Netflix ist nicht nur ein Streamingdienst. Netflix formt je länger, je mehr unser kulturelles Konsumverhalten – insbesondere was die Form betrifft. Fristeten Comedians vor zehn, fünfzehn Jahren noch ein gesellschaftliches Nischendasein, scheinen sie heute als schwergewichtete Stars unter dem Sammelbegriff «Stand Ups» aus unseren jeweiligen Screens heraus. Selbes gilt natürlich für den einen oder anderen Serienmörder. Oder Tiger-Dompteur.
Nun wartet Netflix mit dem nächsten Sendeformat auf. Man müsste es «Historytainment» oder so nennen. Will heissen: Expertinnen und Experten (allesamt jung, hübsch und sympathisch), Promis (darunter sind die meisten Vertreter der besagten Stand-Up-Gilde) und diverse hipstrige Visualisierungen erklären etwas auf lustige Weise. In diesem Fall ist es die Geschichte bestimmter Schimpfwörter.
Dabei werden die Schimpfwörter «Fuck», «Shit», «Bitch», «Dick», «Pussy» und «Damn» in je zwanzigminütigen Episoden abgehandelt. Zu den eher kommentierenden denn erklärenden Stand-Ups zählen unter anderem die grossen Namen der Szene: Jim Jeffries, Sarah Silverman, Nikki Glaser, Patti Harrison oder Ron Swanson Nick Offerman. So viel zum Setting.
In aller Kürze: Jawohl. Wie es die Ausgangslage suggeriert, ist das Format ziemlich unterhaltsam und zuweilen auch lehrreich. So wird zum Beispiel die Urban Legend, wonach das Wort «Fuck» historisch von der Abkürzung «Fornication Under Consent of the King» (dt.: «Geschlechtsverkehr mit Zustimmung des Königs») herrührt, ein für allemal ins Reich der Unwahrheit bugsiert. Neues Smalltalkfutter für Coole also.
Und auch sonst lernt man einiges über den Wandel gesellschaftlicher Prägungen von Schimpfwörtern und wird dabei für teils überraschende Verstrickungen und Zusammenhänge sensibilisiert – gerade auch in Verbindung zu Rassismus, Unterdrückung und Feminismus. Das fühlt sich insgesamt ein wenig wie eine Schulstunde beim coolen Vertretungslehrer an.
Dazu trägt auch Nicolas Cage bei, der – die Millennial-Kultur wird's den Machern danken – subtil zum «Most Interesting Man in the World» heraufstilisiert wird.
Diese Rolle steht ihm natürlich ausgezeichnet. Auch wenn es nur eine kleine, vermeintlich unbedeutende Rolle ist, so geht Cage darin geradezu auf. Gerade in jenen Sequenzen, in denen das Format an Tempo und Anziehungskraft verliert, sorgt er mit kurzen, pointierten Zwischenauftritten immer wieder für neuen Schub. So banal es klingt, aber diese Rolle macht es irgendwie wieder eher nachvollziehbar, wie Cage je einen Oscar gewinnen konnte.
Die Serie mag in mancher Hinsicht etwas eindimensional, etwas banal oder dünn geraten sein. Für manche vielleicht sogar «vulgär» oder «kindisch». Betrachtet man die Serie jedoch auf einer Metaebene, so offenbart sich relativ zügig, wie verdammt kleinlich das alles doch ist. Mit «das alles» ist im Übrigen der menschliche Umgang mit der Sprache gemeint. Diese Einsicht kann man entweder panisch wegfuchteln oder annehmen. Nehmen wir sie mal an.
Fluchen setzt Kräfte frei. Physische Kräfte. Das wird auch in «Die Geschichte der Schimpfwörter» kurz thematisiert. Wir schütten beim Fluchen (übrigens auch für Verharmlosungen von Schimpfwörtern wie zum Beispiel «Scheibenkleister») Adrenalin aus, werden schmerzresistenter, wachsen über uns hinaus. Ironisch, nicht wahr?
Der Mensch ist nicht vollkommen, das Leben nicht perfekt und der Tag nun mal von Zeit zu Zeit verschissen. Unsere Kinderstube hat uns derweil gelehrt, dies demütig zu erdulden. Wir alle kennen die Spannungen, die sich da innerlich aufbauen können. Doch flucht jemand, sind wir gesellschaftlich dazu verpflichtet, bestürzt zu sein. Eine Horde von ventillosen Dampfkochtöpfen, die auf einem Stein durchs All rast. Lächerlich.
Unter diesen Umständen wäre es beinahe unmenschlich, Schimpfwörter kategorisch zu unterdrücken. Darum sollten wir fluchen. Nicht beleidigen, fluchen. Und wenn wir mal beleidigt werden oder uns zumindest beleidigt fühlen, ein gesundes Mass an Verständnis dafür aufbringen.
Kommen wir von unserem hohen Ross der kultivierten Makellosigkeit wenigstens von Zeit zu Zeit herunter. So machen wir uns zwar die Stiefel ein wenig schmutzig, verlernen dafür aber auch nicht, wie schön es ist, auf eigenen Beinen zu stehen. Und vorwärts zu laufen.
... dennoch nicht ganz an den Haaren herbeigezogen. Denn in einer Zeit, in denen uns sprachliche Sensibilisierung mit dem Mastschlauch eingeflösst wird, ist uns natürlich allen bewusst, dass Sprache nicht weniger als ein gesellschaftliches Muster ist. Dies betont auch die Lexikographin Kory Stamper in der Serie.
Diese Muster werden durch Schimpfwörter sichtbar gemacht, da diese nicht anerkannter Teil dieser Struktur sind. Somit werden Schimpfwörter auch zu mächtigen Tools. Lieder wie «Fuck tha Police» von N.W.A.? Oder «WAP (Wet Ass Pussy)» von Cardi B.? Jaja! Skandalös, ich weiss! Aber stellt sich im Laufe der Zeit bei solch populärkulturellen Beispielen nicht meistens heraus, dass der eigentliche Skandal war, dass sie einst als skandalös gegolten haben?
Nun, Schimpfwörter werden nicht plötzlich zu Revolutionen, gesellschaftlichen Umwälzungen oder Frieden am Laufmeter führen. Nein, sie werden auch künftig in den meisten Fällen nachträglich ein sozial vorprogrammiertes Empfinden von Scham oder Bestürzung hervorrufen. Ein effizienter Schutzmechanismus der menschlichen Zivilisation. Das ist denn auch prima so.
Um was es letztlich geht, ist folgendes: Schimpfwörter führen zu Disruption, zu klitzekleinen Erschütterungen unseres sozialen Empfindens. Diese Störungen können wir (im Normalfall) verkraften. Gleichzeitig bietet jede ach so kleine Disruption eine ebenso kleine Möglichkeit, etwas zu realisieren, etwas zu klären, etwas voranzutreiben. Und im schlimmsten Fall haben wir immer noch den Status quo.
Flucht leidenschaftlich, seid aber stets lieb zueinander. Die Welt wäre ein Stück weit einfacher.