Wenn Netflix draufsteht, ist es ja ein bisschen egal, was drin ist. Eine Netflix-Serie ist ja immer öfter eine Art Poké Bowl, also jene kalte Schale, die man seit einiger Zeit in jedem Supermarkt mit den immer gleichen Zutaten findet. Reis, Avocado, Mango, Rohfisch, eine salzigsüsse Sauce. Ungefähr so.
In der neuen deutschen Netflix-Serie «Biohackers» besteht der Reis aus sehr jungen Menschen, die Avocado aus nerdiger Hochbegabung, die Mango aus dem Clinch einer jungen und einer älteren Frau in einem bis anhin eher männlich geprägten Arbeitsumfeld, der Rohfisch aus einer dunklen Vergangenheit, die Sauce aus einer idyllischen Universitätsstadt. Klingt wie eine Mischung aus «Big Bang Theory», «Mr. Robot», «Bad Banks» und irgendeiner College-Serie? Ist es auch.
Es ist ein Erfolgsrezept aus Erfolgszutaten. In diesem Moment auf Platz eins der deutschen Netflix-Charts. In 190 Ländern zu sehen. Und in der Hauptrolle: eine Schweizerin! Die 21-jährige Zürcherin Luna Wedler («Amateur Teens», «Blue My Mind») nämlich, tatsächlich ein fabelhaftes Ausnahmetalent, müsste man sie auf Hollywood-Massstäbe übersetzen, so wäre sie am ehesten eine drastisch verjüngte Mischung aus Cate Blanchett und Scarlett Johansson.
Überhaupt muss an dieser Stelle mal sackstolz betont werden, wie fantastisch sich die jungen Schweizerinnen auf dem internationalen Film- und Serienparkett behaupten, bereits Ella Rumpf spielte in der Netflix-Serie «Freud» die weibliche Hauptrolle, «Blue My Mind»-Regisseurin Lisa Brühlmann drehte Folgen von «Killing Eve» und «Castle Rock» und arbeitet in Amerika an ihrer eigenen Serie für einen Streaming-Giganten, Carla Juri spielte eine grosse Rolle in «Blade Runner 2049». Und jetzt also Luna Wedler, die bereits im Kontext möglicher Golden-Globe-Nominationen gehandelt wird ...
Wedler spielt in «Biohackers» die Medizinstudentin Mia Ackerlund, eine komplett geniale Erstsemestrige, die es bereits nach einer einzigen Lektion in den Stab der wissenschaftsweltberühmten, eiskalten Professorin Tanja Lorenz (Jessica Schwarz) schafft. Wo Mia natürlich hin will und dafür auch über Herzen geht. Denn in der Vergangenheit von Lorenz und Mia gibt es eine Schnittmenge des Schicksals.
Mia lebt in einer WG mit lauter Supersmarties, die gentechnisch hochbegabt sind, Pflanzen zum Leuchten und Klingen bringen können und sich selbst allerlei Implantate unter die Haut operieren. Sie sind eben Biohacker. Und wo Mia nicht mehr weiter weiss (was fast nie vorkommt), helfen sie.
Alle leben oder lehren in Freiburg im Breisgau, wo immerzu die spacigsten Parties mit den verrücktesten Drogen und Kopfhörern steigen und wo Frau Lorenz erklärt, dass sie im Unterricht lauter «Schöpfer» ausbilden und Gott «obsolet» machen würde. Fluoreszierende Mäuse rennen rum. Genmanipulierte Mücken haben rote Augen und stechen einen ganzen Zugwaggon bewusstlos. Verrückt, wie aufregend dieses Freiburg ist.
Mia rettet. Mia rennt. Denn Mia brennt für Gerechtigkeit. Und die geht im Universum von Gentech und Biohacking öfter mal in irgendwelchen Röhrchen oder Kühlschränken verloren. Die Handlung ist dabei maximal unwahrscheinlich, das Gefühl Dutzender von Déja-vues derart gross, dass man sich zwischendurch grotesk zu langweilen beginnt.
Zum Glück ist das Handwerk des Spannungsaufbaus in der zweiten Hälfte der Serie recht solide. Und Mias WG bietet einiges an Comic Relief und weirden Charakteren, von denen man gern mehr sehen würde. Und «unsere» Luna Wedler? Ist super. Als Schauspielerin so gut wie ihre Mia als Medizinerin. Leuchtend und unerschrocken.
Eigentlich hätte «Biohackers» bereits im April starten sollen. Doch wie die Pandemie-Serie «Sløborn» wurde es nach hinten verschoben (obwohl das Wort «Pandemie» nur ein einziges Mal in einem Witz vorkommt).
Vielleicht erfolgte die Verschiebung auch, weil Netflix mit Unterstützung der ETH Zürich behauptet, dass seine Science in «Biohackers» überhaupt keine Fiction sei. Und weil das in Zeiten, da «Wissenschaft» eine ganz neue, oft umstrittene und angezweifelte Präsenz im öffentlichen Diskurs erhalten hat, dreist bis frivol wirken kann. Weshalb Netflix auch schon Videos dazu nachgeliefert hat, was man auf keinen Fall nachahmen soll aus der Serie.
Und so wird etwas, das nun echt nicht als T-Bone-Steak, sondern eher als Biohackfleisch unter den Serien zur Welt gekommen ist, auch nur zur Wissenschaftsnachhilfe für Kinder breitgetreten, die besonders schwer von Begriff sein müssen. Was schade ist. Leute, wirklich, verkauft euren Shit in Zukunft doch einfach wieder selbstbewusst. Das macht ihn zwar nicht besser, aber auch nicht schwächer.
Nur ein Beispiel: Antikörper sind Proteine und können nicht amplifiziert werden. DNA kann amplifiziert werden. Wenn nur einer mit einem MolBio Masters das Skript gelesen hat, muss er Stopp gerufen haben. Das ist so falsch wie das Perpetuum mobile. Es geht einfach nicht! Solche Fehler dürfen nicht rein, da kann man noch lange in jedem zweiten Satz CRISPR rufen... welches übrigens viel länger dauert. Auch RNA synthetisiert sich nicht über Nacht de novo.
Flache Story, mässige Schauspieler-Leistung, plumpe Dialoge.
Ich liebe Sci-Fi, aber wenn es real wirken soll, muss man auch bei der Realität bleiben! Nein, GFP leuchtet nicht wie ein Slimey und es klebt auch nicht auf der Oberfläche von Pflanzen. Arbeitet man unter höchsten Sicherheitsmassnahmen in einer Bench, soll man danach das Reagenzglas nicht ohne Handschuhen anfassen.
Ich freue mich auf die Fragen meiner Verwandtschaft und Bekannten, ob ich auch solche coolen Dinge im Labor mach. Ich muss mir eine gute Story dazu überlegen...