetenzen werden sollte: Weihnachtslieder.
Die Welt war damals craaaaazy nach Sarah Connor. Harald Schmidt konnte kaum seine Hände bei sich behalten, als er sie fragte: «Wird man als Künstlerin gern angefasst, gerade auch von älteren Künstlern?» «Man wird halt oft gar nicht gefragt», sagte die 22-Jährige.
«Hat Udo Jürgens schon auf dich reagiert?», fragte Schmidt. «Udo Jürgens steht auf kleine Jungs, hab ich irgendwo gehört», sagte sie. Was bei Schmidt zu minutenlanger Totalverblüffung führte. Sie entschuldigte sich danach bei Udo Jürgens. In «Wetten, dass..?» versuchte Thomas Gottschalk herauszufinden, ob sie eine Unterhose trug oder nicht. So waren sie, die frühen Nullerjahre.
2005 steht sie bei einem Länderspiel in der Münchner Allianz-Arena vor 80'000 Menschen und singt die Nationalhymne falsch. Singt «Brüh im Lichte dieses Glückes» statt «Blüh im Glanze dieses Glückes».
Und dann ehelicht sie Marc Terenzi aus der Boygroup Natural. Was in der Reality-Show «Sarah & Marc in Love» vertickt werden muss. Eine Sendung aus der Hölle. Dann Scheidung. Und ein neuer Ehemann, Florian Fischer, der mal in der Boygroup The Boyz gejobbt hat. Ein klares Boygroup-Groupie, die Sarah.
All ihre musikalischen Vorbilder sind schwarz, auf ihren Konzerten singt sie – oft zum Befremden ihrer Fans – Medleys von Aretha Franklin und Michael Jackson, sie singt viele Duette mit afroamerikanischen Stars, sie möchte als R'n'B-Künstlerin ernst genommen werden.
Wenn sie Zeit hat, besucht sie Philosophievorlesungen. Aber als Popstar und bald auch Mutter hat sie logischerweise keine Zeit: «Ich kann Kant, Foucault, Hegel und Konfuzius auch zu Hause lesen.» Musikalisch machte sie eine ewige Pause von fünf Jahren. Bis sie 2015 mit dem Deutschpop-Album «Muttersprache» zurück kehrt. Aber nicht etwa, um irgendwas in Richtung neues Heimatgefühl zu machen, nein, ganz im Gegenteil.
Sie beschliesst, sich bedingungslos Merkels Willkommenskultur anzuschliessen, nimmt eine syrische Flüchtlingsfamilie bei sich auf, zuerst sind es sechs, am Ende elf Personen, es geht mehr schief als gut, sie würde es, sagt sie jetzt in einem Interview mit der «taz», immer wieder tun: «Am Ende gibt es Unterschiede in der Kultur und der Mentalität, die sich nicht wegromantisieren lassen. Es ist trotzdem immer richtig, Menschen in Not zu helfen, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Aber ein echtes Happy End hat unsere Geschichte nicht.»
2015 sang sie für Flüchtlinge («Augen auf»). Und über Sex («Kommst du mit ihr»), da blieb sie ihren Anfängen total treu. Jetzt einfach deutsch und deutlich. 2018 singt sie auf ihrem neuen Album «Herz Kraft Werke» gegen die «AfD-Idioten» («Ruiniert», ein typischer deutscher Friedenssong in der Tradition von «99 Luftballons» und «Ein bisschen Frieden»). Und über den Tod des Kindes von Bode Miller («Flugzeug aus Papier»), ein schönes Lied, bei dem man sich dennoch leicht peinlich berührt fragt, was das denn solle, sich so an einen fremden Tod dranzuhängen.
Vor allem aber singt sie «Vincent». Den Song, dessen erste Zeile von ein paar deutschen Radiostationen zensiert wird, weil darin die Formulierung «einen hochkriegen» vorkommt. «Vincent» ist ein Song über Teenies, die sich zum ersten Mal so richtig verknallen. Und darüber, was aus ihnen wird. Über den schwulen Vincent, der sein Coming out hat, und über das Cheerleader-Idealmädchen Linda.
«Vincent» sei ihr bisher wichtigster Song sagt sie, und wenn man die Kommentarspalte auf YouTube liest, ist es ein bisschen zum Heulen. So viele sagen, ihr Leben wäre leichter gewesen, wenn es in ihrer Jugend einen «Vincent» gegeben hätte. Ehrlich? Sind wie 2019 noch immer nicht weiter? Ein Mädchen getraute sich, ihrer Mutter endlich zu sagen, dass sie lesbisch sei, während «Vincent» im Radio lief.
Das Video dazu ist ein wenig, na ja, wohl ihrer Mariah-Carey-Sehnsucht geschuldet: Weissbrot Sarah besucht einen schwarzen Gottesdienst, beobachtet dort ein paar Liebespaare und lässt sich vom Gospel-Chor begleiten. Sinn: unklar. Absicht: wahrscheinlich intuitiv.
Der Satz, den man von Sarah Connor am häufigsten liest und hört, lautet: «Ich habe meine Lektion gelernt.» Immer wieder. Über all die Jahre. In allen möglichen Zusammenhängen. Sie gibt selbst zu, dass ihr impulsives Gutmenschentum und ihr musikalisches Nachsinnen darüber naiv anmuten und vielleicht auch sein mögen. Schliesslich sei ihre Utopie eine schlichte: die Liebe. Die Versöhnung. Die grundsätzliche Empfindungsfähigkeit der Menschen füreinander. Aber sie singt und tut, was sie fühlt. Und lernt daraus. Und vielleicht ist das Leben genau dafür erfunden worden.