Seit Jahren adaptiert Disney seine Trickfilmklassiker als Realfilme. Nach zuletzt «Die Schöne und das Biest», «Der König der Löwen» und «Aladdin» ist nun also «Mulan» an der Reihe. Für Disney war die Umsetzung dieses Films eines der wichtigsten Projekte der letzten Jahre; ein Film, der perfekt auf den chinesischen Markt zugeschnitten wurde.
China ist für Hollywood inzwischen so wichtig, dass ein Erfolg im Reich der Mitte den Unterschied zwischen dem finanziellen Erfolg oder Ruin machen kann. Dies ist auch der Grund, weshalb in immer mehr Blockbustern chinesischstämmige Darstellerinnen und Darsteller auftauchen: Man will dem chinesischen Regime gefallen, denn China erlaubt nur eine kleine Anzahl ausländischer Filme pro Jahr in den heimischen Kinos. In Hollywood tobt daher zwischen den Studios schon seit Jahren ein harter Kampf um die begehrten Plätze in den über 30'000 chinesischen Kinosälen.
Aber das chinesische Kinopublikum ist nicht dumm. Immer wieder mokiert es, es sei eine Beleidigung, chinesische Darsteller nur in unbedeutenden Nebenrollen zu besetzen, damit der Film in China grössere Chancen auf ein Screening habe. Manchmal werden Filme gar extra mit zusätzlichen (unwichtigen) Szenen mit chinesischen Darstellern oder Schauplätzen «bestückt», die wir im Westen gar nie zu sehen bekommen. Bestes Beispiel dafür ist «Iron Man 3».
«Mulan» sollte das nun ändern. Das Remake hätte Disneys Vorzeigefilm für China werden sollen. Der perfekte Film. Die Zutaten: eine der beliebtesten Überlieferungen Chinas als Grundlage für einen Film mit einem komplett chinesischstämmigen Cast. Die Figur der Mulan wird von der chinesischen Bevölkerung schon fast verehrt, etwas, auf das Disney zum Beispiel bei «Star Wars» nicht zählen konnte. Das ist ein Risiko, aber auch eine Chance.
«Mulan» sollte nicht nur ein teurer Blockbuster sein, sondern sozusagen ein Empfehlungsschreiben an die chinesische Filmaufsichtsbehörde: Schau, wir machen Filme, die China und seine Kultur im besten Licht zeigen. Es ist dann auch kein Geheimnis, dass man mit «Mulan» China schmeicheln möchte. Das Reich der Mitte ist schon lange ein zentraler Bestandteil von Disneys globaler Strategie. Seit Jahren investiert der Mauskonzern in Infrastruktur in China. Erst 2016 wurde in Shanghai der zweitgrösste Disney-Park der Welt eröffnet. «Mulan» soll nun unter anderem dazu beitragen, dass der Besucherstrom markant zunimmt.
Überhaupt ist der Streifen ein Politikum. Seit rund einem Jahr rufen Aktivisten immer wieder dazu auf, den Film zu boykottieren. Grund ist eine Aussage von Mulan-Darstellerin Liu Yifei auf dem chinesischen Twitter-Pendant Weibo. Sie zeigte sich 2019 solidarisch mit der Hongkonger Polizei, nachdem diese nach Ansicht vieler mit übertriebener Härte gegen Demonstranten vorgegangen war. Sie schrieb unter anderem: «Ich unterstütze ebenfalls die Hongkonger Polizei. Ihr könnt mich nun aufmischen.»
Böse Zungen mögen behaupten, dass dies dem Wohlwollen von «Mulan» zumindest bei der chinesischen Kontrollbehörde eher zuträglich war, denn geschadet hat. Dennoch: In den sozialen Medien landete der Hashtag «BoycottMulan» innert weniger Tage in den Trends. Nebst der Aufforderung, den Film zu meiden, löste es aber auch eine andere Diskussion aus: Soll man einen Film boykottieren, nur weil eine Person eine politisch fragwürdige Einstellung hat?
All dies rückte angesichts der Coronakrise in den Hintergrund. Was Disneys grösster Triumph hätte werden sollen, ist nun zu einem finanziellen Russisch Roulette geworden. Nachdem «Mulan» zweimal verschoben wurde, hat sich Disney nun dazu durchgerungen, den Film auf dem hauseigenen Streaming-Dienst Disney Plus zu veröffentlichen. «Mulan» steht damit nicht alleine da, denn auch Blockbuster wie «Der einzig wahre Ivan» oder «Artemis Fowl» wurden bereits auf die Plattform verfrachtet. Neu ist allerdings, dass Disney für «Mulan» eine Extragebühr verlangt. Wer sich den Film anschauen möchte, bezahlt 29 Franken zusätzlich. Ohne Disney-Plus-Abo ist der Film also nicht zugänglich, was den Preis theoretisch auf bis zu 38.90 Franken erhöht.
Hier zeigt sich also, wie viel Geld mit «Mulan» für Disney auf dem Spiel steht. Wir erinnern uns: Im Mai musste Disney wegen der Coronapandemie einen Umsatzeinbruch von 90 Prozent hinnehmen. Der Mauskonzern steht also unter Druck.
Gleichzeitig ist der Film aber auch ein idealer Kandidat, um auszuprobieren, wie man ausserhalb des Kinos neue Absatzkanäle generieren kann, respektive wie weit man preislich gehen kann. «Mulan» ist ein Film, den sich viele nur schon wegen des Titels anschauen werden und zumindest für Familien dürfte sich dies finanziell rentieren. Und wenn man alleine ist? Da muss ein Film schon richtig gut sein, wenn man dafür 29 Franken extra bezahlen soll – und genau daran scheitert «Mulan».
Regisseurin Niki Caro hat aus Mulan eine Adaption gemacht, die leider nicht über das Mittelmass hinauskommt. Dabei ist es gar nicht so schlimm, dass man in einigen Bereichen vom Trickfilmvorbild abweicht. So fehlt beispielsweise Mushu, es wird nicht gesungen und Mulan hat nun eine Schwester. Eingefleischte Fans werden spätestens jetzt am Rädchen drehen. Allerdings sollte ein Remake auch das Recht besitzen, einen Stoff abzuwandeln und neu zu interpretieren. Daher sollte man immer vorsichtig mit Vergleichen sein.
Das gilt insbesondere für Trickfilmvorlagen, die nur schon optisch einiges anders machen. Das beste Beispiel ist hier Mushu: Der quirlige Drache als «reale» Figur würde vermutlich kaum funktionieren, denn der Drache lebt auch von seiner physisch unrealistischen Körpersprache und Mimik, etwas das so nur im Trickfilm möglich ist, ohne lächerlich zu wirken. Das war ein Problem mit dem unter anderem die Adaption von «Der König der Löwen» zu kämpfen hatte.
Dass Mushu nicht dabei ist, hat aber auch einen anderen Grund. Gegenüber dem Hollywood Reporter sagte Caro, dass sie bei «Mulan» einen realistischen Ansatz verfolgt habe. Das habe sie aber vor ein zentrales Problem gestellt:
Schliesslich habe sie und ihr Kreativteam sich dazu entschieden, auf Slapstick und Musikeinlagen zu verzichten. Es sei ihr ein Anliegen gewesen, dass man sich nicht hinter einem Scherz verstecken könne, um so die ungemütlichen Dinge ignorieren zu können. Ebenfalls wollte man nicht einfach auf einen Song zurückgreifen, um wichtige Botschaften zu transportieren.
Das ist eigentlich ein guter Ansatz und macht neugierig, schliesslich will man nun wissen, was dabei herausgekommen ist. Leider verbirgt sich in einer anderen Aussage von Caro auch gleich das grosse Problem des Filmes:
Ja, es ist nicht «Game of Thrones» und das müsste «Mulan» natürlich auch nicht sein, um ein guter Film zu sein. Allerdings merkt man dann doch, dass man in vielen Bereichen zugunsten der Familienfreundlichkeit vieles vereinfacht hat. Das sorgt dafür, dass der Film relativ simpel gestrickt ist und damit voraussehbar bleibt. So dürfte dann die verschiedenen Botschaften, die die Regisseurin mit «Mulan» vermitteln möchte vor allem für junge Zuschauer relevant sein.
Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass das Zielpublikum von Disney nun mal Kinder sind, allerdings zeigt Pixar immer wieder, dass es auch anders geht: Ein Kinderfilm kann gezielt eine zweite Erzählebene enthalten, die nur Erwachsenen zugänglich ist und die Aussage des Films verändert. «Mulan» verpasst es leider, diese zweite Erzählebene zu etablieren, sodass man den Film auch als erwachsene Person geniessen kann.
So bleibt der Film vor allem Mittelmass mit einigen klischeehaften Szenen und dem einen oder anderen Logikloch, was «Mulan» zumindest in diesen Momenten etwas weniger vorhersehbar macht. Gefallen tut dafür, dass der Film die Rolle der Mulan als starke, junge Frau konsequent bis zum Schluss durchzieht. Nein, Mulan ist jetzt nicht die Heldin mit der tiefgründigsten Charakterzeichnung, aber als starkes Vorbild für junge Kinder taugt sie sehr wohl.
Ein grosser Pluspunkt von «Mulan» ist seine visuelle Ausstrahlungskraft. Klar, heutzutage kommen die meisten Filme visuell schön daher – Computer sei Dank. Aber bei einem Bild spielt eben noch weitaus mehr eine Rolle: Kostümdesign, Wahl der Farben, Bildaufbau. Und hier haben die Verantwortlichen wirklich einen wundervollen Film auf das digitale Zelluloid gebannt, der auch gekonnt mit der für uns eher fremden Architektur der Landschaft und Kultur des historischen Chinas spielt.
Während des Films erschlägt einem die intensive Farbenpracht zwischendurch zwar beinah etwas, aber unter dem Strich möchte man «Mulan» wegen seiner visuellen Kraft fast ein zweites Mal gucken. Insofern kann einem der Film optisch zumindest ein bisschen für die durchschnittliche Story entschädigen.
Kino, dafür werden Filme gemacht, heisst es in der Werbung so schön. In diesem Fall ist es tatsächlich eine Schande, dass man «Mulan» nicht auf einer riesigen Leinwand betrachten kann. Der Film hätte durchaus das Potenzial gehabt, einem mit seiner Bildgewalt umzuhauen. Wer sich «Mulan» also anschaut, sollte auf eine möglichst hohe Bildschirmdiagonale achten.
Was bleibt, ist ein Film, den man sich durchaus anschauen kann. Zumindest dem jungen Publikum dürfte «Mulan» gefallen, was ihn sicher interessant für einen gemütlichen Filmabend mit der ganzen Familie macht. In diesem Fall tun die 29 Franken dann vielleicht auch nicht mehr ganz so weh. Alle anderen warten bis zum 4. Dezember, wenn der Film mit dem regulären Disney-Plus-Abo abrufbar sein wird.
«Mulan» ist ab sofort auf Disney Plus verfügbar. Laufzeit ist 115 Minuten, freigegeben ist er ab 12 Jahren.
Das macht Mulan zwar zu keinem schlechten Film, aber die Extrakosten ist er sicherlich nicht wert. Bis Mulan dann gratis gezeigt wird, kann man sich ja immerhin die Trickfilmfassung nochmal reinziehen.