Hey, wo ist nun unser Hard Seltzer? White Claw und so? Das Alkohol-Mineralwasser, das volumenprozentmässig wie Bier ist, aber wenig Kalorien und wenig bis gar kein Zucker hat und sich seit gut zwei Jahren in den USA einem Siegeszug sondergleichen durchzieht?
Anfangs 2020 wurde Hard Seltzer als einer der grossen Drink-Trends für die Schweiz identifiziert. Die Frage war nicht, ob sich Hard Seltzer auch hierzulande durchsetzt, sondern wann. Zu erfolgversprechend waren die ersten Kundentests, zu eindeutig der Siegeszug von White Claw in den USA (inzwischen macht Hard Seltzer mehr als 10 Prozent des gesamten Alkoholkonsums in den USA aus). Er ist erfrischend, man bekommt keine Bierfahne, er ist genderneutral – jeder und jede von 20 bis 40 mag Hard Seltzer.
Die Stiftung Sucht Schweiz warnte schon mal prophylaktisch vor einer «Alcopop-Krise 2.0». Erste Schweizer Startups begannen, eigenen Hard Seltzer herzustellen. Spätestens im Sommer würden alle es trinken wollen, so die Prognose.
Und was wurde aus dem Hard-Seltzer-Sommer? Weshalb können wir tamminomol immer noch keine White-Claw-Variety-Packs beim Coop oder Denner kaufen? Was ist passiert?
Covid-19 ist passiert.
Gewiss sind noch weitere Faktoren massgebend, doch wegen Lockdown und Social Distancing fehlten die Events, die Outdoor-Parties, an denen man einem grösseren Publikum das neue Produkt vorstellen konnte ... falls man überhaupt das Produkt bekommen hätte! Marktführer White Claw wurde ja bereits letztes Jahr vom eigenen Erfolg überrumpelt in den USA und kam mit der Produktion und Lieferung kaum nach. Und heuer, Lockdown sei Dank, kam es zu einem weiteren Engpass: Gastro-Betriebe (Glasflaschen) blieben geschlossen, ergo kaufte ganz Nordamerika seine Getränke beim Grossverteiler (Aludosen). Die Folge war, dass im Frühjahr 2020 sämtliche Dosenhersteller und -Abfüllbetriebe überlastet waren und alle Getränkehersteller Lieferengpässe hatten. Nichts da mit Export nach Europa.
Derweil schaute man auf die europäischen Grosskonzerne. Im Februar noch wurde davon berichtet, dass Carlsberg ein Pilotprojekt in Richtung Hard Seltzer starten wolle, schliesslich konnten die Nordamerikanischen Multis mit Bud Light Hard Seltzer oder Corona Hard Seltzer Erfolge verbuchen. Doch aktuell hält sich Carlsberg bedeckt. Heineken, der andere europäische Megabrand, ebenfalls.
Auch dürfte der Pionier der Branche, White Claw, nicht so schnell auf hiesigen Regalen stehen. Aus Irland erreichte uns die Nachricht, dass White-Claw-Hersteller Mark Anthony Brands eine internationale Abteilung gegründet hat und sich in Dublin niedergelassen hat, um in Irland und Grossbritannien zu vertreiben. Resteuropa muss warten.
Schauen wir also, was die Grossen auf dem Schweizer Markt vor haben! Auch hier: Fehlanzeige. Auf Anfrage von watson erklären sowohl die Carlsberg-Gruppe (Feldschlösschen, Cardinal, Valaisanne, Hürlimann, Eve, Gurtenbier) als auch Heineken Switzerland (Calanda, Ziegelhof, Ittinger, Haldengut, Eichhof) keine Pläne in Richtung Hard Seltzer zu haben. Und, wie oben erwähnt, was ihre ausländischen Mutterkonzerne planen, darf oder kann man nicht sagen.
Die Rettung kommt in Form der Independents. Denn gerade in der Schweiz gibt es sie, die kleinen, unabhängigen Pioniere. Und die sind gehörig am werkeln, wie sich zeigt.
Da wäre etwa der kleine Getränkevertrieb Introdrink aus Zürich: Er vertreibt bereits das deutsche Holy Hard Seltzer aus Berlin. Doch auch ist man daran, mit RAW ein einheimisches Produkt zu entwickeln, das bei Rugenbräu in Interlaken produziert werden wird.
Sundays Seltzer, derweil, ist schon weiter. «In Zürich entstanden, in Bern perfektioniert und in Winterthur produziert» (Selbstdeklaration), ist das Produkt bereits jetzt bei ausgesuchten Händlern und in gewissen Bars erhältlich. Die einzige von Frauen gegründete und geführte Firma der Branche setzt sehr auf die Marke «Schweiz» und betont die nachhaltige Produktion – natürliche Zutaten, keine Zusatzstoffe, kein Zucker, weniger Kalorien und so weiter. Der schweizweite Vertrieb bei den Grosshändlern soll ebenfalls gesichert sein, auch wenn dieser erst Anfangs 2021 zu erwarten ist.
Erinnert ihr euch an nylo (ja, Kleinschreibung), die im April 2020 starteten? Hier hat sich das Gründerduo aufgeteilt. Weiterhin wird Hard Seltzer in der Brennerei Erismann in Bülach hergestellt, doch dieser heisst nun John's Züri Hard Seltzer. Derweil ist nylo eine Zusammenarbeit mit einem (noch) nicht namentlich genannten «grösseren Player» (O-Ton nylo-Gründer Patrick Bühler) eingegangen. Produziert wird in Lausanne. Es kommen drei neue Geschmacksrichtungen dazu, und da man bereits mit dem Vertrieb bei grösseren Retailern bis Ende Jahr rechnet, dürfte der Preis einiges tiefer werden.
Weiter zu erwähnen wären Bubblz Hard Seltzer aus Stäfa ZH oder Sparklys aus Altstätten SG.
Also gut. 2020 gab es keinen Hard-Seltzer-Sommer. Aber es tut sich was. Die Erhältlichkeit in den Supermärkten ist schon mal absehbar. Gewiss, es dürfte noch ein Weilchen dauern, bis Hard Seltzer dem Bier ähnliche Marktanteile abknöpft wie andernorts. Und «ALsO IcH tRiNkE mEiN sPeZLi AlleS aNdErE iSt PLöRrE»-Renitenz wird es wohl immer geben. Doch bereits jetzt seit einigen Monaten beobachte ich, wie die Twentysomethings in meinem Familien- und Freundeskreis sich im Drinks-Shop im HB mit White Claw eindecken ... es kommt, also. Es kommt gut.